Widerwillig westwärts

Was bedeutet der Umzug ins Olympiastadion für die Fans des 1. FC Union?

Klubboss Dirk Zingler erläuterte seinen Entschluss in einer  langen E-Mail an die 56.000 Vereinsmitglieder der Eisernen.

Teilen
Union-Präsident Dirk Zingler (l.) zusammen mit Pressesprecher Christian Arbeit bei einem Spiel der Conference League im Olympiastadion.
Union-Präsident Dirk Zingler (l.) zusammen mit Pressesprecher Christian Arbeit bei einem Spiel der Conference League im Olympiastadion.Matthias Koch/Imago

KURIER-Leser wussten es bereits früher, nun ließ Dirk Zingler, der Präsident des 1. FC Union, in einem Brief an die mehr als 56.000 Vereinsmitglieder die Katze endgültig aus dem Sack. Die Eisernen werden ihre internationalen Heimspiele in der neuen Saison nicht zu Hause in der Alten Försterei bestreiten, sondern ziehen für die Kicks der Königsklasse ins Olympiastadion um. In der Berliner Betonschüsssel gibt es in der kommenden Saison keinen Bundesliga-Fußball – aber Spiele der Champions League. Für dieses Kuriosum sorgt der 1. FC Union mit seinem heiß diskutierten Umzug.

Diese 30 Kilometer quer durch die Hauptstadt werden vielen Fans des 1. FC Union richtig schwerfallen. Also rein emotional gesehen und nicht nur, weil der Weg aus dem Westend der Stadt unter der Woche dann für nächtliche Touren über die Geisterstunde hinaus sorgen wird. Der Umzug aus dem geliebten Stadion An der Alten Försterei ins Olympiastadion für die Spiele der Champions League wird bei den Eisernen heiß diskutiert. Boss Dirk Zingler erklärte die Entscheidung sogar in einer persönlichen E-Mail an alle Mitglieder des Bundesligisten. Der Beschluss habe „nicht nur eine rationale Komponente, sondern auch eine ganz wichtige emotionale Ebene“, schrieb der Klubchef. Der KURIER fasst hier die ganze Thematik noch einmal zusammen:

Worum geht es im Stadion-Konflikt von Union überhaupt?

Der 1. FC Union hat sich zum dritten Mal in Serie für einen Europacup-Wettbewerb qualifiziert. Nach der Conference League in der Spielzeit 21/22 und der Europa League in der Saison 22/23 geht es nun zum ersten Mal in die Champions League. Das eigene Stadion An der Alten Försterei fasst im Ligabetrieb nur 22.012 Zuschauer, im Olympiastadion können mehr als 74.000 Besucher die Spiele sehen.

Ein Umzug in die größere Arena scheint logisch. Das Problem: Bei kaum einem anderen Klub identifizieren sich die Fans so sehr mit dem eigenen Stadion. Einige haben es sogar mit erbaut, in der Spielzeit 2008/09 – Union kickte seinerzeit in der Dritten Liga vor etwas mehr als 7000 Besuchern im Schnitt und spielte sogar für eine Saison im Jahnsportpark – legten sie im wahrsten Sinne des Wortes den Grundstein dafür, dass das Ballhaus des Ostens das Schmuckstück wurde, als das es heute bekannt ist. Das Olympiastadion hingegen, obwohl im städtischen Besitz, ist Sinnbild von Hertha BSC, des ungeliebten Rivalen aus dem Westen der Hauptstadt.

Da es keine Derbys gibt in der kommenden Saison, sucht der 1. FC Union nun halt andere Möglichkeiten, um im Olympiastadion feiern zu können.
Da es keine Derbys gibt in der kommenden Saison, sucht der 1. FC Union nun halt andere Möglichkeiten, um im Olympiastadion feiern zu können.Jürgen Engler/Imago/Nordphoto

Was hat die Uefa mit der Angelegenheit zu tun?

Seit 1998 erlaubte die Uefa keine Stehplätze bei Europacup-Spielen. Stadien für die internationalen Wettbewerbe mussten zudem eine Mindestanzahl an Sitzplätzen haben. Das Stadion An der Alten Försterei erfüllte die Kriterien nicht. Deshalb mussten die Köpenicker 2021 in der Conference League ins Olympiastadion ausweichen. Wegen der Corona-Auflagen war das Stadion damals aber auch nur zum Teil gefüllt.

In einem Pilotprojekt wurden dann im Vorjahr von der Uefa Stehplätze zugelassen. Union spielte in der Europa League deshalb fünfmal in seinem Zuhause international. Jetzt wurde der Feldversuch verlängert, Union hätte also unter Auflagen in Köpenick spielen können. Die Uefa lieferte den Eisernen keine logistische Ausrede für einen Umzug.

Wieso fiel die Entscheidung dennoch fürs Olympiastadion?

Präsident Dirk Zingler beschrieb in seiner E-Mail an die Vereinsmitglieder einen schwierigen Entscheidungsprozess. Mehrfach hob er auf sein Schlüsselargument ab: Im Olympiastadion können alle Klubmitglieder mehrfach Champions-League-Fußball live erleben – in der Alten Försterei wäre das bei drei Gruppenspielen unmöglich gewesen. „Champions League für alle Unioner – von dieser Idee haben wir uns leiten lassen“, schrieb Zingler.

Geht es auch ums Geld?

Mit Sicherheit ja. Auch wenn Zingler in seiner E-Mail dazu kein Wort verliert. Aber natürlich spielen die Finanzen eine Rolle. In Summe geht es wohl um einen mittleren einstelligen Millionenbetrag, der alleine bei den drei Gruppenspielen mehr erwirtschaftet werden kann. Gerade die VIP-Tickets und Logen bringen große Gewinne. Damit zu argumentieren, verbietet das von Union selbst kultivierte Image des Underdog-Vereins, der nicht jeden Kommerzscheiß mitmacht. Intern wurden sicherlich die Taschenrechner angeworfen und die Schlussrechnung machte die Entscheidung für einen Geschäftsmann wie Zingler alternativlos. Kommerz siegt über Herz! Muss manchmal eben so sein, wenn man weiter im Konzert der Großen mitspielen möchte. 

Wie werden jetzt die Tickets vergeben?

Der Klub wird ein Verfahren entwickeln, das die 56.000 Mitglieder in den Genuss von Königsklassen-Heimspielen im Olympiastadion bringt. Die treuen Eisernen werden ein Erstzugriffsrecht bekommen, das hat Zingler schon klargemacht. Mit Spannung wird die Auslosung am 31. August im Grimaldi-Forum von Monaco erwartet. Eine Gruppe mit Manchester City, Atletico Madrid und dem AC Mailand ist möglich. Ein Horrortopf mit Feyenoord Rotterdam, FC Porto und Schachtjor Donezk aber auch. Der erste Spieltag steigt am 19./20. September.

Wird das ganze jetzt ein billiges Vergnügen?

Mit Sicherheit nein! Nur weil jetzt rund 75.000 Besucher zu den Spielen der Köpenicker kommen können, werden die Tickets nicht verramscht werden. Schon in der Vorsaison lautete das Motto für die Europa-League-Partien „Europa ist mir lieb und teuer“. Teilweise waren die Karten doppelt so teuer im Vergleich zu den Ligakicks. Auch jetzt will Union ja Kasse machen. Zudem muss die Stadionmiete bezahlt werden. Hertha durfte pro Ligakick um die 300.000 Euro blechen. Günstiger wird das für die Eisernen nun auch nicht. Es könnte sogar mehr als das werden. Das Land Berlin muss ja auch auf seine Kosten kommen ...

Sind weitere Spielverlegungen denkbar?

Die Entscheidung betrifft nur die Königsklasse. In der Bundesliga und im DFB-Pokal spielt Union in der kommenden Saison sicher in der Alten Försterei. Aber: 2025 steht schon wieder ein Umzug an. Dann wird das Ballhaus des Ostens in Köpenick hoffentlich endlich ausgebaut. Der 1. FC Union wird für eine komplette Spielzeit ausweichen müssen und kickt dann wieder im Olympiastadion. 

Lesen Sie hier mehr über den 1. FC Union >>