„Wir haben einen Kollegen verloren, wir wollen keinen zweiten verlieren“
Soydan A. soll sich im Dienst an der Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg mit dem für ihn tödlichen Virus infiziert haben. Gewerkschaftler Akgün stellt die bange Frage: Wie sicher sind unsere Schulen wirklich?

Drei Hinweisschilder sind am Eingangstor der Carl-von Ossietzky-Gemeinschaftsschule in Berlin-Kreuzberg angebracht. Zwei davon sollen die Schüler davon abhalten, mit einem E-Scooter über das weitläufige Areal zwischen Blücher- und Urbanstraße zu sausen. Das dritte gibt eine Verhaltensregel im Umgang mit der Corona-Pandemie vor. Schwarz und Rot ist da Folgendes auf Weiß gedruckt: „Auf dem ganzen Schulgelände ist der Mund- und Nasenschutz PFLICHT!!!“
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Soydan A. war Lehrer an dieser Schule, ein fähiger, ein beliebter, wie sich aus den zahlreichen, über die sozialen Medien in die Öffentlichkeit gebrachten Trauerbekundungen ablesen lässt. Er unterrichtete in den Fächern Deutsch, Türkisch und Ethik. Das ist Fakt. Vermutet wird nun, von Familienmitgliedern, aber auch von einigen Kollegen, dass er sich im Dienst mit dem Corona-Virus infiziert hat und an den Folgen der Erkrankung am vergangenen Donnerstag im Benjamin-Franklin-Krankenhaus gestorben ist. Ja, sogar Soydan A. selbst habe mehrmals vom Krankenbett aus mittels Textnachrichten diesen Verdacht geäußert. Das berichtet Gökhan Akgün, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Friedrichshain-Kreuzberg, dem Berliner KURIER am Telefon.
Am 10. November, nachdem es an der Carl-von-Ossietzky-Schule unter den Pädagogen und Schülern zu mehreren Infektionsfällen gekommen war, habe man Soydan A. nach Hause geschickt, erzählt der aufgewühlte Akgün, nach fünf Tagen seien die typischen Symptome aufgekommen. „Dann wurde es schlimmer“, fährt Akgün fort. Und wenn er das alles in Betracht ziehe, die Fälle, der Kontakt, dann könne er zu keinem anderen Schluss kommen, als dass die Todesursache „höchstwahrscheinlich“ Covid-19 ist.
Mobile Testbusse ab Januar
Der Fall hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Bedrängnis gebracht. Im Besonderen natürlich Sandra Scheeres, die noch Mitte November im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses erklärt hatte, dass „Schulen und Kitas die sichersten Orte sind, um Infektionsketten zu durchbrechen“.
Ganz so sicher sollte man sich da nicht mehr sein, wenngleich auch im Zusammenhang mit dem Ableben von Soydan A. eine eindeutige Beweisführung nahezu unmöglich ist.
Hätte nicht auch ein anderer Kontakt, vielleicht einer aus der Familie der Auslöser für den tragischen Lauf der Dinge sein können? Und lag tatsächlich keine Vorerkrankung vor, wie die betroffene Familie gegenüber Akgün noch einmal ausdrücklich betont hat?
Scheeres beließ es bei einer offiziellen Mitteilung: „Der Tod dieses engagierten und von allen sehr geschätzten Lehrers zeigt uns einmal mehr, wie schrecklich dieses Virus ist. Ich übermittele der Familie und den Angehörigen mein tief empfundenes Mitgefühl.“
Die bange, nur durch den harten Lockdown nicht mehr ganz so akute Frage bleibt: Wie sicher sind unsere Schulen? Wie es nach den zwangsweise verlängerten Ferien weitergehen soll, ist noch unklar. Busse mit mobilen Testteams, die bis dato nur vor Kitas haltmachten, sollen ab Januar nach einer von Schulaufsicht und den Gesundheitsämtern erstellten Prioritätenliste auch Schulen ansteuern. Die Senatsschulverwaltung setzt sich unterdessen aber auch mit dem Szenario einer fortgesetzten Schließung der Schulen auseinander.
Akgün ist dies alles nicht genug. Er sagt: „Wir müssen die Lage ernst nehmen, die Infektionsgefahr muss gering gehalten werden. Wir wissen aber ganz genau, dass die Schulen offen bleiben sollen. Wegen der Gefahr einer Bildungslücke, was man ja nachvollziehen kann, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und das ärgert die Kollegen.“
Er fordert Aufklärung und eine Lösung für den Schulbetrieb, denn: „Erst muss die Schule sicher sein, für die Kids, für die Lehrer, erst dann kann man sie wieder öffnen. Wir haben einen Kollegen verloren, wollen keinen zweiten verlieren.“