Heinrich Strößenreuther

Der Ex-Radfahr-Aktivist watscht die Berliner Grünen ab

Der 55-Jährige war Initiator des Radfahr-Volksentscheids und sagt heute, dass man die Autofahrer nicht vergessen dürfe.

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Ex-Radfahr-Aktivist setzt sich jetzt für ein Miteinander von Rad- und Autofahrern ein.
Ex-Radfahr-Aktivist setzt sich jetzt für ein Miteinander von Rad- und Autofahrern ein.Markus Wächter

Er war die Galionsfigur der Berliner Radfahrer im Kampf gegen das Auto und für viele Autofahrer ein rotes Tuch: Heinrich Strößenreuther (55). Er startete vor acht Jahren die Initiative Volksentscheid Fahrrad, die Ziele des Volksentscheids wurden später Teil des Berliner Mobilitätsgesetzes. Heute ist der Ex-Radaktivist CDU-Mitglied, sagt, dass man die Autofahrer nicht vergessen dürfe und rechnet in einem Interview in der Berliner Zeitung mit der grünen Verkehrspolitik der Vergangenheit ab. 

Strößenreuther sagt über ...

... die grüne Verkehrspolitik in Berlin: Die Grünen haben das Rote Rathaus nicht verloren, weil die CDU einen „Autowahlkampf“ gemacht hat. Die Partei unter Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hätte ihre Politik nicht richtig vertreten und Fehler gemacht.

... die Friedrichstraße: Strößenreuther fragt sich im Interview mit der Berliner Zeitung, warum das Bezirksamt die Friedrichstraße kurz vor der Wahl sperrte – obwohl der Verkehr ein sensibles Wahlkampfthema war. Es sei nicht schlau gewesen, die Barrieren im Winter aufzubauen, als kaum jemand flanieren wollte. „In New York hat man aus der Sperrung des Times Square einen Event gemacht. 4000 Liegestühle wurden hingestellt, es gab eine große Party“, sagt der studierte Wirtschaftsinformatiker. „In Berlin wurde wider gutes Gewissen gehandelt.“ 

Senatorin Bettina Jarasch und Bezirksstadträtin Almut Neumann (beide von den Grünen) gaben dem Fahrrad die Vorfahrt. In der Charlottenstraße wurde eine Fahrradstraße eingerichtet, in der Friedrichstraße gab es ein ewiges Hin und Her.
Senatorin Bettina Jarasch und Bezirksstadträtin Almut Neumann (beide von den Grünen) gaben dem Fahrrad die Vorfahrt. In der Charlottenstraße wurde eine Fahrradstraße eingerichtet, in der Friedrichstraße gab es ein ewiges Hin und Her.Markus Wächter

... Radwege am Stadtrand:  Im Dahlemer Weg in Zehlendorf entstanden Radwege, die mit 618 Pollern geschützt wurden. Dabei hielt sich der Radverkehr in Grenzen. „Da wurden sehr breite Radwege, auf denen kaum jemand unterwegs ist, mit Steuergeld gebaut. Nicht sinnvoll.“ Kritik in den Außenbezirken entzündete sich auch anderswo, wo dem Autoverkehr ebenfalls 2,50 Meter Radfahrstreifen abgeknapst wurden. „Auf denen aber ebenfalls kaum ein Radfahrer fuhr, während Autos im Stau standen“, so Strößenreuther.

... die Berliner Radfahr-Szene: Teile von ihr ergingen sich in „Autohass“, erklärt er in der Berliner Zeitung. „Fahrradaktivisten sagen: Das müsst Ihr jetzt schlucken. Dabei vergessen sie, dass es für einige Autofahrer erst einmal schlechter wird.“ Wenn Parkplätze wegfallen oder Radfahrstreifen eingerichtet werden, könne dies den Alltag schwieriger machen. „Da fehlt oft die empathische Haltung“ – und der Wille, mit guten Argumenten für Veränderungen zu werben.

Heinrich Strößenreuther: „Niemandem soll das Auto genommen werden!“

... den Streit zwischen Auto- und Radfahrern: Man solle die gesunde Mehrheit im Blick haben und sich nicht von schreienden Minderheiten aufregen lassen. „Nur eine kleine Minderheit der Auto- und Radfahrer schimpft, die meisten Menschen möchten einfach nur sicher von A nach B kommen. Anstelle gegenseitiger Ideologievorwürfe brauchen wir mehr Ehrlichkeit und gute Argumente.“ Davon solle auch ein „Verkehrsbuch ohne Autohass“ handeln, das Strößenreuther mit zwei Autoren vorbereitet. „Wir müssen die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer besser verstehen“, so Justus Hagel, ebenfalls CDU-Mitglied und Vorsitzender der Klimaunion in Berlin. Eine Crowdfunding-Kampagne soll die Druckkosten von rund drei Euro pro Exemplar abdecken.

... die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU):  „Die Kritik war in Teilen ungerecht.“ Denn jede neue Regierung habe das Recht, Prioritäten neu zu setzen. „Die Wut war auch deshalb so groß, weil in den sieben Jahren davor unter den Grünen wenig für die Radfahrer passiert ist.“ Mit der CDU gebe es eine Partei, auf die Radaktivisten ohne Skrupel böse sein können. Dabei gehe er jede Wette ein: Unter Manja Schreiner würden bis 2026 mehr Radverkehrsanlagen gebaut als seit 2016 unter den Grünen.

Heinrich Strößenreuther mit Fahrrad, fotografiert im März 2019
Heinrich Strößenreuther mit Fahrrad, fotografiert im März 2019Monika Skolimowska/dpa

... die Klimakrise: Heinrich Strößenreuther kommt es darauf an, zu betonen, dass er an seinen Grundauffassungen festhalte. Erderhitzung und Klimakrise müssten angegangen werden, Kraftfahrer „Privilegien“ abgeben. Weniger Autos, mehr Fahrräder seien das Ziel. Und zwar möglichst bald und mit klaren, schnellen Entscheidungen. Strößenreuther hält sogar neue Fußgängerbereiche für sinnvoll. So sollten Teile der Oranienstraße in Kreuzberg und des Schiffbauerdamms in Mitte für Autos gesperrt werden, sagt er. Maßnahmen müssten aber mit mehr Empathie und besseren Argumenten erklärt werden.

... Autofahrer: „Niemandem soll das Auto genommen werden. Aber mit weniger Autoverkehr kommen wir alle besser voran“, sagt Heinrich Strößenreuther in der Berliner Zeitung. Um die Schaffung weiterer Parkzonen und die Erhöhung der Parkgebühren schmackhaft zu machen, könnten der Regierende Bürgermeister und die Verkehrssenatorin sagen: „Kein Berufstätiger muss mehr fürchten, dass er nach Feierabend lange um den Block fahren und einen Parkplatz suchen muss.“ In Gebieten mit Parkraumbewirtschaftung gebe es weniger Kurzparker, dafür mehr Platz für andere. „Verkehrswende reduziert auf Dauer die Zahl der Autos“ – auch Autofahrer hätten etwas davon.