Serienmörder Fritz Haarmann

Erst hatte er Sex mit seinen Opfern, dann biss er ihnen die Kehle durch

Vor genau 100 Jahren wurde Serienmörder Fritz Haarmann hingerichtet. Mindestens 24 junge Männer hat der „Schlächter von Hannover“ gekillt. Seine Geschichte lässt uns noch immer gruseln

Teilen
Serienmörder Fritz Haarmann (1879-1925). Seine Opfer, oft Ausreißer oder Stricher, hatte er zumeist am Hauptbahnhof kennengelernt und sie mit nach Hause genommen.
Serienmörder Fritz Haarmann (1879-1925). Seine Opfer, oft Ausreißer oder Stricher, hatte er zumeist am Hauptbahnhof kennengelernt und sie mit nach Hause genommen.localpic / Imago

Man nannte ihn den Schlächter, den Kannibalen, den Vampir, den Werwolf von Hannover – Fritz Haarmann, der berüchtigte Serienmörder der Zwanziger Jahre. Seine Opfer: Mindestens zwei Dutzend Jungs und junge Männer. Für deren brutale Ermordung wurde Haarmann am 15. April 1925 hingerichtet. Wie viele er wirklich getötet hat, weiß man bis heute nicht. 

In der Nacht starrten ihn beleuchtete Schädel aus den Ecken seiner Gefängniszelle an, die Augenhöhlen mit rotem Papier beklebt. In einem Winkel der Zelle lag ein Sack mit Menschenknochen. Derart mürbe gemacht, gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit schließlich zu: Er war es, der als „Werwolf von Hannover“ mindestens 24 Jungen und junge Männer bestialisch getötet hatte.

Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Straße Lieder über den unheimlichen Mörder, zu einer damals populären Schlagermelodie: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir. Mit dem kleinen Hackebeilchen ...“

Die morbide Faszination des Falls Fritz Haarmann hält an

„Dieser Fall ist für mich immer ein gewisses Rätsel geblieben“, sagte der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums in Nienburg, Dirk Götting. Es sei eigenartig, dass der Fall des pädophilen Serienmörders „über die Jahre einen solchen Status bekommen“ habe: „Es ist immer ein mediales Großereignis gewesen.“ Eine morbide Faszination bleibt – offensichtlich.

Denn der beispiellose Fall fesselt wohl auch Künstler – Götz George verkörperte Haarmann 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm „Der Totmacher“, entstanden anhand der protokollierten Gespräche, die der Psychiater Ernst Schultze mit Haarmann führte. Am Schauspiel Hannover gab es ein Musical, der Fall Haarmann wurde darüber hinaus literarisch verarbeitet, etwa als Graphic Novel. In Hannover gibt es zudem Stadtführungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers. Und: Der Serienmörder mit dem Hackebeil tauchte in Hannover als Figur auf einem Adventskalender auf.

Die Dachkammer von Fritz Haarmann, in die er seine Opfer lockte. Dann fiel er über sie her und ermordete sie bestialisch.
Die Dachkammer von Fritz Haarmann, in die er seine Opfer lockte. Dann fiel er über sie her und ermordete sie bestialisch.localpic / Imago

Schon früh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf Ausstellungen präsentiert: 1926 gab es eine große Polizeiausstellung in Berlin – dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus der Roten Reihe, wie Götting sagte. Unter anderem an dieser Adresse in Hannover wohnte der Serienmörder.

Das Haus (3.v.l.) in der Roten Reihe im Altstadtviertel von Hannover, in dem Fritz Haarmann unterm Dach wohnte.
Das Haus (3.v.l.) in der Roten Reihe im Altstadtviertel von Hannover, in dem Fritz Haarmann unterm Dach wohnte.localpic / Imago

Fritz Haarmann biss seinen Opfern die Halsschlagader durch

Was weiß man über den Fall? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der polizeibekannte Kriminelle männliche Jugendliche und junge Männer im Alter zwischen 10 und 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss ihnen – womöglich in Ekstase – die Halsschlagader durch. Viele waren Ausreißer und wurden in den Wirren der Nachkriegszeit zunächst nicht vermisst. Die Leichen zerstückelte er und warf sie in die Leine, die Kleidung verkaufte er. Als Kinder am Ufer der Leine im Frühjahr 1924 Knochen fanden, waren dies erste Hinweise auf die Mordserie.

Am 22. Juni 1924 wurde Fritz Haarmann festgenommen – zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Die Polizei fand bei der Durchsuchung seiner Wohnung Hinweise auf die Verbrechen, darunter Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstücke junger Männer. Allerdings gab es lange vorher Hinweise – zum ersten Mord Haarmanns soll es schon 1918 gekommen sein. Nur: Hinweise aus der Bevölkerung kannte man nicht im Kaiserreich, sie wurden nicht ernst genommen, wie Götting erklärte.

Der Serienmörder Fritz Haarmann war Polizeispitzel

Dazu kam: Der bekannte Kleinkriminelle diente der Polizei als Spitzel. Fritz Haarmann versorgte die Behörde nach dem Ersten Weltkrieg mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Hinweisen auf Haarmann als Täter ging die Polizei daher zunächst nicht nach – man kannte sich schließlich. Als die Beweise eindeutig waren, wurde er festgenommen und sogar gefoltert, wie Götting sagte.

Fritz Haarmann (Mitte) wird von Kriminalbeamten in Handschellen gehalten und gefilmt.
Fritz Haarmann (Mitte) wird von Kriminalbeamten in Handschellen gehalten und gefilmt.dpa

Im Polizeimuseum in Nienburg ist unter anderem der Nachbau einer Zelle des Polizeigewahrsams in Hannover in der Weimarer Republik zu sehen. Dort saß Haarmann nach seiner Verhaftung ein. Auch ein Beil wird gezeigt. Dessen Provenienz sei aber fragwürdig, bei einer forensischen Untersuchung vor 25 Jahren seien keine Spuren gefunden worden, sagte der Polizeihistoriker.

Haarmann gestand schließlich nach tagelangem Verhör. Der Psychiater Ernst Schultze sollte untersuchen, ob er zurechnungsfähig war – und kam zu dem Schluss, dass Haarmann für seine Taten verantwortlich war. Im Dezember 1924 verurteilt das Landgericht Hannover den Serienmörder zum Tode, am 15. April 1925 wurde er enthauptet. Sein in Formalin eingelegter Kopf lagerte lange in der Göttinger Rechtsmedizin und wurde erst 2014 eingeäschert und anonym bestattet.

Wie viele Menschen tötete Fritz Haarmann wirklich?

Prozess und Urteil sorgten immer wieder für Kritik: An der Zurechnungsfähigkeit Haarmanns zum Zeitpunkt der Morde hätte zumindest gezweifelt werden müssen, schrieb Christine Pozsár, Expertin für forensische Psychiatrie, in „Die Haarmann-Protokolle“. Seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten dürfte zumindest erheblich eingeschränkt gewesen sein. Misshandlungen Haarmanns in seiner Kindheit kamen demnach kaum zur Sprache, Krampfanfälle und mögliche organische Schäden nach einer Hirnhautentzündung auch nicht.

Vieles dürfte für immer ungeklärt bleiben: Kannibalismus wurde Haarmann vorgeworfen, aber nie nachgewiesen. Fraglich bleibt auch, wie viele Menschen Haarmann tatsächlich getötet hatte. Götting: „Es spricht sehr viel dafür, dass die Zahl höher ist als die, für die er verurteilt wurde.“ ■