Wenn selbst die Experten sprachlos sind: Ein Erklär-Bär hat’s schwer mit dem Phantom 1. FC Union
Die Eisernen von Trainer Urs Fischer übertreffen sich mal wieder selbst und haben ganz viel Spaß dabei.

Vom Journalisten zum Buchautor ist es nicht gerade weit. Beider Profession ist es, etwas mitzuteilen, im besten Fall auf unterhaltsame Weise. Der eine holt weiter aus und hat dafür viel Zeit, manchmal sogar Jahre. Der eine sollte sich kürzer fassen und alsbald auf den Punkt kommen, weil mit dem Schlusspfiff oft auch schon der Text stehen muss. Doch zu erzählen haben beide etwas, auch wenn hier die Fantasie Galopp fahren darf, dort wiederum alles einem Ergebnis untergeordnet werden muss, auch wenn sich Niederlagen nicht immer gleich anfühlen und auch der Sieg von heute einen frischeren Geschmack hat als der von gestern.
Lesen Sie auch: Öffi-Sensation: Senat plant 0-Euro-Ticket für Berlin! Angedachter Start: Schon ab 1. Juni>>
Um Geschichten über den 1. FC Union zu schreiben, die vielleicht einen anderen Dreh erhalten könnten als üblich, wäre folgende Idee womöglich plausibel: Fans von neun bis neunzig erzählen von ihrem ersten, schönsten, schlimmsten, bemerkenswertesten, bittersten, enttäuschendsten, persönlichsten Mal mit den Eisernen und wann sie tatsächlich Feuer gefangen haben und vom Fieber gepackt worden sind. Es käme ein Kaleidoskop bunter Episoden zustande, die auf eine völlig andere Art die Historie der Rot-Weißen widerspiegeln könnten.
Der 1. FC Union übertrifft sich mal wieder selbst

Eines ist dabei von vornherein klar: Der rote Faden ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Ebenso klar ist: Das zu Ende gehende Spieljahr ist selbst von geübten Schreibern nur schwer in Worte zu fassen. Wenn schon der nie zu Übertreibungen neigende Urs Fischer zu einer Vokabel wie „Wahnsinn“ greift, dann muss etwas Außergewöhnliches passiert sein. Oder, Trainer? Die Eisernen übertreffen sich mal wieder selbst und haben ganz viel Spaß dabei.
Gern wird, um den Erfolg zu erklären, von der eisernen Familie gesprochen und von dem Mythos, der dieses eigentliche Patchwork-Gebilde aus 28 Spielern, von denen fünf im Laufe der Saison die Alte Försterei verlassen haben, ausmacht. Es muss etwas haben von Pattex, Uhu-Kleber oder, um dort zu bleiben, wo der 1. FC Union seine Wurzeln hat, Duosan Rapid, um den Zusammenhalt zu erklären, der dieses Gefüge variieren lässt zwischen Gummi und Beton, an dem die Gegner einerseits abprallen und sich andererseits die Zähne ausbeißen.
1. FC Union lässt die Experten staunen

Wobei: Erklären lässt sich all das, was rund um diesen Verein gerade passiert, nicht. Seit es im deutschen Fernsehen die Experten gibt, hat es so etwas noch nicht gegeben. Selbst Günter Netzer, gemeinsam mit Gerhard Delling der Grimme-Preis-Träger der Fußball-Erklär-Bären, hätte wahrscheinlich nicht gewusst, wo und wie er bei den Eisernen anzusetzen hat. Der Altmeister des akkuraten Passes und des geschliffenen Wortes hätte seine Probleme, das Phantom 1. FC Union auf den Punkt zu bringen. Denn die Rot-Weißen kommen nicht aus der Tiefe des Raumes, sie räumen in der Tiefe vielmehr auf. Und zwar mit manchem Klischee. So der Tatsache, dass das zweite Jahr in einer höheren Liga immer das schwerere ist oder dass eine Dreifachbelastung geradezu zwangsläufig zu einem Leistungsabfall und manchmal sogar zum Abstieg führt. Das mag alles zutreffen, jedoch nicht auf die Trimmel-Knoche-Khedira-Awoniyi-Becker-Gruppe des Frühjahres 2022.
Es wird, zumindest deutet alles darauf hin, für die Eisernen auch in der kommenden Saison manches Sonntagsspiel geben. Die einzige Hürde, die sich noch in den Weg stellen könnte, sind Play-offs. Die wären der letzte noch mögliche Stolperstein auf dem Trip durch Europa. Nur haben die Männer um Capitano Christopher Trimmel längst und nachdrücklich bewiesen, wie sie mit derlei Herausforderungen umgehen: überaus erfolgreich.
1. FC Union und die kuriosen Statistiken
Es gibt noch einiges mehr, das, geht es um die Eisernen der Gegenwart, nicht zu erklären ist. Gegen die drei aktuellen Top-Teams gab es – 2:5 und 0:4 gegen die Bayern, 2:4 und 0:3 gegen Dortmund, 1:1 und 2:2 gegen Leverkusen – keinen Sieg. Na gut, passiert. Aber: Gegen die aktuell auf den drei letzten Plätzen liegenden Teams gab es bis auf ein in vorletzter Minute glücklich und von Joker Kevin Behrens erzieltes 1:0 ebenso keinen Dreier: 0:1 und 1:1 gegen Fürth, 0:1 im Rückspiel bei der Arminia sowie zweimal 1:1 gegen Stuttgart. Passiert ebenso, zeigt jedoch auch: Rot-Weiße, genießt den Erfolg, aber bleibt demütig.
Dafür ist das, was dazwischen liegt, umso beeindruckender: Es ist Europa! Was dort möglich ist, haben Feyenoord Rotterdam und Slavia Prag, die beiden Gruppengegner, an denen die Eisernen knapp gescheitert sind, gezeigt. Im Viertelfinale standen sich die Holländer und die Tschechen erneut gegenüber und sich mit 3:3 sowie 3:1 für Feyenoord zwei wilde Partien geliefert. Rotterdam, ganz nebenbei, steht am 25. Mai in Tirana im Endspiel gegen AS Rom. Es gibt wohl keinen Union-Fan, der da nicht anfängt zu träumen.
Lesen Sie hier mehr über den 1. FC Union >>