In den Wahn getrieben

Jahrzehnte in Todeszelle: Greiser Japaner kämpft um seinen Freispruch

Ein Japaner, der nach nahezu einem halben Jahrhundert in der Todeszelle freikam, bekommt weiter die Härte des japanischen Justizapparates zu spüren. Der Fall soll bald neu verhandelt werden.

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Aussichtslos: Menschen in Einzelzellen treibt die Einsamkeit oft in den Wahnsinn.
Aussichtslos: Menschen in Einzelzellen treibt die Einsamkeit oft in den Wahnsinn.mix1/ IMAGO

Es ist einer der erschütterndsten Fälle in der japanischen Justizgeschichte. Mehr als 47 Jahre lang saß Iwao Hakamada wegen Mordes an einer Familie in der Todeszelle. 2014 kam er frei, weil ein Gericht im zentraljapanischen Shizuoka einem wiederholten Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens schließlich stattgab.

Anlass waren nicht nur DNA-Tests, die die Unschuld von Hakamada vermuten lassen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Ermittler vermeintliche Beweise gefälscht haben. Die Hinrichtung wurde ausgesetzt, doch damit ist Hakamada noch nicht für unschuldig erklärt. Voraussichtlich im September oder Oktober beginnt das Wiederaufnahmeverfahren.

Japaner in Todeszelle lebt in Wahnvorstellungen

Iwao Hakamada ist inzwischen 87 Jahre alt. Die jahrzehntelange Isolationshaft hat den einstigen Profi-Boxer psychisch und physisch gezeichnet. Er ist nicht mehr in der Lage, die Realität zu begreifen. „Er lebt jetzt in einer Wahnvorstellung“, erzählt seine 90 Jahre alte Schwester Hideko Journalisten am Club der Auslandskorrespondenten in Tokio. „Er glaubt, der Prozess sei vorbei.“ All die Jahrzehnte hat Hideko für ihren Bruder gekämpft, um seine Unschuld zu beweisen.

Ein unglücklicher Zufall – Iwao wurde 1966 für den Mord an der Familie seines Chefs verurteilt. Er passte zufällig ins Profil des Verdächtigen, wurde dann zwanzig Tage lang ohne Anwalt von der Polizei verhört. Am 21. Tag legte er unter Drohen und Schlägen ein Geständnis ab – das er vor Gericht danach widerrief.

So sieht ein japanisches Gefängnis von innen aus.
So sieht ein japanisches Gefängnis von innen aus.VWpics/ IMAGO

Polizei fabrizierte Beweise, um greisen Japaner einzubuchten

„Die Ermittler wussten von Anfang an, dass Hakamada nicht der Schuldige war. Doch obwohl sie das wussten, wollten sie den tatsächlichen Täter davon kommen lassen und haben Beweise so fabriziert, dass sie auf Herrn Hakamada passten“, erklärt Ogawa.

Danach wurde Iwao verurteilt und in Einzelhaft gesteckt, wie es in Japan in solchen Fällen üblich ist. Viele treibt das in den Wahnsinn.

Jahrelang mühten sich Iwaos Anwälte darum, das Verfahren wieder aufzunehmen – erfolglos. 2014 war seine Schwester Hideko schließlich erfolgreich. Seither ist Iwao zwar auf freiem Fuß. „Aber es ist noch nicht vorbei“, sagt seine Schwester.

Schwester ist zuversichtlich

Mit ihren schwarzen, gestutzten Haaren, ihrer sommerlichen Kleidung und ihrem freundlichen Lächeln strahlt die Greisin eine erstaunliche Zuversicht und Entschlossenheit aus. „Wir setzen unseren Kampf fort“, sagt sie mit fester Stimme. „Die Staatsanwaltschaft weiß, dass sie Iwao die Schuld nicht beweisen kann“, sagt Verteidiger Ogawa. Es gehe ihr nur um Gesichtswahrung.

Es ist laut Medien erst das sechste Mal in Japans Nachkriegszeit, dass ein Gericht der Wiederaufnahme des Falls eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe rechtskräftig verhängt wurde. Vier der fünf bisherigen Fälle endeten mit einem Freispruch. Beobachter erwarten das Gleiche auch für Iwao. Er hoffe, dass sein greiser Mandant während des Prozesses nicht mehr vor Gericht erscheinen müsse. Andererseits wünsche er sich für Iwao, dass er bei einem Urteil auf unschuldig dies selbst hören könne, so sein Anwalt. „Ich möchte, dass er schnell aus dem Wahnzustand kommt“, fügt die Schwester hinzu.