Die Schlagzeilen vor dem Duell der kriselnden Hertha bei Tabellenführer Hannover 96 lauteten wenig schmeichelhaft. „Hertha BSC und der Berliner Weg erreichen kritischen Punkt“ (ntv), oder „Hertha BSC in der Krise: Der Baum brennt bereits lichterloh“ (t-online). Der Grund für die kritische Tonlage lag auf der Hand.
In den Auftritten vor Hannover hatte das Team die Grundtugenden, die im Profifußball notwendig sind, meist vermissen lassen, also Laufbereitschaft, Kampfkraft, Leidenschaft, gegenseitige Unterstützung. Stattdessen gab es blutleere Vorstellungen zu sehen und die Stimmung im Verein und in der großen, treuen Fangemeinde begann bedenklich zu kippen.
Nun also gelang am fünften Spieltag der sogenannte Befreiungsschlag. Der 3:0-Sieg beim boomenden Spitzenreiter Hannover 96 könnte die Wende zum positiven Saisonverlauf bei Hertha einleiten, an dessen Ende im besten Fall der Aufstieg stehen sollte.
An Tjark Ernst richtete sich Hertha auf
Dabei war es ein äußerst schmaler Grat zwischen der nun neu erwachten Hoffnung auf starke Leistungen und einer heftigen Krise. Manchmal entscheiden ein vergebener Elfmeter, ein unglücklicher Pfostenschuss oder ein einziger Torwartfehler über Wohl und Wehe eines Vereins. Auch beim Auswärtsspiel in Hannover ging es nicht nur um drei Punkte, es ging um die weitere Entwicklung des Klubs und auch um Verantwortliche, deren Wirken man bei einer weiteren Niederlage ernsthaft hinterfragt hätte.

Zum Glück ist es anders gekommen. Und: Es gab keinen Torwartfehler, sondern einen bravourösen Berliner Keeper. Was wäre passiert, wenn der hellwache Tjark Ernst in den ersten zehn stürmischen Minuten der Gastgeber nicht zweimal mit Glanzparaden einen frühen Rückstand verhindert hätte? Am jungen Torhüter aber konnte sich die Mannschaft aufrichten und Energie entwickeln. Dennoch: Grund zur Euphorie gibt es nicht, denn der Sieg hing lange auch am seidenen Faden.
Warum aber setzt Hertha meist erst dann zum Befreiungsschlag an, wenn tatsächlich der Baum lichterloh brennt? So geschehen im März 2025, als man am Abgrund zur Dritten Liga stand und mit einem fulminanten 5:1-Sieg bei Eintracht Braunschweig die sportliche Wende einleitete.
Als Wende legendär ist das Lautern-Spiel
In der turbulenten Klubgeschichte gab es immer wieder Befreiungsschläge oder Wendepunkt-Spiele, die enorm viel bewirkten, zum Brustlöser taugten, aber nicht immer zum glücklichen Ende führten. Stets im Gedächtnis wird mir und vor allem den älteren Anhängern das legendäre 2:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern am 7. April 1997 bleiben, das vor 75.000 Zuschauern – zum ersten Mal nach 18 Jahren war das Olympiastadion bei einem Hertha-Spiel wieder ausverkauft – einen gewaltigen emotionalen Aufbruch brachte. Hertha befreite sich damals nach tristen Jahren aus der Zweiten Bundesliga.

Der Auftakt in der Beletage verlief dann holprig. Nach zahlreichen Niederlagen und einem 0:4 bei Hansa Rostock als Höhepunkt spielte das Team am 25. Oktober 1997 gegen den Karlsruher SC auch um den Job seines Cheftrainers Jürgen Röber. Bei einer Niederlage wäre der gefeierte Aufstiegscoach sofort gefeuert worden. Der Befreiungsschlag gelang mit einem 3:1-Erfolg. Danach gab es fünf Siege und ein Remis. Röbers Ära dauerte bis Februar 2002 an.
Was bedeutet der Triumph in Hannover?
Auch in jüngerer Zeit gab es Spiele, die die Bezeichnung Befreiungsschlag verdient haben. So fegte das Team unter Trainer Pal Dardai als Absteiger in Liga zwei am 26. August 2023 die SpVgg Greuther Fürth mit 5:0 aus dem Olympiastadion, nachdem es zuvor zum Auftakt wegen finanzieller Probleme mit einer völlig unfertigen Mannschaft drei herbe Niederlagen gegeben hatte. Am Saisonende aber blieb nur Rang 9 – und gar die Trennung von Dardai.