Berliner S- und U-Bahnen sollen 1. Klasse bekommen
Das ist der irre Vorschlag, den internationale Verkehrsexperten in einer Studie machen, die vom Weltwirtschaftsforum in Auftrag gegeben wurde.

Die Berliner Öffis sollen wieder zur Zwei-Klassengesellschaft werden. Eine aktuelle Studie rät den Verkehrsunternehmen BVG und S-Bahn, eine Luxus-Klasse einzuführen, um auch mehr Besserverdienende anzulocken, statt mit dem eigenen Nobel-Auto nun in Bussen und Bahnen durch die Stadt zu fahren.
Erarbeitet wurde die Studie im Auftrag des Weltwirtschaftsforums WEF (Sitz in der Schweiz) unter Leitung der Boston Consulting Group und der Universität St. Gallen. Die Experten untersuchten die Nahverkehrssysteme von Chicago, Peking und Berlin.
Ihre Analyse ergab, dass die Berliner mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln im Durchschnitt täglich 44 Minuten zur und von der Arbeit pendeln, während es in Peking 56 und in Chicago 59 Minuten sind. Der wichtigste Unterschied zu den anderen Großstädten: In Berlin sind die weniger dicht besiedelten Randgebiete, in denen meist Besserverdienende wohnen, schlechter an das öffentliche Verkehrsnetzt angebunden.
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Daher würden gutbetuchte Berliner aus den Randlagen lieber mit dem Auto in die Stadt fahren, so die Studienautoren. Wer schlechter verdient, nutze daher eher die Öffis, um vom Randgebiet ins Zentrum zu kommen, weil ihnen die Fahrt mit einem Auto (hohe Anschaffungs-, Wartungs- und Benzin-Kosten) zu teuer wäre.

Studie rät: Mit 1. Klasse bekommen BVG und S-Bahn mehr Neukunden
Daher schlagen die Studienautoren den Berliner Verkehrsunternehmen vor: Sie sollten besserverdienenden Pendlern komfortablere Angebote anbieten – also eine 1. Klasse. Damit gewänne man nicht nur neue Kunden. Mit den Mehreinnahmen könnten BVG und S-Bahn auch die Linien ausbauen, so die Mobilität aller Berliner verbessern.
Die Studienautoren stellen sich die 1. Klasse mit Luxussitzen inklusive Sitzplatzgarantie und Internetzugang vor. Die Tickets (Einzelfahrschein für die Tarifzonen A B C kostet derzeit 3,80 Euro, die ABC-Umweltkarte 107 Euro/Monat) sollten für die First-Class-Kunden mindestens drei Mal teurer sein. Im Gegenzug könnten dann die Preise für die Normalkunden um ein Fünftel sinken.
Der Berliner Fahrgastverband Igeb hält den Vorschlag für nicht zielführend, man lehne ihn ab, so Verbandssprecher Jens Wieseke zum KURIER. „Der Berliner Nahverkehr braucht keine 1. Klasse sondern ein gut funktionierendes und bezahlbares Streckennetz für alle“, sagt er. Der neue Senat sei gut beraten, das Angebot und vor allem die Taktzeiten der Öffis zu verbessern, „damit auch die Außenbezirke etwa mit der S-Bahn alle zehn Minuten erreichbar sind“. Dies würde die Berliner in Randlagen eher dazu bewegen, mit den Öffis als mit dem Auto zu fahren.

Bei der Berliner S-Bahn gab es bis Ende der 40er-Jahre ein Zwei-Klassensystem, so Wieseke. In den 90er-Jahren wurden neue Züge auf eine mögliche Einführung einer ersten Klasse vorbereitet. Doch es blieb bei dem Versuch. Einige Züge haben noch die Sitzreihen mit den etwas längeren Beinabständen, die sich an den Wagenenden befinden.
Auf Regionalstrecken und im Fernverkehr bietet die Deutsche Bahn Erste-Klasse-Abteile an. Fahrgaste haben mehr Platz, eine Sitzplatzgarantie, erhalten einen Gratis-Internetzugang. Eine erste Klasse mit mehr Komfort lohne sich bei längeren Fahrten wie im Fernverkehr nicht aber im Berliner ÖPNV, so Igeb-Sprecher Wieseke.
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), in dem die Berliner S-Bahn-GmbH und die BVG Mitglied sind, reagiert offen auf den Vorschlag der Studienautoren zur Einführung der 1. Klasse. „Es ist eine interessante Studie, wir müssen gemeinsam schauen, wie realistisch die Vorschläge sind“, sagt VBB-Sprecherin Elke Krokowski dem KURIER. Kurzfristig werde man allerdings am bestehendem System nichts ändern.