Prozess gegen Oberarzt

Tatort Charité: Hat da jemand „Gott gespielt“?

Staatsanwalt wirft Herzmediziner Gunther S. vor, zwei Patienten totgespritzt zu haben.

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Blick auf den Eingang zum Charité-Campus Virchow-Klinikum am Augustenburger Platz
Blick auf den Eingang zum Charité-Campus Virchow-Klinikum am Augustenburger PlatzJoerg Carstensen/dpa

Patienten vertrauten darauf, bei ihm in den besten Händen zu sein. Doch der top Herzmediziner von der berühmten Berliner Charité soll Patienten totgespritzt haben.

Oberarzt Gunther S. (56) steht nun wegen Totschlags in zwei Fällen vor Gericht – vorgeführt aus der Untersuchungshaft. Mitangeklagt ist eine Krankenschwester: Katja W. (39), auf Beihilfe in einem Fall lautet die Anklage gegen sie.

Ein „Todesarzt“? Davon geht die Staatsanwaltschaft aus. Im August 2022 gab es einen ersten Verdacht gegen S., umgehend seine Suspendierung, vor fünf Monaten dann die Festnahme.

Der Mediziner nun in dunklem Anzug und weißem Hemd, ein Notizblock vor ihm. Seine Anwältin: „Derzeit keine Aussage.“ S. wolle sich aber „grundsätzlich äußern“. So ist es auch bei Katja W.

Die Charité – Campus Virchow-Klinikum, kardiologische Intensivstation – wurde laut Anklage zum Tatort. Der Oberarzt habe sich „aus eigensüchtigen Motiven als Herr über Leben und Tod aufgespielt“, so die Sicht von Staatsanwalt Martin Knispel.

Prozess gegen Charité-Arzt: „Aus eigensüchtigen Motiven als Herr über Leben und Tod aufgespielt“

22. November 2021. Gegen 10.30 Uhr ein Herzpatient in einem höchst kritischen Zustand. Doch S. soll angeordnet haben, „die laufende und zunächst erfolgreiche Reanimation einzustellen“, heißt es in der Anklage. Zur Erklärung habe er mitgeteilt, er habe festgestellt, dass die Herzklappen des 73-Jährigen nicht mehr funktionsfähig seien.

Der Facharzt für Innere Medizin soll dann ohne medizinischen Grund veranlasst haben, eine Spritze mit Propofol aufzuziehen – ihm sei bewusst gewesen, dass die angeordnete Menge des Sedierungsmittels für den Mann tödlich sein würde, so die Anklage.

Schwester W. wird vorgeworfen, die Spritze gesetzt zu haben – „zögerlich“ habe sie es getan. Wider Erwarten habe das Herz des Schwerstkranken nicht aufgehört zu schlagen. Da soll der Doktor selbst zur Spritze gegriffen und eine weitere Dosis injiziert haben.

Der Platz an der Anklagebank ist noch leer. Der Arzt kam erst, als die Fotografen aus dem Gerichtssaal waren. Neben dem leeren Stuhl steht die mitangeklagte Krankenschwester.
Der Platz an der Anklagebank ist noch leer. Der Arzt kam erst, als die Fotografen aus dem Gerichtssaal waren. Neben dem leeren Stuhl steht die mitangeklagte Krankenschwester.Pressefoto Wagner

Tatort Charité: Wurden auf der Herz-Station zwei Patienten totgespritzt?

Am 23. Juli 2022 soll der Arzt eine bewusstlose und beatmete Patientin (73), die gerade per Rettungsdienst eingeliefert worden war, mit zwei Überdosen des Sedierungsmittels getötet haben. Nach der ersten Spritze habe er das Beatmungsgerät abgestellt.

Eine Nebenklage-Anwältin, die die Ehefrau des 73-Jährigen im Prozess vertritt: „Nachdem ich mir die Anklage angesehen habe – ich war wirklich erschrocken, es hätte jeden von uns treffen können.“ Und: „Nach meinem Eindruck hat jemand wirklich Gott gespielt.“

So sieht es auch die Staatsanwaltschaft, sie erhob Anklage wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Die zuständige Kammer des Landgerichts aber bewertete den Fall anders: Es bestehe in beiden Fällen lediglich ein hinreichender Tatverdacht für den Straftatbestand des Totschlags. Mordmerkmale seien nach Aktenlage nicht erkennbar. Am Rande hieß es: „Es könnte sich um Mitleidstötungen gehandelt haben.“

Ein Hinweis aus dem Klinikum führte zu den Ermittlungen: Über eine Art Whistleblower-System mit Vertrauensanwälten soll sich eine Augenzeugin gemeldet haben. Das System war als Konsequenz aus einer Mordserie durch eine Charité-Krankenschwester eingerichtet worden – 2007 wurde „Schwester Tod“ zu lebenslanger Haft wegen Tötung von fünf Patienten verurteilt.

Die „Whistleblowerin“ soll nun am 7. November als erster Zeuge befragt werden.  ■