Im Alter von 64 Jahren

Der Rebell von Pankow: Ex-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner gestorben

Der einstige Grünen-Stadtrat und frühere Staatssekretär für Verkehr starb am Wochenende an seinem Krebsleiden.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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 Jens-Holger Kirchner
Jens-Holger Kirchnerjörg Carstensen/dpa

Er war kampfstark, setzte sich mit seiner politischen Meinung oft durch, galt bei den Berlinern als der „Rebell von Pankow“: Der frühere Grünen-Stadtrat und Ex-Staatssekretär für Verkehr Jens-Holger Kirchner ist tot. Den jahrelangen Kampf gegen sein Krebsleiden hat er nun verloren. Kirchner starb am vergangenen Wochenende im Alter von 64 Jahren.

Die Berliner Politik trauert. Den Tod von Holger Kirchner gab unter anderem die Senatsverwaltung für Verkehr über den Nachrichtendienst X bekannt. „Mit Bestürzung haben wir vom Tod unseres ehemaligen Staatssekretärs Jens-Holger Kirchner erfahren. Mit seiner Arbeit hat er sich leidenschaftlich und voller Fachkenntnis für Berlin eingesetzt“, heißt es dort. „Unser Beileid gilt den Angehörigen und allen Freunden.“

Jens-Holger Kirchner war als Pankower Stadtrat stets im Bezirk unterwegs, suchte das Gespräch mit den Menschen – hier an der Kastanienallee (2011).
Jens-Holger Kirchner war als Pankower Stadtrat stets im Bezirk unterwegs, suchte das Gespräch mit den Menschen – hier an der Kastanienallee (2011).Sabine Gudath/imago

Die Grünen in Pankow lobten ihr einstiges Parteimitglied als „hartnäckig, aber mit gutem Blick für richtige Kompromisse“. Kirchner habe sich „für eine menschengerechte, statt nur autogerechte Stadt eingesetzt“, schrieb der Bezirksverband auf X.

Jens-Holger Kirchner galt als einer der markantesten Politiker, die Berlin je hatte. Aufgewachsen ist er in der DDR, wurde am 19. November 1959 in Brandenburg an der Havel geboren. Mit seiner Familie zog er Anfang der 70er-Jahre nach Berlin-Köpenick, wo er zur Schule ging. Da man ihn in der DDR nicht zum Abitur an der Erweiterten Oberschule zuließ, wurde Kirchner Tischler, arbeitete unter anderem an der Komischen Oper, holte später an der Abendschule sein Abitur nach.

Schon in der DDR zeigte sich Kirchner als Jugendlicher als Rebell. In Prenzlauer Berg besetzte er eine Wohnung, gründete eine Familie. Im Rahmen des Vereins Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg engagierte sich Kirchner für Kinder- und Jugendhilfe im Bezirk und wurde Erzieher.

Nach der Wende gehörte Kirchner zu den Mitgliedern des Runden Tisches in Prenzlauer Berg. „Gestalten, verändern“ war sein Motto. Für die SED-Nachfolgepartei PDS zog er nach den ersten freien DDR-Wahlen 1990 in das Bezirksparlament ein. Zwei Jahre später gehörte Kirchner dem Bürgerbündnis Prenzlauer Berg an, ging dann zu den Grünen.

Jens-Holger Kirchner mit seinem Dienstfahrrad als Stadtrat in Pankow
Jens-Holger Kirchner mit seinem Dienstfahrrad als Stadtrat in PankowLars Reimann/imago

Jens-Holger Kirchner: In Pankow kämpfte er gegen die Verdrängung der Menschen

Ab 2006 war Kirchner zehn Jahre lang als Stadtrat für Verkehrs- und Stadtentwicklung im Pankower Bezirksamt aktiv. Schnell machte er sich als „Rebell von Pankow“ in ganz Berlin einen Namen. Kirchner setzte sich in dem Bezirk beispielsweise in der Wohnungspolitik gegen Immobilienhaie zur Wehr, versuchte mit besonderen Schutzmaßnahmen in Wohngebieten zu verhindern, dass langjährige Bewohner aufgrund drastisch ansteigender Mieten aus ihren Kiezen vertrieben werden.

Kirchner, der auch Vize-Bürgermeister von Pankow war, gilt als Erfinder des sogenannten Internet-Prangers. In der Mitte der 2000er-Jahre setzte er durch, dass damals im Internet öffentlich gemacht wurde, wenn Gastronomiebetriebe bei Hygienekontrollen durchfielen. Dazu konnten auch Bürger im Internet unsaubere Kneipen, Lokale oder Imbisse melden.

Auch wenn das nicht allen in der Politik immer passte, Kirchner setzte sich mit seiner Meinung durch, packte zu, wenn etwas in der Berliner Verkehrs- oder Baupolitik nicht wie gewünscht lief. Das führte dazu, dass 2016 der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) den Pankower Lokalpolitiker in die Landespolitik holte.

Obwohl Kirchner als künftiger Verkehrssenator gehandelt wurde, setzten die Grünen die einstige Naturschutz-Managerin Regine Günter (parteilos) für dieses Amt durch. Kirchner wurde ihr Staatssekretär. In der Öffentlichkeit wurde allerdings schnell klar, wer aufgrund seines Fachwissens in der Verkehrssenatsverwaltung wirklich dominierte.

Jens-Holger Kirchner: Senatorin machte seine Krankheit zum Politikum

Die Auseinandersetzungen hinter den Kulissen zwischen der Senatorin und ihrem Staatssekretär hatten Folgen: Als Kirchner 2018 an Krebs erkrankte, wurde seine Erkrankung zum unrühmlichen Politikum. Senatorin Günther wollte Kirchner gegen seinen Willen in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Das sorgte in der Öffentlichkeit für große Empörung. Günther entschuldigte sich später.

Kirchner kam mithilfe des Regierenden Bürgermeisters zurück. 2019 setzte Müller den Grünen-Politiker bei sich in der Senatskanzlei als Bau- und Verkehrsexperten ein. In dieser Funktion betreute Kirchner unter anderem die Neuplanung für die Siemensstadt in Spandau.

Jens-Holger Kirchner zeigte sich volksnah – hier bei einer Weinernte in Prenzlauer Berg.
Jens-Holger Kirchner zeigte sich volksnah – hier bei einer Weinernte in Prenzlauer Berg.Lebie/imago

Kirchner arbeitete und kämpfte, trotz seiner schweren Erkrankung. Mit seiner Meinung hielt er nicht zurück. Am Ende soll sich Kirchner mit den Grünen überworfen haben und verließ, offenbar aus Kritik an der grünen Politik in der Bundespolitik, die Partei.

Politiker sämtlicher Parteien trauern um Kirchner. „Er war seinen Themen Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt komplett verschrieben und hat sich immer laut und deutlich für ein zukunftsfähiges und gerechtes Berlin eingesetzt“, würdigt ihn Wirtschaftssenatorin und Vize-Regierende Franziska Giffey (SPD).

Spandaus Bezirksbaustadtrat Thorsten Schatz (CDU) schrieb auf X: „Jens-Holger Kirchner wird fehlen. Ich habe ihn als Brückenbauer und Möglichmacher kennen und sehr schätzen gelernt, der mit viel Herz, Schnauze und Pragmatismus Dinge zum Laufen gebracht hat und dem Parteigrenzen egal waren. Er war ein Vorbild und Ratgeber. Bis zuletzt. Danke!“ ■