Corona und Nahverkehrsausbau : Neue BVG-Chefin: Auf Eva Kreienkamp warten viele Herausforderungen
Nicht nur wegen Corona kommt auf die Nachfolgerin von Sigrid Nikutta eine Menge Arbeit zu.

Nun steht fest, wer künftig im Chefzimmer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) arbeiten wird. Nach Informationen der Berliner Zeitung soll Eva Kreienkamp den Posten der Vorstandsvorsitzenden im Oktober 2020 übernehmen. Die Mathematikerin folgt Sigrid Nikutta, die nach neun Jahren als Vorstandsvorsitzende der BVG Anfang Januar zum Güterbahnunternehmen DB Cargo gewechselt ist, ebenfalls als Chefin. Am Mittwoch stimmte der Aufsichtsrat der BVG der Personalie zu. Am späten Nachmittag votierte auch die Gesellschafterversammlung dafür.
Eva Kreienkamp verbrachte einen Teil ihrer Schulzeit in einem Ursulinen-Internat in Belgien. In der Klosterschule, die nur für Mädchen zugelassen war, hätten Lehrerinnen und Nonnen den Schülerinnen Selbstvertrauen vermittelt, erzählte Kreienkamp dem Nachrichtenmagazin Spiegel. "Ich nahm den Auftrag mit: 'Mach selbst was aus Deinem Leben.'" Später im Leben habe sie festgestellt, dass sie gut mit Unsicherheit und persönlichem Risiko umgehen kann.
Erfahrungen in der Privatwirtschaft
1981 legte Eva Kreienkamp in Düsseldorf das Abitur ab. Dort und in München studierte sie Mathematik und Informatik. Ihren Berufsweg begann die Diplom-Mathematikerin 1989 bei einem Start-up in Erding bei München, der Amadeus Data Process GmbH. 1991 wechselte sie zum Versicherungskonzern Allianz, wo sie bis 2001 als Prokuristin, Controllerin und Projektmanagerin tätig war. Leitende Positionen bei der Berlinwasser Holding, der Berlikomm Telekommunikationsgesellschaft sowie der Marketing- und Marktforschungsgesellschaft FrischCo stehen ebenfalls in ihrem Lebenslauf.
Später wandte sich Eva Kreienkamp der Verkehrsbranche zu. Bei der Hamburg-Köln-Express GmbH, die auf der namensgebenden Strecke Fernverkehrszüge betreibt, und RDC Deutschland war sie 2009 bis 2014 in leitenden Funktionen tätig. Zunächst war sie Finanzchefin, dann Geschäftsführerin, bis sie die beiden Unternehmen 2014 auf eigenen Wunsch verließ.
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Im Mai 2015 wurde Kreienkamp mit 52 Jahren Geschäftsführerin der kommunalen Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG), die in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und angrenzenden Bereichen Straßenbahnen sowie Busse betreibt. Sie verantwortet das innovative Verkehrskonzept „Mainzer Mobilität 2030“. Unter dem Markennamen "Mainzelbahn" wird das Straßenbahnnetz ausgebaut, als sichtbares Zeichen der Mobilitätswende in der Stadt. An einem Schulwerktag werden in dem MVG-Gebiet rund 180.000 Fahrgäste befördert, im Jahr summiert sich die Zahl auf 56 Millionen.
Beim Wettbewerb um den Preis Germany's Top 100 Out Executives, der die Arbeit lesbischer, schwuler, bi-, trans- und intergeschlechtlicher Persönlichkeiten in der Wirtschaft würdigt, errang Kreienkamp im vergangenen Jahr den ersten Platz. 2018 kam sie auf Rang 2.
BVG-Übernahme in schwerer Zeit
Auch wenn die Zahl der Fahrgäste in Mainz steigt: Sie liegt deutlich niedriger als bei der BVG, deren Verkehrsmittel allein im vergangenen Jahr für mehr als 1,1 Milliarden Fahrten genutzt wurden. Allerdings ist der Verkehr während der Corona-Krise deutlich zurückgegangen, weil viele Berufstätige im Homeoffice arbeiten, während andere potenzielle Nutzer Angst vor einer Ansteckung haben und sich nun anders fortbewegen. Anfangs betrug der Rückgang mehr als 75 Prozent, inzwischen ist er unter die 70-Prozent-Schwelle gesunken - was aber immer noch gravierende Einnahmeeinbußen bedeutet.
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Die Folgen der Pandemie wird auch die neue Chefin vor Herausforderungen stellen. Jüngsten Berechnungen zufolge wird das Defizit des Landesunternehmens in diesem Jahr mindestens auf rund 160 Millionen Euro wachsen. Zum Teil ist bereits auch von einem Zuschussbedarf in Höhe von 180 Millionen Euro die Rede. Während der Krise macht die BVG täglich im Schnitt rund eine Million Euro Verlust. Besserung ist nicht in Sicht. Fachleute erwarten, dass die Abstinenz, die viele ehemalige Fahrgäste nun üben, noch lange dauern wird. Wohl erst nach zweieinhalb Jahren, heißt es, könnten sich die Nutzerzahlen wieder auf dem früheren Niveau einpendeln.
Beobachter sehen Eva Kreienkamp für die Aufgaben in der Hauptstadt aber gut gerüstet. Sie sei hervorragend vernetzt und war vorher auch schon in Berlin tätig, hieß es am Mittwoch. Zudem habe sie in vielen Bereichen Expertise erworben. Bei der Mainzer Verkehrsgesellschaft ist sie für das Fahrpersonal und die kaufmännischen Funktionen verantwortlich, aber auch für die digitale Transformation - einem Gebiet, auf das die BVG-Aufsichtsratsvorsitzende Ramona Pop (Grüne) viel Wert legt.
Ausbau des Nahverkehrs und Digitalisierung
„Mit Eva Kreienkamp konnten wir eine ausgewiesene Fachfrau für den Vorstandsvorsitz der BVG gewinnen", lobte Pop, die auch Senatorin für Wirtschaft und Betriebe ist. "Ich bin überzeugt, dass sie gemeinsam mit Rolf Erfurt und Dirk Schulte sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Erfolgsgeschichte der BVG weiterführen wird. Die großen Herausforderungen vor denen die BVG steht, wie die Auswirkungen der Pandemie, aber auch der weitere Ausbau des Nahverkehrs, die Elektrifizierung der Busflotte und die Digitalisierung von Mobilitätsangeboten brauchen Kompetenz, Zielstrebigkeit und Verbindlichkeit – all das bringt Eva Kreienkamp mit.“
„Ich bedanke mich für das mir entgegengebrachte Vertrauen und freue mich, nach Berlin zurückzukehren", teilte Kreienkamp mit. "Als Vorstandsvorsitzende die BVG ins nächste Jahrzehnt zu führen, ist für mich Ehre und Herausforderung zugleich. Ich nehme sie gerne gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der BVG und meinen Vorstandskollegen an.“