Eine 59-jährige Frau, die unter Rückenschmerzen litt, bekam eine Kurz-Narkose gespritzt. Es folgt ein Atemstillstand, Wachkoma und schließlich der Tod nach 92 Tagen. Mehr als fünf Jahre später hat das Landgericht Berlin den Arzt zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt!
Hätte die 59-jährige Frau sterben müssen? Nein, denn nach Überzeugung der Richter sind dem Mediziner mit deutscher und bulgarischer Staatsangehörigkeit mehrere Versäumnisse anzulasten. Richterin Eva Raidt sagte, der Angeklagte habe „leichtfertig“ mehrere Standards verletzt. Zudem darf der heute 78-Jährige nicht mehr als Arzt praktizieren.
Die Patientin wurde am 27. Januar 2020 wegen eines Rückenleidens von einem Orthopäden in Berlin-Kreuzberg behandelt. Sie sollte eine schmerzstillende Spritze in den Lendenwirbelbereich erhalten. Der Orthopäde zog einen Anästhesisten hinzu, um die Frau in eine kurze Narkose zu versetzen.
In Berlin: „Grobe Behandlungsfehler“
Doch während des Eingriffs kam es zu Komplikationen: Die Patientin erlitt einen Atem- und Herzstillstand. In der Folge erlitt sie einen schweren Hirnschaden und fiel in ein Wachkoma. Die in der Arztpraxis durchgeführte Reanimation blieb erfolglos. Die 59-jährige Mutter erwachte bis zu ihrem Tod infolge einer Lungenentzündung Ende April 2020 nicht mehr.
Erst gut fünf Jahre später kam der Mediziner vor Gericht. Laut Richterin Raidt ist dies vor allem auf eine Überlastung der Justiz zurückzuführen. Die lange Verfahrensdauer habe das Gericht bei seinem Urteil berücksichtigt. Die Strafe bewege sich am alleruntersten Rand, so Raidt. Bis zu 15 Jahre Haft sind nach dem Gesetz möglich.
Laut der Richterin habe er „ganz, ganz grobe Behandlungsfehler“ begangen und mit einer „an Vorsatz grenzenden Fahrlässigkeit“ gehandelt. Der 78-Jährige habe in dem Glauben gehandelt, es werde schon gutgehen. Für das Gericht ist dies ein „Ausdruck einer maßlosen Selbstüberschätzung“.

Prozess erst nach rund fünf Jahren
Mit seinem Urteil blieb das Gericht etwas unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese hatte eine Strafe von drei Jahren und neun Monaten gefordert. Die Verteidigung hatte hingegen einen Freispruch beantragt. Seit Anfang Mai versuchte das Gericht, den Hergang der Behandlung zu rekonstruieren. Dabei spielten die Aussagen der Tochter der Patientin eine große Rolle. Sie hatte während des Eingriffs in den Praxisräumen gewartet und plötzlich ein Japsen gehört, wie Richterin Raidt bei der Urteilsbegründung beschrieb. Die Tochter habe durchs Schlüsselloch geschaut und gehört, wie der Arzt rief: „Jetzt nicht, jetzt nicht. Komm zurück.“
Laut Urteil setzte der Anästhesist schließlich einen Notruf ab. Die dramatischen Ereignisse verschwieg er nach Überzeugung des Gerichts jedoch. So habe er die Notärztin nicht umfassend und wahrheitsgemäß über den Verlauf der Behandlung informiert. Auch später habe er auf Nachfragen unwahre Angaben gemacht. Eine Klinikärztin erstattete seinerzeit Anzeige, da das Reanimationsgeschehen im Krankenhaus zunächst unbekannt gewesen war.
Tochter verfolgt dramatisches Geschehen
Bevor es überhaupt zu dem Eingriff kam, hat der Arzt nach Überzeugung des Gerichts die Patientin nicht über die Risiken einer Vollnarkose und mögliche Alternativen aufgeklärt. Er habe sie auch nicht nach Größe und Gewicht gefragt. Schließlich habe er ohne Überwachung sediert und die Notfallsituation und deren Ernsthaftigkeit nicht erkannt. Durch den Atem- und Herzstillstand sei die Frau minutenlang ohne Sauerstoffversorgung geblieben.
Der bislang unbescholtene Arzt hatte vor Gericht gesagt, er habe große Schuldgefühle. Er ist nach eigenen Angaben heute als Anästhesist bei Schönheits-Operationen tätig. „Dazu sind sie unseres Erachtens nicht mehr geeignet“, so die Richterin und sprach den 78-Jährigen der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Zudem soll er nicht mehr als Anästhesist tätig sein können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.