Nur zwei Euro trennen Hildegard von einer roten Vase. Die Frau kann sich nicht entscheiden: „Ich weiß gar nicht, ob ich sie will.“ Schließlich ist ihre Einkaufstasche bereits gefüllt. Mit ihrem Sohn Lorenz hat Hildegard auf dem Berliner „Nowkoelln Flowmarkt“ eine rote Blechschachtel ergattert, in der bald ihr Putzzeug Platz findet. Auch eine DDR-Taschenlampe für einen Euro und eine Micky-Maus-Figur für fünf Euro konnte sie erstehen.
Um die rote Vase liefern sich Hildegard und der Händler ein Bietergefecht. „Bei uns bekommt man das Event dazu“, sagt Flohmarkt-Veranstalter Michael Groß. Für die etwa 160 Stände am Neuköllner Maybachufer hat Ende März die Saison begonnen. Auch bei schlechtem Wetter stapfen zahlreiche Menschen über den matschigen Bürgersteig.
Der 49-Jährige betreibt noch einen weiteren Flohmarkt in Schöneberg; beide wechseln sich im Zweiwochenrhythmus an den Sonntagen ab. Sie sind zwei von rund 30 Märkten Berlins: Von Spandau bis Friedrichshagen verteilen sie sich an den Wochenenden und Feiertagen über die Bezirke der Hauptstadt.
Wie beim „Nowkoelln Flowmarkt“ treffen die Kunden meist auf ein Sammelsurium an Waren. Andere wie der „Berliner Fahrradmarkt“ oder der „Kunstmarkt am Zeughaus“ locken mit einem spezialisierten Angebot.

Trödelmärkte sind Magnet für Berliner und Touristen
Obwohl der Hausrat mittlerweile auch von der Couch aus im Netz verkauft werden kann, sind Flohmärkte weiterhin eine feste Institution. Zu den Pionieren gehörte Michael Wewerka: In den frühen 70er-Jahren gründete er den ersten Freilufttrödelmarkt Berlins, der an der Straße des 17. Juni seinen dauerhaften Platz gefunden hat.
Der heute 87-Jährige hat vor mehr als 50 Jahren begonnen, Sachen einzusammeln, die vor seiner Haustür entsorgt wurden. „Ich habe das ins Leben gerufen, weil mich diese Sperrmüllgeschichten geschmerzt haben“, so Wewerka. „Das ist Ware, die keine Ressourcen mehr zerstört.“
Auf seinen Markt kommen Berliner und Touristen. „Die Flohmärkte tragen zum bunten und vielfältigen Freizeitangebot bei, das Berlin so attraktiv macht“, heißt es dazu von der Senatsverwaltung für Wirtschaft. Laut dem Qualitätsmonitor Deutschlandtourismus ist Shopping nach Angaben der Tourismusorganisation Visit Berlin für 27 Prozent der inländischen Berlin-Besucher eines der Hauptmotive.
So auch für Jana aus Stuttgart, die in Neukölln am Stand von Marlene für 20 Euro einen Rock erstanden hat. „Entsprechend der Leute, die hier wohnen, sind die Sachen auch cool“, sagt die Touristin, die sich über „die guten Vibes“ freut.

Bares für Rares in Berlin: „Von minus zwei Euro bis plus 150 Euro ist alles dabei“
Marlene und ihre Mitstreiter sind zum ersten Mal mit ihrem Stand vor Ort, um ihre privaten Designerklamotten zu verkaufen. Marlene arbeitet eigentlich bei einer Bank und möchte an diesem Sonntag kein großes Geld machen, sondern einfach Spaß haben. Im Hintergrund hängt ein beigefarbener Blazer, wie sie ihn bei der Arbeit tragen müsse. Neu habe er 500 Euro gekostet. Jetzt versucht sie, ihn für 100 Euro loszuwerden.
Susanne hingegen belegt häufiger einen Stand in Neukölln und hat Erfahrungen im Trödelgewerbe gesammelt. „Bei mir sind einfach viele Menschen gestorben“, sagt sie. Jetzt möchte sie die Sachen weitergeben, anstatt sie wegzuwerfen. „Von minus zwei Euro bis plus 150 Euro ist alles dabei“, sagt sie über die Margen der letzten Male.
Ein Stand am Neuköllner Maybachufer kostet für Privatleute 55, für Gewerbetreibende 60 Euro. Innerhalb weniger Minuten nach Anmeldebeginn seien die Plätze vergeben, so Veranstalter Groß. Er selbst müsse Miete an das zuständige Bezirksamt zahlen.

Früh und spät sind Glückstreffer am wahrscheinlichsten
Seinen Flohmarkt zeichne aus, dass viele Privatleute ihre Sachen verkaufen. „Familien müssen immer ausmisten“, sagt er. So betreibt auch die Geschäftsführerin des Recherchenetzwerkes Correctiv, Jeannette Gusko, einen Stand, auf dem sie die Klamotten und Spielzeuge ihrer Kinder verkauft.
„Für mich ist das wie eine Familie“, sagt Werwerka über die Händler seines Marktes an der Straße des 17. Juni. Rund 70 bis 80 Prozent seien gewerbliche Händler, die aus unterschiedlichen Ländern kommen und ihre Ware deutschlandweit verkaufen. Die Zusammensetzung variiere an den verschiedenen Markttagen. Auch die Nachfrage schwankt: Früher hätten die Kunden Wanduhren und Biedermeier-Schränke kaufen wollen, heute sind es Silber und Porzellan.
„Die Schnäppchenfrequenz ist sehr hoch“, sagt Marktleiter Groß über seinen Neuköllner Flohmarkt. Wer fündig werden will, dem empfiehlt Standbesitzerin Susanne früh zu kommen. „Der späte Vogel ist aber auch nicht zu unterschätzen“, sagt sie. Schließlich hätten viele Händler auch Nachschub hinter dem Stand versteckt. „Man findet immer was anderes, was man auch braucht.“
Ob es bei Hildegard und der roten Vase auch so ist? 30 Euro sind ihr eigentlich zu viel, der Händler erbarmt sich und geht auf 25, dann 22 Euro. Mit einer seitlichen Drehung deutet Hildegard an, zu gehen – und lässt den Deal platzen.
Bares für Rares in Karlshorst: Ein Ehepaar aus Wien betreibt einen der größten Trödelmärkte Berlins

Auch der Riesenflohmarkt auf der Trabrennbahn hat sich in der Berliner Trödlerszene etabliert. Jeweils am ersten Wochenende eines Monats findet er statt – wie jetzt am 6. und 7. April. Dort, wo sonst Pferdesportler um den Sieg kämpfen, stehen an diesen Tagen die Stände von Händlern, die aus allen Gegenden des Landes kommen, antike Möbel, Schallplatten, Raritäten aus der DDR und der alten Bundesrepublik anbieten. Am ersten April-Wochenende kommt noch die Spielzeugbörse dazu.

Der Berliner Riesenantikflohmarkt, wie der Karlshorster Markt auch genannt wird, gehört mit bis zu 500 Ständen auf 25.000 Quadratmetern zu den größten in Berlin und ist weit über der Stadtgrenze hinaus bekannt. Zum Leben erweckt wurde er vor einigen Jahren von dem Ehepaar Regina Pröhm und Michael Schrottmeyer (beide 59). Nach dem Mauerfall kamen die beiden einstigen Studenten aus Wien nach Berlin.
In den Ostteil, nach Friedrichshagen zogen sie damals. „Wir waren neugierig auf den für uns unbekannten Osten“, erzählen sie mir. „Wir wollten damals miterleben, wie das gerade frisch wiedervereinte Deutschland zusammenwächst“, sagt Regina Böhm.
Als Erstes fiel ihnen aber auf, wie die Ost-Berliner plötzlich viele Sachen aus ihrem DDR-Leben einfach in Container warfen, die auf der Straße standen. Haushaltsgegenstände, vor allem wertvolle Bücher: „So etwas ist doch Kulturgut, das nicht einfach auf dem Müllhaufen der Geschichte landen darf“, sagt Regina Pröhm.



