Um eines gleich vorweg mal klarzustellen: Fotomodelle sind nicht zum Anfassen da, sondern zum Fotografieren. Eine Regel, die manch ein Fotograf aber nicht begreifen will.
„Es gibt Männer, die glauben, antatschen sei im Honorar mit inbegriffen. Das sind allerdings meist die Amateure, während die Profis ihre Finger am Auslöser lassen“, erklärt mir Vanessa Wolff. Seit zehn Jahren ist die 31-Jährige deutschlandweit als Model unterwegs. München, Düsseldorf, Frankfurt/M und Hamburg sind fast das zweite Zuhause der Neuköllnerin.
Wir sitzen in einem Kreuzberger Café und Vanessa erzählt mir von ihren Erfahrungen in der Branche. „Anfangs hatte ich ziemlich viel Hemmungen meinen Standpunkt klarzumachen und so manches Shooting ist in die Hose gegangen, weil ich es vorzeitig abgebrochen habe. Natürlich habe ich gerne Sex, sehr gerne sogar. Allerdings nur mit meinem Freund. Ich bin monogam und mit Benny glücklich.“
Vanessa lacht, winkt dem Kellner und bestellt eine große Flasche Mineralwasser. Aber bitte mit Kohlensäure, ruft sie ihm noch hinterher.

Angefangen hat sie mit siebzehn. Da war sie Friseurlehrling in Hannover. Ein Kunde fragte, ob er ein paar Portraits von ihr machen könne. „Ich war damals sehr introvertiert, übersensibel und jeder skeptische Blick hat Panik bei mir ausgelöst. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ein Fotograf an mir fände.“
Früher fühlte ich mich als graue Maus
Heute ist Vanessa nicht mehr schüchtern und ziemlich selbstbewusst. Der Kellner bringt das Mineralwasser und zwei Gläser. Während er auf Vanessas Beine schaut, geht so mancher Tropfen beim Einschenken daneben.


„Meine ersten Aktaufnahmen machte ich heimlich im Keller meiner Schwester in Hannover. Den Fotografen kannte ich gut und ich ließ zum ersten Mal Kleider und Hemmungen fallen. Er bemalte meinen Körper mit Motiven des spanischen Malers Joan Miro. Es sind Klassebilder geworden.“
Kurz darauf zog Vanessa zu einer Freundin nach Berlin, und stellte sich mit Fotos auf der Internetplattform „MK-Modelkartei“ vor.
„Über die vielen Angebote war ich überrascht, denn ich selbst fühlte mich als graue Maus. Doch je öfter ich vor der Kamera stand, desto sicherer wurde ich.“
Manche nutzen die Kamera nur als Vorwand
Natürlich lief nicht alles super ab. Da war zum Beispiel der Münchner „Fotograf“, der mit einer Minikamera in einer Stunde viermal auf den Auslöser drückte. Die meiste Zeit starrte er mich lediglich nur an. Mir war ganz mulmig und ich war froh, als die Zeit um war. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt einen Film drin hatte. Heute würde ich jedenfalls nicht noch einmal machen.“

Nach Vanessas Erfahrung gibt es drei verschiedene Männertypen, die ein Aktmodell buchen.
50 Prozent wollen schöne Fotos machen und haben tolle Ideen, 30 Prozent wollen lediglich eine nackte Frau knipsen und zwanzig von hundert benutzen die Kamera nur als Vorwand.
„Einige prahlen mit den Bildern und behaupten sogar, ich sei ihre Freundin. Ich sehe das gelassen. Jeder hat seine Macken. Inzwischen habe ich soviel Selbstsicherheit, dass ich mich auf jeden kauzigen Typen einstellen kann.“
Richtig sauer wurde sie allerdings bei einem Berliner, der ihr 400 Euro aus der Tasche stahl. „Für die Fotos hatte ich mich mit Öl eingerieben und ging danach duschen. Diese Zeit hat er zum Klauen benutzt. Danach hat er mich sozusagen mit meinem eigenen Geld bezahlt.“

Vanessa reist gern, allerdings nur mit der Bahn, denn sie hat Angst vorm Fliegen.
Von ihrer Geburtsstadt Hannover bis zur jetzigen Wohnung ist sie elfmal umgezogen, denn in jungen Jahren war sie ein unruhiger und zappliger Typ. „Jetzt aber bin ich angekommen und habe mich mit meinem Freund Benjamin in Neukölln gemütlich eingerichtet.“
Hier hat sie auch genügend Platz für ihr ausgefallenes Hobby. Sie sammelt, züchtet, verkauft und tauscht Pflanzen. Zwanzig Töpfe mit Flamingoblumen (Anthurien) und 150 Töpfe mit Koyas von weiß über rosa bis rot stehen auf den Fensterbrettern und in einer Glasvitrine.

Sie gießt mir Wasser nach, ihre roten Fingernägel schimmern in der Abendsonne und Vanny, wie sie ihre Freunde nennen, steckt sich eine Zigarette an. Ich habe zwei Laster, verrät sie mir und grinst wie eine Zwölfjährige, die mit dem Finger im Marmeladenglas er wischt wurde. „Ich rauche zu viel und komme leider oft zu spät. Doch an beiden Unarten arbeitete ich täglich.“
Nacktfotos mitten auf dem Kudamm – mit Opa
Auf meine Frage, was ihr aufregendstes Shooting war, schießt es spontan aus ihr heraus. „Letztes Jahr bin für eine Zeitschrift nackt über den Kudamm gelaufen. War sehr aufregend und an der Ecke Joachimsthaler gab es einen heftigen Menschenauflauf. Ein altes Pärchen, ich schätze mal so Mitte achtzig, blieb stehen, die alte Dame lächelte mich an und stupste ihren Mann zu mir rüber und machte ein Foto von Opa und von mir.“
Als Laufstegmodell ist sie mit 1 Meter 60 zu klein. Doch mit den Traummaßen 79-60-82, 46 Kilo und ihren braunen sinnlichen Augen gehört sie zur Elite.
„Ich zeige mich gerne nackt. Es mach mir Spaß, die Hüllen fallen zu lassen. War ich früher introvertiert, bin heute eher das Gegenteil. Ich genieße die Blicke der Männer, denn jeder Blick bedeutet ein Kompliment. Leider kommt es hin und wieder auch vor, dass einem Fotografen die Fantasie durchgeht. Erst zuppeln sie an der Bluse rum, als Nächstes liegen ihre Finger auf meiner nackten Schulter und dann, na ja, du weißt schon. Meist sehe ich es an den Augen und dann schalte ich total auf kühl und Rührmichnichtan um.“
Besonders dreist war einer, der Bondagefotos für einen Katalog machen wollte. Als er ihr das Seil um den Körper knotete, berührte er wie zufällig ihre Brüste. „Als das noch ein zweites Mal passierte, bat ich ihn, er solle das bitte lassen. Da wurde er sauer und beschimpfte mich als Zicke. Ich wickelte das Seil ab und weg war ich. Und das in knapp drei Minuten. Als ich draußen war, musste ich erstmal heulen. So ein Arsch, dachte ich.“
Eine Wespe fliegt um mein Glas und ich will sie vertreiben. „He Rolf, bleib ganz locker und erschrecke sie nicht. Ich bin gegen Bienen- und Wespenstiche hochallergisch. Wenn sie mich sticht, kannst du mich gleich ins Krankenhaus fahren.“
Ist Vanessa unterwegs, bucht sie stets ein schön eingerichtetes Zimmer mit Balkon, das auch als Fotolocation dient.
Shooting in Messiwohnung oder auf dem Bauernhof
„Eine schöne Umgebung ist inspirierend für den Fotografen und für mich. Ich hatte auch schon Shootings in einer Burg, in einem Schloss und sogar in einer Zahnarztpraxis. Mein schlimmstes Erlebnis war in einer Messiwohnung. Am liebsten wäre ich gleich wieder verschwunden, doch der Mann tat mir leid. Er hatte starke Rückenprobleme. Also griff ich mir Stabsauger, Besen und Scheuerlappen und habe geputzt.“
Viel Spaß machen ihr Workshops. Zum Beispiel auf einem Bauernhof, in den verlassenen russischen Kasernen oder Lost Places.
„Da ist die Herausforderung besonders groß. Oft sind es fünf bis sechs Fotografen und jeder hat andere Wünsche. Mal mit geschlossenen Augen, dann wieder mit Schlafzimmerblick. Für den einen soll ich schwarze Strapse tragen, für den anderen rockermäßig mit Lederjacke posieren. Nackt mit Zigarette, oder als Magd auf einem Traktor. Am lustigsten fand ich die Idee, nur mit einem Kopftuch bekleidet, Gänse zu füttern.“
Das Interview war fertig, beide waren wir zufrieden und da Vanessa zu Karstadt wollte, bot ich ihr an, sie dort abzusetzen.