Erik Kormann, Tischler, Bildjournalist, Kulturwissenschaftler und Schriftsteller, ist auch als Busfahrer in Berlin unterwegs. Er liebt den Job.
Erik Kormann, Tischler, Bildjournalist, Kulturwissenschaftler und Schriftsteller, ist auch als Busfahrer in Berlin unterwegs. Er liebt den Job. Gerd Engelsmann

Lokomotivführer, Busfahrer, Brummi-Lenker: Millionen Kinder träumten einst davon, hinterm Steuer eines großen Fahrzeugs zu sitzen. Doch die Zeiten sind vorbei. Spediteure und kommunale Verkehrsbetriebe suchen händeringend nach Fahrern. Auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).

Egal ob Güter- oder Personenverkehr, Reisegruppe oder ÖPNV-Alltag: Die Verkehrsunternehmen in Deutschland haben große Probleme, genügend Bus- und Bahnfahrer zu finden. Mindestens die Hälfte der Unternehmen hat im vergangenen Jahr ihren Betrieb wegen Personalmangels zeitweise eingeschränkt – zu diesem Ergebnis kommt eine Branchenumfrage des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

„Vielleicht waren es sogar noch mehr, ich kenne jedenfalls fast niemanden in der Branche, der nicht zum Beispiel mal zeitweise eine Linie einstellen musste“, sagt Harald Kraus, Vorsitzender des VDV-Personalausschusses und zugleich Arbeitsdirektor bei den Dortmunder Stadtwerken.

Gut 430 Busfahrer wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) jährlich ausbilden, doch die Rekrutierung gestaltet sich schwierig: Der Job hat seine Eigenheiten, der Fachkräftemangel ist deutlich zu spüren. Ein Besuch in der BVG-Verkehrsakademie in Berlin-Wedding.

Die BVG sucht jedes Jahr 430 neue Busfahrer

„Ein Meter 25“, Tobias Kutta winkt mit einem Augenzwinkern ab, lacht und zieht an seiner Zigarette. Im Bus vor ihm sitzt ein früherer Fahrschüler von ihm am Steuer, der auf dem Betriebshof der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in Wedding eine Nachschulung bekommt. Auf dem Programm heute: einen gelben BVG-Bus, zwölf Tonnen Gewicht ohne Fahrgäste, genau 1,50 Meter neben einem Fahrrad stoppen. Zweiter Versuch: 1,90 Meter. Die Aufgabe sieht nur von außen leicht aus.

Der Ausbilder Tobias Kutta (li.) erklärt dem Fahrschüler Maik Flemming in der BVG-Fahrschule die Funktionsweise eines Fahrschulbusses.
Der Ausbilder Tobias Kutta (li.) erklärt dem Fahrschüler Maik Flemming in der BVG-Fahrschule die Funktionsweise eines Fahrschulbusses. Carstensen/dpa

Auf dem Betriebshof an der Müllerstraße bildet die BVG alle Mitarbeiter aus, „die im weitesten Sinne am Lenkrad drehen“, sagt Katrin Kern. Sie leitet hier die Verkehrsakademie, an der jedes Jahr rund 430 Menschen zu Busfahrern ausgebildet werden sollen. Das Problem: Der Fachkräftemangel trifft auch die Verkehrsunternehmen. Dass der öffentliche Nahverkehr eine entscheidende Rolle bei der Mobilitätswende einnehmen soll, ja muss, ändert daran nichts. „Zu Monatsbeginn ist ein Kurs mit 30 Teilnehmern gestartet – statt mit 48“, sagt Kern.

Sich stundenlang mit einem meterlangen Gefährt durch den Stadtverkehr kämpfen, auch am frühen Morgen, am späten Abend oder gar sonntags ans Lenkrad müssen – das schreckt offensichtlich viele Menschen ab. „Für diese Tätigkeit muss man sich berufen fühlen, da muss man ein Herz für haben“, sagt Kutta, der ebenso wie Kern jahrelang selbst im Fahrdienst unterwegs war. Inzwischen ist er Leiter der Fahrschule, bei der BVG arbeitet er nach eigener Aussage seit Jahrzehnten. Und man merkt: Kutta, Typ Anpacker, Typ alte Schule, macht das gerne.

Busfahrer in Berlin bringen jährlich 466 Millionen Menschen an ihr Ziel

„Der Omnibusfahrer ist bei uns eigentlich ein Filialleiter“, schwärmt er. „Der fährt, macht Beratung, verkauft Tickets, ein bisschen Buchhaltung. Er ist für die Sicherheit zuständig und auch fürs Notfall-Management.“ Wenn man nur fahren wolle, müsse man sich beim Güterverkehr melden. „Fahrer von Reisebussen finden es oft komisch bei uns, wenn sie alle 20 Minuten eine andere Gruppe im Bus haben. Die wollen dann ihre feste Reisegruppe zurück.“

77 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sie im Fahrdienst bis 2030 mit einem höheren Personalbedarf rechnen. Gleichzeitig werden sie der Umfrage zufolge in genau diesem Bereich bis 2030 die meisten Abgänge verzeichnen. Auch die BVG kann derzeit nicht alle Busfahrten wie ursprünglich geplant anbieten. Seit August ist das Angebot auf mehr als 30 Linien eingeschränkt, was längere Taktungen zur Folge hat. Ein Ende der Einschränkungen hat das Unternehmen bisher nicht bekannt gegeben.

„Als Busfahrer bist du Teil eines rund 3800-köpfigen Busfahrer-Teams der BVG und hast die Ehre in einem der 1554 Fahrzeuge ganz vorn Platz zu nehmen.“ So wirbt das Berliner Unternehmen auf seiner Homepage um künftige Busfahrer. „Unsere 163 Linien fahren bis zu 6511 Haltestellen in ganz Berlin an und ergeben zusammengelegt eine Länge von 1750 km – das ist in etwa eine Fahrt von Berlin nach Neapel. Auf dieser Strecke bringen wir jährlich 466 Millionen Menschen an ihr Ziel“, so die BVG.

Und weiter: „Für dein Allround-Talent als Busfahrer sollst du deshalb fair bezahlt werden. Wir bieten dir unter anderem eine pünktliche Bezahlung nach TV-N Berlin, mindestens 28 Tage Urlaub, einen persönlichen Fahrausweis und regelmäßige Gesundheitstage, damit du fit bleibst.“

Zurück auf dem Betriebshof: Die Stimmung unter den langjährigen Fahrern bei ihrer Nachschulung ist gut, bei den Parkversuchen wird viel gelacht. Tobias Kutta erzählt derweil von Bremsübungen, bei denen ein Eimer voll Wasser in den leeren Bus gestellt wird oder eine Cola-Flasche – der Spaß soll nie zu kurz kommen, gleichzeitig ist Feingefühl an der Bremse wichtig. Die Fahrgäste werden dafür dankbar sein.

Tobias Kutta und Katrin Kern von der BVG-Fahrschule stehen vor einem Fahrschulbus auf dem BVG-Omnibusbetriebshof in der Müllerstraße.
Tobias Kutta und Katrin Kern von der BVG-Fahrschule stehen vor einem Fahrschulbus auf dem BVG-Omnibusbetriebshof in der Müllerstraße. Carstensen/dpa

28 Tage Theorie und 28 Tage Fahrpraxis für angehende Busfahrer

Wer bei der BVG ohne Busführerschein anfängt, muss zunächst 28 Tage Theorie und 28 Tage Fahrpraxis ableisten, danach folgen einige Tage mit Tarif- und Streckenschulung, auch der Umgang mit Alltagssituationen im Bus wird thematisiert. Anschließend geht es für zwölf bis 18 Tage für Lehrfahrten auf die Straßen Berlins.

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„Es ist eigentlich ein schöner Job als Fahrer. Man ist am Puls der Zeit. Man sieht, wo Gebäude entstehen, man erlebt jede Jahreszeit“, sagt Akademie-Leiterin Kern. Sie habe die Jahre als Fahrerin stets genossen und ein großes Vertrauen des Unternehmens wahrgenommen. Es gebe viele Freiheiten im Fahrdienst, das sei manchmal Live-Comedy, erzählt Kutta.

Dass sich der Job ab und zu auch stressig anfühlen kann, verschweigen die beiden aber nicht. „Zwei bis drei Minuten kann man aufholen, wenn man die Linie gut kennt. Ab fünf Minuten denk ich da nicht mehr drüber nach“, sagt Kutta über Verspätungen. Neulingen falle es dagegen nicht immer leicht, einfach über die Verspätungsanzeige hinwegzusehen. Doch das Motto bei der Fahrerausbildung sei klar, sagt Kutta: „Sicherheit geht vor Fahrzeit. Alles andere ist egal.“