Es dieselt zu viel auf Deutschlands Gleisen
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will mehr Elektrifizierung. Man kann das glauben.

Kaum jemand dürfte darauf wetten, dass der Maut-Versager Andreas Scheuer (CSU) nach der Bundestagswahl 2021 Verkehrsminister bleibt. Falls doch, dürfte der Vater des Bußgeld-Desasters an eine vollmundige, aber wolkige Ankündigung erinnert werden: mehr elektrifizierte Eisenbahnstrecken.
Knapp 13.000 Kilometer Bahnstrecke in Deutschland sind noch nicht elektrifiziert – 39 Prozent des Gesamtnetzes. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung Nur auf 61 Prozent des Netzes können die Züge mit Strom fahren, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht. Ansonsten dieselt es.
In verschiedenen europäischen Staaten ist die Strombahn-Quote höher – von 64 Prozent in Polen bis 100 Prozent in der Schweiz.

Im kürzlich vorgestellten Schienenpakt hatte es unter Bezugnahme auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD geheißen, dass der Elektrifizierungsgrad bis 2025 auf 70 Prozent gesteigert werden soll, verbunden mit dem Satz, dass im Bundeshaushalt „ausreichende Mittel zum Erreichen des Ziels“ bereitgestellt werden „sollten“. Das ist unpräzise.
Auch die bisherigen Fortschritte sind wenig vertrauenerweckend: 2019 wurden 60 Kilometer Bestandsstrecken elektrifiziert, seit 2005 ist der Anteil der Strecken mit Fahrdraht gerade mal um vier Prozentpunkte gewachsen. Die viel beschworene elektrische Zukunft der Bahn liege noch in weiter Ferne, kritisierte der FDP-Bahnpolitiker Christian Jung.

Die Bahn will bis 2050 klimaneutral werden. 2038 sollen die Züge zu 100 Prozent mit Ökostrom fahren – heute sind es 60 Prozent. Auf vielen Strecken aber gibt es keine Oberleitung. In Schleswig-Holstein können Züge nur auf 33 Prozent der Strecken auf eine Stromleitung zugreifen, mit 85 Prozent ist das Saarland als Flächenland am besten versorgt.
Der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann, relativierte die Elektrifizierungslücke. Denn viele stromlose Strecken würden wenig befahren: „Derzeit werden bereits über 90 Prozent der Verkehrsleistung in elektrischer Traktion erbracht.“
Der Eisenbahn-Lobbyverein Allianz pro Schiene fordert, dass die Strecken deutlich schneller mit Oberleitungen ausgerüstet werden. 500 Kilometer pro Jahr müssten es sein, um die 70 Prozent zu erreichen: „Dies ist möglich, aber nur mit einem entschlossenen und mutigen politischen Handeln.“ Hört sich nicht nach Vertrauen in Scheuer an.
FDP-Politiker Jung verweist auch auf Alternativen: Züge, die mit Hybrid-Antrieben ausgestattet sind, zum Beispiel mit Kombinationen aus Dieselmotoren und von Brennstoffzellen befeuerten Elektromotoren. Die Deutsche Bahn hat solche Züge nach Ferlemanns Angaben aber nicht.
Prototypen von nur mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenzügen, die nur Wasser als Abgas produzieren, waren zuletzt testhalber zwischen Bremervörde und Buxtehude unterwegs. Die landeseigene niedersächsische Bahngesellschaft EVB will wegen der guten Erfahrungen jetzt Serienmodelle kaufen.