Große KURIER-Serie: Die Väter des Erfolges beim 1. FC Union
Spieler aus aller Herren Länder kommen gern in die Alte Försterei
Der KURIER hat die Rangliste des rot-weißen Erfolgs beim 1. FC Union erstellt. Auf Platz vier: Union international

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den einen oder das eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz vier: Die Sprache Fußball ist international.
Was wurde Jacek Mencel einst gefeiert. Ein Pole bei Union, so etwas hatte es nie zuvor gegeben. Ausländer, selbst aus den östlichen Bruderländern, durften in der Oberliga, das war der ständige Anspruch der Eisernen, den sie jedoch nicht immer zu verwirklichen wussten, nicht spielen. Damals, vor 33 Jahren, war die Mauer zwar gefallen, doch der sozialistische Teil Deutschlands existierte noch in seinen letzten Zügen. Außerdem spielten die Rot-Weißen gerade mal wieder zweitklassig, und Regeln und Gesetze, die 40 Jahre Bestand hatten, wurden während des Übergangs zu einem völlig neuen Leben aufgeweicht und letztlich über Bord geworfen.
Über Nacht war Mencel gekommen, bei Pogon Stettin hatte er bislang gespielt. Nun wollte er sein Glück in Deutschland versuchen. Es gelang ihm ganz gut, auch wenn der kollektive Erfolg ausblieb: Gleich in seinem ersten Spiel, einem 2:3 bei Bergmann-Borsig, erzielte er beide Treffer für sein neues Team, schoss weiter Tore am Fließband und wurde von den Fans zum Unioner des Jahres 1993 gewählt. Um nur ein Jahr später in Ungnade zu fallen. Mencel war ein Veilchen geworden, er hatte, etliche hatten noch den DDR-Jargon drauf, zu Tennis Borussia rübergemacht. Ausgerechnet zum damals gerade neu erkorenen Erzfeind.
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Mencel war der erste Gastarbeiter beim 1. FC Union
Nach Mencel sind viele Ausländer gekommen, darunter gute und sehr gute, aber auch weniger gute bis ziemlich schlechte. Von A wie Abdullahi Suleiman bis Z wie Zulj Robert reicht ihre Reihe. Immer wieder hieß und heißt es seit Mencel: Willkommen, Bienvenue, Welcome, auch Velkommen, Dobrodosli und Grüezi. Mit den Jahren ist die Welt zu Gast in Köpenick – und die Spieler, die wie Christopher Trimmel, Robert Zulj (beide Österreich), Rafal Gikiewicz (Polen), Sebastian Andersson (Schweden), Julian Ryerson (Norwegen) und Suleiman Abdullahi (Nigeria) bereits zu den Aufstiegshelden gehören, sowie jene, die erst danach den Weg in die Alte Försterei gefunden haben, werden immer besser.
Nationalspieler sind darunter und solche, die es in Köpenick geworden sind – wie Trimmel, Ryerson, Andersson, Marcus Ingvartsen für Dänemark, Taiwo Awoniyi für Nigeria und zuletzt Sheraldo Becker für Suriname. Es sind EM-Fahrer dabei und solche, die um die Afrikameisterschaft (Awoniyi), um die Meisterschaft in Asien (Genki Haraguchi für Japan) und um den Gold Cup in Nord-/Zentralamerika und der Karibik (Becker) gespielt haben. Seit Kurzem gibt es in der Kabine der Rot-Weißen sogar WM-Teilnehmer. Die Sprache Fußball ist mehr denn je international, außerdem ist der 1. FC Union eine angesagte Adresse geworden, sodass Kicker aus aller Herren Länder gern in die Alte Försterei kommen.
Gerade im vergangenen Jahr haben die Eisernen, was ihre internationale Kompetenz angeht, regelrecht geklotzt. Das hat auch damit zu tun, dass sie zum zweiten Mal in Folge europäisch gespielt haben, nach der Conference League folgte die höher eingestufte Europa League. Zunächst jedoch ist bei zwei Assen, die bereits in der Alten Försterei waren, der Knoten geplatzt: Frederik Rönnow und Sheraldo Becker.

Nach sieben Einsätzen in der Saison zuvor, als Rönnow sich noch hinter Andreas Luthe anstellen musste, hat der Schlussmann seine Klasse durchgängig unter Beweis gestellt. In elf von 29 Bundesligaspielen hat er seinen Kasten sauber gehalten, dazu in fünf Spielen in Europa. Zwischen dem 0:1 bei Sporting Braga und dem 3:1 zu Hause gegen Ajax Amsterdam, nur unterbrochen durch eine Verletzung, durch die er im Gruppenspiel bei Union St.-Gilloise zur Halbzeit Platz gemacht hat für Lennart Grill, musste er 465 Minuten am Stück keinen Ball aus dem Netz holen.
Vor solch einem Schlussmann lässt sich gut spielen. Über Becker wiederum, mit elf Treffern der erfolgreichste Saison-Torschütze und für Suriname in sieben Länderspielen mit zwei Treffern notiert, sind die Heldengeschichten längst besprochen, beschrieben und bebildert.
Durch den 1. FC Union kann Leite jetzt auf Länderspiele hoffen
Während Rönnow wegen seiner Vergangenheit bei Eintracht Frankfurt und auf Schalke sowie Becker in seinem vierten Jahr bei den Eisernen keine unbeschriebenen Blätter mehr sind, haben gerade in den vergangenen zwölf Monaten Spieler, von denen nur wahre Kenner der Szene wussten, ihre Visitenkarten im Südosten von Berlin abgegeben. Diogo Leite, der Abwehrspieler aus Portugal, leistet sich zwar den einen oder anderen Bock – vor allem beim 1:4 in Freiburg erwischt er mit einer Notbremse, die einen Elfmeter und die Rote Karte nach sich zieht, einen rabenschwarzen Tag, auch beim 2:4 in Sinsheim sieht er mau aus –, spielt sich aber dennoch ins Rampenlicht und weckt das Interesse seines Nationaltrainers Roberto Martinez.
Sein Länderspieldebüt beim Europameister von 2016 steht zwar noch aus, aber im März gehörte er zum Aufgebot, als Cristiano Ronaldo und Co in der EM-Qualifikation Siege gegen Liechtenstein (4:0) und Luxemburg (6:9) einfuhren. Da ackert einer wie Morten Thorsby, im Mittelfeld ein unerbittliches Arbeitstier, fast schon ein wenig unter dem Radar.
Dafür läuft es für den Niederländer Danilho Doekhi nahezu spektakulär. Der Neffe von Winston Bogarde, 1995 mit Ajax Amsterdam Sieger in der Champions League, groß rausgekommen danach beim FC Barcelona, ist so etwas wie der heimliche Gewinner der Saison 2022/23. Wenn schon seine Kopfballstärke in der Abwehr imponiert, dann löst sie beim Gegner in dessen Strafraum geradezu Schweißausbrüche aus. Die Variante ist altbekannt, klappt aber immer wieder. Gegen Hoffenheim, zweimal beim 3:1 zu Hause, einmal beim 2:4 auswärts, passiert das sogar im Dreierpack und fast schon mit Ansage: Ecke Trimmel, Kopfball Doekhi – Tor!
Ähnlich läuft es auch die anderen Male, beim 2:1 gegen Mönchengladbach nach Flanke von Jamie Leweling, beim 2:0 im Olympiastadion im Stadtderby nach Freistoß von Trimmel und in Europa beim 3:1 gegen Ajax nach hohem Zuspiel von Josip Juranovic. Einen besseren Beweis dafür, dass Fußball nicht zuletzt auch mit dem Kopf gespielt wird, kann niemand erbringen.
Der 1. FC Union holt inzwischen auch WM-Stars
Überhaupt ist den Köpenickern in Sachen Internationalität ein Quantensprung gelungen. Vor einem halben Jahr haben sie mit Juranovic (WM-Dritter mit Kroatien, Champions-League-Teilnehmer mit Celtic Glasgow), Aissa Laidouni (WM-Teilnehmer mit Tunesien und dort beim 0:0 gegen Dänemark Spieler des Spiels) und Jerome Roussillon (für Frankreich bestritt er Nachwuchs-Länderspiele, als Unioner wurde er A-Nationalspieler von Guadeloupe) ein Trio verpflichtet, das höheren Ansprüchen gerecht wird. An Erfahrung und an internationaler Stabilität kann ein Team nie genug haben.
Trotzdem heißt es selbst hier: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Jordan Siebatcheu, vor einem Jahr mit 22 Treffern als Torschützenkönig in der Schweizer Super League gekommen, hat noch viel Luft nach oben. Drei Treffern in seinen ersten sechs Spielen ließ er in seinen übrigen 25 Einsätzen nur noch einen folgen, vergab dafür zwei Elfmeter. Sollte Trainer Urs Fischer außerdem für das neue Spieljahr einen Wunsch frei haben, könnte der so lauten: Lass Andras Schäfer, das ungarische 70-Kilo-Leichtgewicht, nach seinen Mittelfußbrüchen gesund werden, zu Fitness und zu beständiger Form finden.
Denn in der Champions League stehen die Eisernen vor ihrer international größten Herausforderung. Dann ist, obwohl es auf Heimspiele im Olympiastadion hinausläuft, zumindest sprichwörtlich die ganze Welt zu Gast in Köpenick.
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