Baubeginn der TVO sabotiert? Schwere Vorwürfe gegen grüne Verkehrspolitik
Verkehrsverwaltung soll herumtricksen, um die „Tangentiale Verbindung Ost“ zu verzögern, eine Straße, die Verkehr aus Wohngebieten abziehen soll

Wenn in Berlin Bäume gefällt werden sollen, trifft das immer auf Widerstand. Kürzlich berichteten die Berliner Zeitung und der KURIER, dass für die schon Ende der 60er Jahre von der DDR geplante Tangentiale Verbindung Ost (TVO) knapp 15,8 Hektar Wald in der Wuhlheide gerodet werden müssten. Die Fläche wäre demnach 1,2 Hektar größer als 2020 in einer TVO-kritischen Stellungnahme des Sachverständigenbeirats Naturschutz genannt. An der neuen Zahl gibt es jetzt aber Zweifel und Kritik. Sie sei ein neuer Versuch der grünen Senatsverwaltung, Stimmung gegen das Projekt zu machen.
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„Das ist eine gegriffene Zahl“, sagt Andreas Köhler, ehemaliger SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Bürgervereins Karlshorst. Er hält die von Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal (Grüne) mitgeteilte neue Zahl für einen neuen Trick der Verwaltung von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne), das Vorhaben zu verzögern. Immer wieder sei die für die TVO-Planung zuständige Mitarbeiterin von der Hausleitung ausgebremst, Personalmangel als vorgeschobenes Argument für den mangelnden Planungsfortschritt genannt worden.
Dazu seien verspätete Anmeldungen notwendiger Brückenbauten bei der Deutschen Bahn gekommen, immer neue Planungsänderungen und die Idee einer Schienen-TVO – der Wikipedia-Eintrag zu der rund sieben Kilometer langen Straße zwischen dem Knoten B1-B5 / Märkische Allee im Norden und An der Wuhlheide/Spindlersfelder Straße im Süden ist inzwischen ellenlang. Auch beim Internetauftritt des Senats kann man sich durch viele Unterlagen und Pläne fräsen.
Die ersten Ideen für die Straßenverbindung im Osten der Stadt stammen von 1929
Hans Krautzig, Köhlers Vize im Verein, verweist darauf, dass so etwas wie die TVO bereits im Berliner Generalverkehrsplan von 1929 aufgetaucht ist. Auch er sieht im Baum-Argument eine Verzögerungstaktik: „Dabei ist die Trasse gefunden, alles wurde x-mal untersucht.“ Naturschutz sei ja gut und schön, „aber auch der Mensch ist Natur“, und daher müsse die TVO Verkehr aus Straßen abziehen, an denen viele Berliner Wohnen.

Die TVO, die am Ende über Glienicker Weg und Spindlersfelder Brücke das Adlergestell und Autobahn A113 mit der Märkischen Allee (Bundesstraße B158) in Richtung Nordosten verbinden soll, müsse endlich gebaut werden. Vor allem, um die Menschen an den Nord-Süd-Verbindungen Köpenicker Straße (Biesdorf) und Treskowallee / Am Tierpark von Lärm und Abgasen der ständigen Autoflut zu entlasten.
Einer Flut, die häufig zum Stau gerinnt, auch, weil viele Lastwagen auf der Fahrt zu Gewerbegebieten in Marzahn-Hellersdorf und Köpenick die Straßen nutzen.
Köpenicker Straße wird gerade zusätzlich als Ausweichstrecke benutzt
Aktuell zusätzlich wegen der umfangreichen Bauarbeiten für den Regionalbahnhof Köpenick, sagt Peter Ohm vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer VDGN: „Viele Autofahrer weichen über die Köpenicker Straße aus, und das wird noch zwei Jahre so bleiben. Wenn es noch eines Belegs bedurft hätte, dass die TVO gebraucht wird, um den Verkehr aus den Siedlungsgebieten heraus zu holen, dann ist er jetzt da.“

Die Verzögerungen hätten auch dazu geführt, dass die Straße wegen der Preissteigerungen beim Bau immer teurer wird. Inzwischen wird mit rund 350 Millionen Euro gerechnet, ursprünglich war mit 47 Millionen kalkuliert worden.

Im Übrigen sei das Baum-Argument wacklig, nicht nur, weil es Ersatzpflanzungen geben werde. Das erklärten Köhler und Ohm unabhängig voneinander dem KURIER: Bei einer Informationsveranstaltung im Januar habe ein Planer der Senatsverwaltung mit gewissem Stolz erklärt, durch sachte Veränderungen der Planung die Zahl besonders schützenswerter Bäume zu verringern, die gefällt werden müssten.
Wie Köhler, Krautzig und Ohm stehen auch Menschen aus der Gegend zum Thema TVO. René Du Bois (59) aus Biesdorf-Süd weist darauf hin, dass die zweispurige Köpenicker Straße eine große Belastung für die Anwohner sei und inzwischen immer wieder geflickt werden muss, weil das „Nadelöhr“ für den vielen Verkehr nicht ausgelegt sei.

Wie zum Beweis hielt kurz nach dem Gespräch ein kleiner Lkw am Straßenrand. Ein Straßenbauer schippte Kaltasphalt auf ein Schlagloch, stampfte ihn fest und streute Sand darüber, damit der Asphalt nicht an den Autoreifen kleben bleibt. „Was ich hier mache, nennt sich Gefahrenabwehr“, sagte der Mann. Im Winterhalbjahr müsse er ein oder zwei Mal die Woche auf der Köpenicker Straße ran, im Sommer etwas seltener.
Olga Sachs' Haus bebt, wenn Lastwagen an ihrem Geschäft vorbeidonnern
Olga Sachs (45), die an der Straße eine Änderungsschneiderei betreibt, grinste, als der KURIER sie nach ihrer Haltung zur TVO befragte: „Wann kommt die?“ Dann ernst: „Warum wird die nicht gebaut?“ Auf einer ampellosen, vierspurigen Straße käme es zu weniger Staus, weniger Lärm und weniger Abgasen. Ersatz für die Bäume könne man woanders pflanzen.

Der Verkehr sei schlimm, und nachts bebe das Haus, wenn ein Lkw („immer gegen 0.40 Uhr“) viel zu schnell vorbeirase. Tagsüber merke man das nicht so, aber die schnörkelige Lampe im Schaufenster vibriere häufig.
Das Ehepaar Helga (75) und Harald Zobel (79) aus Mahlsdorf-Süd kann nicht verstehen, warum die TVO immer noch nicht angefangen wurde. „Wir sind wegen unseres Alters auf das Auto angewiesen, und wenn wir nach Köpenick müssen, dauert es häufig sehr lange“, sagt die Rentnerin. Die TVO sei dringend erforderlich. „Die Grünen sollten mal hier rauskommen und sich nicht nur um die Innenstadt kümmern.“

Ehemaliger SPD-Abgeordneter hofft, dass seine Partei mit der CDU koaliert. Dann könnte die TVO schnell kommen
Andreas Köhler hofft, dass die SPD-Basis der geplanten Koalition mit der CDU zustimmt (das Ergebnis wird am Sonntag bekannt gegeben), und die neue Führung des Verkehrsressorts das Projekt wie im Koalitionsvertrag vereinbart umsetzt. Das Planfeststellungsverfahren, wenn man es denn schnell einleite, könne binnen 16 Monaten abgeschlossen sein, sodass idealerweise Ende 2024 mit dem Bau begonnen werden könnte.
Zusätzliche Beschleunigung wäre möglich, wenn die nötigen Ausschreibungen schon nach der Sommerpause 2023 ausgelöst würden.
Zunächst wird es bald zumindest in der Köpenicker Straße zu einem (kurzen) Stillstand kommen: Anfang Juni wird sie zwischen Zimmermannstraße und der Bezirksgrenze zu Köpenick für zwei Tage - an einem Freitag und Sonnabend - für Reparaturarbeiten gesperrt, teilte das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf dem KURIER mit.