Zelte, Müll: Ratten: Das Obachlosen-Camp an der Rummelsburger Bucht gleicht einem Slum.
Zelte, Müll: Ratten: Das Obachlosen-Camp an der Rummelsburger Bucht gleicht einem Slum. Foto: camcop media/Andreas Klug

Berlin boomt, zieht Menschen aus aller Welt an, die hier zum Arbeiten oder zum Partymachen herkommen. In der Metropole des Wohlstandes und des Feierns regiert aber auch noch im 21. Jahrhundert die große Armut. Für jedermann sichtbar hausen mitten im Stadtgebiet Frauen und Männer unter menschenunwürdigen Bedingungen – in einem Camp an der Rummelsburger Bucht.

Es ist eine Brache nahe des Bahnhofes Ostkreuz, die sich zwischen Kynaststraße und der Bucht befindet. Das Areal ist seit Jahren Anziehungspunkt der Gestrandeten dieser Gesellschaft: Obdachlose aus ganz Deutschlands findet man hier. Auch Polen, Rumänen oder Bulgaren, die vom Wohlstand der Stadt angelockt werden.

In Zelten oder in notdürftig gezimmerten Hütten leben sie zwischen Schutt und Müll. Vor den Behausungen stehen Einkaufswagen mit Kleidung und anderen Habseligkeiten der Bewohner. Holzpaletten, Matratzen und Essensreste liegen herum. Sozialarbeiter berichten von Rattenplagen im Camp.

Hygenischen Zustände im Obdachlosen-Camp katastrophal

Dicht an dicht reihen sich die Zelte und Hütten, in denen einst bis zu 160 Menschen hausten.
Dicht an dicht reihen sich die Zelte und Hütten, in denen einst bis zu 160 Menschen hausten. Foto: camcop media/Andreas Klug

Es ist ein Slum mitten in Berlin. Es gleicht den Elendsvierteln, die Berliner eigentlich nur aus Berichten aus den ärmsten Ländern dieser Welt kennen. Doch dort haben die Bewohner wenigstens Strom und fließend Wasser. In dem Camp an der Rummelsburger Bucht gibt es noch nicht einmal diesen Luxus.

Als der KURIER am Sonntagmorgen in dem Camp vorbeischaut, herrscht Ruhe auf dem Areal. Nur Jogger drehen an dem Zaun, der das Camp zum Ufer abgrenzt, ihre Runde. Sie ignorieren die Zelte, laufen teilnahmslos weiter. Dabei kann man das Elend auf diesem Gelände nicht nur sehen, sondern bis weit in die benachbarten Wohngegenden sogar riechen – den Geruch von verbrannten nassem Holz. Man sieht Ofenrohre an den Hütten und Zelten, aus denen Rauch steigt. Oder eine leere Farbtonne, in der ein Punk ein Feuer entzündet hat, sich daran die Hände wärmt.

„Vor einem Jahr gab es noch ein Wärmezelt, auch Toiletten“, sagt er. Das alles sei nun weg, seitdem im April 2019 der Senat die Kältehilfe für das Camp einstellte, weil die Förderung auslief.

Die hygienischen Zustände sind dort katastrophal, berichtet Lutz Müller-Bohlen, Sozialarbeiter vom Verein Karuna, der sich um die Camp-Bewohner kümmert. „Seit einem Jahr ist nichts mehr passiert, um die Situation hier wirklich zu verbessern“, sagt er.

Obdachlosen-Camp soll bis Frühjahr verschwinden

Auch Gegner der Bebauung der Rummelsburger Bucht haben ein Camp aus Hütten und Wohnwagen aufgebaut.
Auch Gegner der Bebauung der Rummelsburger Bucht haben ein Camp aus Hütten und Wohnwagen aufgebaut. Foto: camcop media/Andreas Klug

Dabei wuchs die Zahl der Obdachlosen an der Rummelsburger Bucht an – und damit die Not. Etwa 160 Menschen waren es vergangenen Sommer. Derzeit sind es etwa 60 bis 80, wie gerade die Obdachlosenzählung ergab. Laut Karuna habe eine größere Roma-Gruppe vor Weihnachten das größte Obdachlosencamp Deutschlands verlassen, sei freiwillig zurück in ihre Heimat gefahren. Ihre Hütten wurden bereits abgerissen.

Denn inzwischen handeln die Behörden. Nicht nur wegen der katastrophalen Zustände soll das Camp bis Frühjahr verschwinden. Das Gelände ist seit vergangenem Jahr Bauland. Auf ihm soll die umstrittene Touri-Attraktion „Coral World“ eines israelischen Investors entstehen, eine Art Super-Aquarium. Auch Wohnungen, davon 110 der landeseigenen Howoge, werden dort gebaut.

Das Areal ist schon eingezäunt, erste Bauarbeiten haben begonnen. Den Zuzug neuer Bewohner will man verhindern. Erst vergangenen Freitag soll die Polizei etwa 20 Sinti und Roma vom Gelände verwiesen haben, sagten Wachschützer gestern dem KURIER.

Bewohner mit Suchtproblemen lehnen eine Betreuung ab

Aneinander gekettet liegen diese alten Kähne in der Bucht. Den Behörden ist das Boots-Camp schon lange ein Dorn im Auge.
Aneinander gekettet liegen diese alten Kähne in der Bucht. Den Behörden ist das Boots-Camp schon lange ein Dorn im Auge. Foto: camcop media/Andreas Klug

Der Bezirk Lichtenberg und die Senatssozialverwaltung wollen, dass die Camp-Bewohner in eine Notunterkunft nach Karlshorst ziehen. Nur: Nicht alle wollen! Etwa Bewohner mit Suchtproblemen, die eine Betreuung ablehnen.

„Der Umgang mit Armut und das Finden von Lösungen ist in Berlin noch ein großes Problem“, sagt Sozialarbeiter Müller-Bohlen.
Es scheint, als würde sich nun das Camp auf den Rummelsburger See verlagern.

Zu den bereits dort ankernden Kähnen kommen nun offenbar auch neue, notdürftig errichtete Hausboote aus Holzlatten dazu. Eines dieser Boote und deren Bewohner wurde gestern von der Wasserschutzpolizei kontrolliert.