Formfehler bei Straßenverkehrsordnung : Alle neuen Verkehrsregeln seit 1970 ungültig?
Aktuell streiten die Länder über einen Formfehler in der neuen Straßenverkehrsordnung, es geht vor allem um härtere Strafen für Raser. Nun tauchen neue Bedenken auf – zu früheren Verordnungen.

Neue Aufregung um die Straßenverkehrsordnung: Wegen Formfehlern könnten aus Sicht von Juristen alle Änderungen seit elf Jahren ungültig sein. Das berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“ unter Berufung auf ein Schreiben des baden-württembergischen Justizressorts. Das baden-württembergische Verkehrsministerium bat das Bundesverkehrsministerium in einem Brief um eine rasche Prüfung.
Wegen eines Formfehlers war der Ende April in Kraft getretene Bußgeldkatalog der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO) von den Ländern außer Kraft gesetzt worden. Dabei geht es vor allem um härtere Strafen für Raser. Die Bundesländer und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ringen um eine Neuregelung.
Bei der neuen StVO wurde das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes verletzt: Bei Erlass einer Verordnung muss angegeben werden, auf welcher Rechtsgrundlage der Verordnungsgeber gehandelt hat. Wie das baden-württembergische Verkehrsministerium nun an das Bundesverkehrsministerium schrieb, könnte es auch in vorherigen Novellen der StVO Verstöße gegen das Zitiergebot gegeben haben.
Telefonieren im Auto bald wieder erlaubt?
Konkret habe die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 eine Rechtsgrundlage nur unzureichend zitiert. Auch die Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5. August 2009 sei wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot nichtig. Dies hätte zur Folge, dass die bis zum 31. August 2009 geltende Rechtslage anzuwenden wäre. Und wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann schrieb, sei in diesem Fall davon auszugehen, „dass die Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970 weiterhin gelten würde“.
Dann wäre ab sofort Telefonieren während der Fahrt erlaubt. Wer seine Kinder mit dem Kindersitz nicht anschnallt, ginge straffrei aus. Elektroscooter dürften nicht mehr fahren, weil die betreffende Rechtsverordnung von dem Zitierfehler betroffen ist. Auch eine Prozesswelle könnte den deutschen Gerichten ins Haus stehen: „Zu erwarten ist, dass Autofahrer versuchen, Punkte in Flensburg auf dem Gerichtswege wieder zu tilgen“, sagt der Heilbronner Verkehrsanwalt Stefan Lay.

Sollte die Sicht des baden-württembergischen Justizministeriums zutreffen, wäre dies ein „ungeahntes Bürokratieversagen“, meint der FDP-Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Oliver Luksic. Das Bundesverkehrsministerium erklärte, nach Auffassung des Ressorts leide die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 nicht an einem Zitierfehler – also einem Rechtsfehler.
Auch der ADAC sieht dies so. Die Neufassung der StVO 2013 sei damals gerade zu dem Zweck erfolgt, eine rechtssichere Verordnung aufgrund früherer Zitierfehler zu schaffen. „Dort sind alle relevanten Ermächtigungsgrundlagen unseres Erachtens korrekt angeführt.“ In den zurückliegenden sieben Jahren seien zudem nach ADAC-Recherche keine Gerichtsentscheidungen veröffentlicht worden, die Bedenken hinsichtlich des Zitiergebots bei der StVO angeführt haben. „Daher können wir eine Fehlerhaftigkeit im Neuerlass der StVO 2013 nicht bestätigen.“