Demo trifft auf Gegendemo

Aufgeheizte Stimmung bei Pro-Palästina-Demo an Freier Universität

Wenige Tage nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten der FU Berlin sind dort propalästinensische und proisraelische Gruppen aufeinandergetroffen.

Teilen
Ein Teilnehmer der propalästinensischen Kundgebung vor der Mensa II der Freien Universität gestikuliert in Richtung Gegendemonstranten.
Ein Teilnehmer der propalästinensischen Kundgebung vor der Mensa II der Freien Universität gestikuliert in Richtung Gegendemonstranten.Monika Skolimowska/dpa

Laut Polizei folgten am Donnerstag rund 85 Menschen einem Aufruf zu der Demo vor der FU-Mensa unter dem Titel „Solidarität mit Palästina“. Es habe etwa 25 Gegendemonstranten gegeben. Zunächst waren der Polizei „keine nennenswerten Zwischenfälle“ bekannt.

Im Verlauf beobachtete eine dpa-Reporterin vor Ort eine zunehmend aufgeheizte Stimmung, es kam zu Wortgefechten zwischen Einzelpersonen. Vereinzelt ging die Polizei dazwischen. Körperliche Auseinandersetzungen blieben jedoch aus. Wie die Polizei nach Abschluss der Demo meldet, wurden vier Strafermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingeleitet.

Am Wochenende war der 30 Jahre alte, jüdische FU-Student Lahav Shapira mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen. Ein 23 Jahre alter pro-palästinensischer Kommilitone soll ihn in Mitte geschlagen und getreten haben. Die Polizei geht mittlerweile von einer gezielten Tat aus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung, die Tat werde als antisemitisch und im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt als Hasskriminalität eingestuft. Die Kundgebung war laut den Veranstaltern vor der Tat angekündigt worden.

FU-Präsident Ziegler wehrt sich gegen Vorwürfe, will Exmatrikulation prüfen

Nach der Gewalttat war die Leitung der Freien Universität kritisiert worden, weil sie antisemitische Vorfälle und Ängste jüdischer Studenten nicht ernst genommen habe. Vom konservativen Studierendenverband RCDS kam eine Rücktrittsforderung. Uni-Präsident Günter Ziegler wies diese im „Tagesspiegel“ zurück. „Die Darstellung mancher Medien, dass hier wochenlang ungehindert Antisemiten über den Campus laufen, beschreibt nicht die Wirklichkeit“, sagte Ziegler. Antisemitische Vorfälle würden so schnell wie möglich geahndet oder beendet.

Zu Forderungen, den mutmaßlichen Täter im Fall Shapira von der Uni zu werfen, sagte Ziegler: „Wir wollen mit der Politik darüber beraten, ob Exmatrikulationen in besonders extremen Fällen in Berlin ermöglicht werden sollten.“ Wenn Straftäter eine Bedrohung für andere Studierende darstellen, sei es „eine wünschenswerte und notwendige Maßnahme, die Personen am Studieren zu hindern“. Seine Meinungsbildung dazu sei aber noch nicht abgeschlossen, teilte Ziegler mit.

Ein Gegendemonstrant sagt: „Wir geben nicht auf, wir treten weiter für unsere Werte ein.“

Enno Speer (21) beteiligte sich nach eigenen Angaben als nicht jüdischer Mensch an dem Gegenprotest, um nach dem Angriff ein Zeichen zu setzen: „Wir geben nicht auf, wir treten weiter für unsere Werte ein.“ Man lasse sich nicht einschüchtern.

Demonstranten standen am Anfang ruhig vor der großen Mensa der FU in Dahlem und hielten Transparente und Schilder, etwa mit Aufschriften wie „Freiheit für Palästina!“ und „Stoppt die Heuchelei!“. Manche trugen Palästinensertücher, später wurden „Free Palestine“- und „FU shame on you“-Sprechchöre angestimmt. In sozialen Medien kursierte vorab ein Demoaufruf von einem „Palästinakomitee FU Berlin“. Eine Sprecherin der Gruppe sagte, man richte sich „gegen Lügen und Heuchelei“ im Umgang mit dem Krieg Israels in Gaza.

Teilnehmer einer Gegenkundgebung halten israelische Fahnen am Rande einer propalästinensischen Kundgebung.
Teilnehmer einer Gegenkundgebung halten israelische Fahnen am Rande einer propalästinensischen Kundgebung.Monika Skolimowska/dpa

Ein Student sagt, er sei gekommen, um „gegen den Genozid“ zu protestieren

Ein 22-jähriger Student sagte, er sei extra von der Humboldt-Universität gekommen, um „gegen den Genozid“ in Gaza zu protestieren. Teilnehmer warfen den Uni-Leitungen vor, zu einseitig Position für Israel zu beziehen, propalästinensische Solidarität und Kritik an der israelischen Regierung würden mit dem Vorwurf des Antisemitismus unterdrückt. Teils war sachlicher, ruhiger Austausch zu beobachten. Das lautstarke Gebrüll von eigenen Demonstrierenden führe zu nichts, sagte der 21-jährige FU-Student Ahmed: „Du wirfst Hass rein und du kriegst Hass zurück.“

Ein 18-Jähriger jüdischen Glaubens, der eine Kippa trug und nach eigenen Angaben nicht studiert, sagte, er sehe jüdische Studierende in Berlin in Gefahr und wolle sich deshalb solidarisch zeigen. „Lahav Shapira war nur der Anfang“, sagte er. Ein jüdischer FU-Student sagte: „Anfeindungen gibt es fast tagtäglich“, vor allem in sozialen Medien, aber auch durch Drohungen. Das Unsicherheitsgefühl habe seit dem 7. Oktober stark zugenommen. „Generell würde ich sagen, kein Jude fühlt sich wirklich sicher.“

Eine Sprecherin der Kundgebung: „Wir stehen gegen jede Form von Diskriminierung“

Eine Sprecherin der Kundgebung sagte, gefragt nach dem Angriff auf Shapira: „Wir stehen natürlich gegen jede Form von Diskriminierung, sei es Antisemitismus, sei es Islamophobie, sei es Rassismus.“ Auf der Demo seien auch teilweise jüdische und israelische Rednerinnen und Redner.

Die FU distanzierte sich vorab von der Veranstaltung, diese finde auf der Straße statt und sei weder von ihr genehmigt noch unterstützt. Die Uni stellte aber nach eigenen Angaben Strafanzeige aufgrund von Inhalten von Plakaten mit dem Aufruf zur Demo. Ein Polizeisprecher konnte zum Inhalt zunächst keine Auskunft geben. ■