Wohnviertel Tegel: In sechs Jahren wohnen auf dem Flughafengelände die ersten Mieter
Nach dem Ende der Betriebsgenehmigung beginnt eine neue Ära für den stillgelegten Airport. Ein Überblick.

Die Abflugschalter sind verwaist, die Anzeigetafeln für startende und landende Flugzeuge längst abgeschaltet. Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup steht am Dienstagvormittag in der Haupthalle des Flughafens Tegel – um sich zu verabschieden. „Tegel wird stillgelegt, wir sagen danke“, sagt Lütke Daldrup. Anlass: In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch um null Uhr endet die Betriebsgenehmigung für TXL – ein halbes Jahr, nachdem die zweite Start- und Landebahn des neuen Hauptstadtflughafens BER in Betrieb gegangen ist.
Neben Lütke Daldrup steht Philipp Bouteiller, der Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH. Die landeseigene Gesellschaft übernimmt den ehemaligen Airport, um ihn zu einem neuen Stadtteil umzugestalten. „Das ist für uns ein wichtiger Tag“, sagt Bouteiller. Nun beginne die Übergabe des Areals. „Das wird etwa drei Monate dauern“, sagt er. Also bis zum 4. August. Bei einem Rundgang durch den alten Airport skizziert Bouteiller die Pläne für die Zukunft.
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Auf dem rund 500 Hektar großen Areal in Tegel soll ein Forschungs- und Industriepark, ein Wohn-Quartier mit mehr als 5000 Wohnungen und ein etwa 200 Hektar großer Landschaftsraum entstehen. Urban Tech Republic haben die Planer den künftigen Forschungs- und Industriepark getauft, der rund um das alte Terminal errichtet werden soll. Bis zu 1000 große und kleinere Unternehmen mit 20.000 Beschäftigten sollen hier einmal daran forschen, welche Produkte die Stadt der Zukunft benötigt, und diese produzieren. Und das in enger Kooperation mit dem akademischen Nachwuchs. Die bisherige Beuth Hochschule für Technik wird einer der Hauptnutzer des Areals. Sie zieht in des sechseckige Terminalgebäude ein.
Hochschule für Technik verlegt zwölf Studiengänge nach Tegel
Im Mittelpunkt des neuen Stadtviertels in Tegel steht all das, was für die wachsenden Städte des 21. Jahrhunderts besonders wichtig ist: der effiziente Einsatz von Energie, nachhaltiges Bauen, umweltschonende Mobilität, Recycling, sauberes Wasser und der Einsatz neuer Materialien. Dazu gehört, dass das neue Wohnviertel, das sogenannte Schumacher-Quartier, als weitgehend klimaneutrales Stadtviertel entstehen soll – mit dem Baustoff Holz.
Die Hochschule für Technik verlegt zwölf Studiengänge nach Tegel, die sich mit urbanen Technologien beschäftigen: dazu gehören die Studiengänge Elektromobilität, Gebäude- und Energietechnik sowie Pflanzen- und Freiraummanagement. Rund 2500 Studierende sollen in das sechseckige Terminalgebäude einziehen. Vom 1. Oktober dieses Jahres an trägt die Hochschule allerdings einen anderen Namen. Sie heißt dann Berliner Hochschule für Technik. Der Name Beuth wird gestrichen. Grund für die Namensänderung ist ein Beschluss der Akademischen Versammlung der Hochschule aus dem vergangenen Jahr - wegen antisemitischer Äußerungen des Namensgebers Christian Peter Wilhelm Beuth.
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In Tegel stehen die Zeichen ganz auf Zukunft. Nach dem Ende der Betriebsgenehmigung von TXL in der Nacht zum Mittwoch folgt zunächst eine dreimonatige Rückbauphase, in der sicherheitsrelevante Anlagen entfernt werden, zum Beispiel die Technik aus dem Tower. Die Tegel Projekt GmbH ist aber schon jetzt auf dem Gelände tätig, sie führt Bodenmessungen durch. Ab Mai will sie die Kampfmittelräumungen starten.
Tag der offenen Tür wurde abgesagt
Das Flughafenareal ist derzeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Wer zum Impfzentrum im Terminal C will, benötigt eine Impfeinladung. Erinnerungsfotos lassen sich nur von Standorten außerhalb des Geländes schießen. Ursprünglich war für den 28. August ein Tag der offenen Tür geplant, sagt Philipp Bouteiller. Doch Corona habe den Planern leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dennoch will die Tegel Projekt GmbH den stillgelegten Flughafen zugänglich machen. Aber in sehr viel kleinerem Rahmen, zum Beispiel durch Führungen. Die Überlegungen dazu laufen.
So wie das Tempelhofer Feld soll auch der geplante Landschaftsraum in Tegel, eine mehr als 200 Hektar große Fläche, später öffentlich zugänglich gemacht werden. „Das wird schrittweise im Zuge der Kampfmitteluntersuchung, -räumung und -freigabe erfolgen“, sagt Constanze Döll, die Sprecherin der Tegel Projekt GmbH. Zuerst soll der westlichste Teil des Flughafengeländes geöffnet werden – auf einer Fläche von zirka 45 Hektar. Dort sind drei Eingänge geplant. Danach sollen nach und nach immer mehr Bereiche hinzukommen, so dass „bis zirka 2026 der komplette Landschaftsraum – ähnlich wie das Tempelhofer Feld – öffentlich zugänglich sein wird“, so Döll.
Klar ist: Im Herbst dieses Jahres wird die Baustellenlogistik für das neue Stadtviertel eingerichtet. Im kommenden Jahr ist dann der Start der Tiefbauarbeiten geplant – sowohl für die Urban Tech Republic als auch für das Schumacher Quartier. Die ersten Sanierungsarbeiten in dem stillgelegten Airport sollen sogar noch 2021 starten. Auch eine Zwischennutzung soll bereits in diesem Jahr möglich werden.
Feuerwehr nutzt Flächen als Trainingsstätte
„Nach aktueller Planung werden 2027 die ersten Mieterinnen und Mieter im Schumacher Quartier einziehen“, sagt Constanze Döll. „Dann sind auch viele der Bestandsgebäude saniert und umgebaut, etwa Terminal A, in den dann die Berliner Hochschule für Technik einziehen kann“. Auch der große Hangar, der als Trainingsstätte der Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienste Akademie genutzt werden soll, werde dann zur Verfügung stehen.
Billig ist die Umnutzung von TXL nicht, außerdem wird sie sich über Jahre hinziehen. „Wir rechnen mit Gesamtinvestitionen in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten von zirka acht Milliarden Euro – vornehmlich aus privaten Mitteln“, sagt Constanze Döll. Auf mittlere Sicht trügen die Unternehmen, die sich in Berlin TXL ansiedeln, mit schätzungsweise 160 Millionen Euro Steuern pro Jahr zur Refinanzierung bei, so Döll.
Die Flächen in Tegel gehören dem Bund und dem Land Berlin. Mit etwa zwei Dritteln besitzt der Bund dabei laut Bouteiller den etwas größeren Teil. Im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrages wurde allerdings schon 2017 vereinbart, dass die bundeseigenen Flächen an Berlin übergehen. „Das wird dieses Jahr abgeschlossen“, sagt Bouteiller. Bis Ende des Jahres soll Berlin zu 100 Prozent Eigentümer der Flächen sein. Im Bereich des Schumacher Quartiers ist die Sache nicht ganz so leicht: Hier gibt es nach Angaben der Tegel Projekt GmbH „ein Dutzend kleinerer Grundstücke privater Eigentümer“. Zum Stand der Verhandlungen äußert sich die Tegel Projekt aber zuversichtlich. „Die Gespräche sind auf gutem Wege“, sagt Sprecherin Constanze Döll. Zu Details könne sie aber „keine Auskunft geben“.
Denkmalschutz muss beachtet werden
Worauf die Planer besonders achten müssen: Bei der Umnutzung des Flughafens sind gestalterische Eingriffe nur begrenzt möglich. Denn der Airport steht unter Denkmalschutz. „Wir gucken sehr genau, was ist Originalsubstanz und was ist später angebaut worden, um dann einen guten Kompromiss zu finden zwischen dem Alten und dem Neuen“, sagt Philipp Bouteiller. Eine entscheidende Frage ist dabei noch offen: die Nutzung der Towers. Die Tegel Projekt GmbH schaut sich laut Bouteiller zwar „verschiedene Nutzungsszenarien“ an, hält sich die Entscheidung aber noch bewusst offen – „weil es natürlich das Filetstück ist“, wie Bouteiller sagt. „Den geben wir nicht einfach so weg.“