Einsteigen verboten! Was es mit den BVG-Geisterbussen von Berlin auf sich hat
In Tegel wird ein Konzept für den Berliner Nahverkehr der Zukunft getestet. Doch wegen Corona sind die Routen 328A und 328B für Fahrgäste tabu.

Der kleine gelbe Bus kommt näher. Dann stoppt er an der Haltestelle, und die Tür geht auf. Doch als Einladung zum Einsteigen ist das nicht gemeint. Die Person in dem Fahrzeug bedauert: „Mitfahren ist nicht möglich. Tut mir leid!“ Dann schließt sich die Tür wieder, und nach einem hellen Ping zuckelt der kleine gelbe Bus gemütlich weiter – ohne Fahrgäste. Genauso, wie er gekommen war.
Es ist ein Schauspiel, das sich im Norden von Berlin schon viele hundert Male wiederholt hat. Auf zwei Routen sind kantige Fahrzeuge, die an überdimensionierte Brotbüchsen erinnern, unterwegs. Die beiden neuen Linien im Reinickendorfer Ortsteil Tegel haben sogar Nummern bekommen: 328A und 328B. Allerdings sind die Elektrobusse in den Farben der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für Fahrgäste tabu. „Wegen Corona“, wie das Personal erklärt. So habe es der Senat bestimmt. Die Vehikel des französischen Herstellers Easymile gelten als zu klein, um drinnen ausreichend Abstand halten zu können. Sie sind nicht mal vier Meter lang, viel zu kurz für Pandemiebedingungen.
Forschungsprojekt in der Berliner Charité endet in der kommenden Woche
Und so drehen die Minibusse, in denen laut Aufkleber drei Fahrgäste Platz hätten, leer ihre Runden. Woche für Woche, Monat für Monat. Schon seit dem vergangenen Dezember, wie man hört. Nicht gerade zur Freude der Kraftfahrer, denn die Fahrzeuge sind maximal für Tempo 18 zugelassen, beschleunigen oft nur zaghaft und bremsen häufig. Das Personal wirkt genervt angesichts des Interesses potenzieller Fahrgäste: „Wir werden oft gefragt, warum Mitfahren nicht möglich ist.“
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Die sonnengelben Stromer gehören einer besonderen Gattung an. Es handelt sich um hochautomatisierte Fahrzeuge – früher nannte man sie autonom. Mit Radar- und Lasersensoren finden sie sich eigenständig zurecht, Fahrpersonal im eigentlichen Sinne brauchen sie nicht. Kommt ihnen jemand in die Quere, bremsen sie automatisch. Allerdings muss aus Sicherheitsgründen stets Begleitpersonal an Bord sein. Ein Lenkrad gibt es nicht, aber Joysticks, die zum Umkurven von Hindernissen genutzt werden können.
In Tegel wollen das Land und die BVG auf öffentlichen Straßen erproben, ob sich Fahrzeuge dieser Art für Berlins Nahverkehr eignen würden. Das Forschungsprojekt begann 2019 mit der See-Meile. Der 1,2 Kilometer lange Rundkurs, heute die Linie 328A, führt über die Straße Am Tegeler Hafen zur Wilkestraße. Bevor es wieder zurück geht, gibt es einen kurzen Stopp vor dem Palais am See, dessen Hafenbar „Hafengerüchte und Seemannsgarn“ verspricht. Die Greenwichpromenade und Dampferanlegestellen liegen in der Nähe – normalerweise beliebte Ziele. So verwundert es nicht, dass mehr Menschen einsteigen wollten als Platz hatten, zumal die Mitfahrt gratis war. „Zwischen August 2019 und Januar 2020 wurden rund 16 000 Fahrgäste befördert“, so Constanze Siedenburg, Sprecherin von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne).
Für das Nachfolgeprojekt Shuttles & Co. ist das Testfeld erweitert worden. Die ein Kilometer lange Linie 328B führt als Kreisfahrt über den Medebacher Weg, die Schlieper- und die Treskowstraße nach Alt-Tegel zurück. „Eine Erweiterung dieser neuen Strecke ist geplant“, sagte Siedenburg. Drei Fahrzeuge vom Typ EZ10 Gen2 stehen bereit, ihre Batterien werden in der Feuerwache Tegel geladen.
Während der ersten Etappe des Projekts ergab eine Umfrage, dass 90 Prozent der befragten Nutzer gern wieder mitfahren würden. „Doch aufgrund der Pandemiesituation kann der Fahrgastbetrieb derzeit noch nicht starten. Wenn es die Infektionslage zulässt und die Fahrzeuge für den Regelbetrieb startklar sind, werden die Shuttles auf beiden Linien montags bis sonntags jeweils von 9.30 bis 17 Uhr voraussichtlich im 15-Minuten-Takt verkehren“, kündigte die Sprecherin an – ohne aber einen Starttermin zu nennen. Einstweilen vertreibt sich das Personal mit Mess- und Betriebsfahrten die Zeit. Das Projekt dauert bis Ende 2021.
Hochautomatisierte Minibusse, die ohne Fahrpersonal ihre Runden drehen: So könnte auch anderswo in Berlin die Zukunft des Nahverkehrs aussehen. „Die BVG sieht ein großes Potential im autonomen Fahren, insbesondere in den Randbezirken“, sagte Markus Falkner, Sprecher des Landesunternehmens.
Ein anderes Forschungsprojekt geht am 30. April zu Ende. Schauplatz von Stimulate ist die Berliner Charité, genauer gesagt der Campus Mitte und der Campus Virchow-Klinikum. Im März 2018 begannen vier Elektrokleinbusse der französischen Hersteller Easymile und Navya auf dem Privatgelände damit, auf drei insgesamt 3,5 Kilometer langen Strecken Fahrgäste zu befördern – mit Tempo 12. Rund 10 000 Menschen vertrauten sich den Vehikeln an. Wegen Corona wurde der Fahrgastbetrieb im Januar eingestellt, und er werde auch nicht wieder aufgenommen, so Falkner. Einen Regelbetrieb werde es auf dem Charité-Gelände nicht geben. Was die BVG ab Mai mit ihren Minibussen anstellt, ist ungewiss.