Unions Lückenbüßer auf dem Weg zu neuen eisernen Helden
Weil der 1. FC Union womöglich lange auf Taiwo Awoniyi verzichten muss, sollten andere ihre Chance ergreifen.

Es ist der Fluch der guten Tat. Zumindest ein bisschen. Zur Beruhigung: Das weiß man vorher, meistens jedenfalls, und nimmt es sozusagen billigend in Kauf. Insofern tut es zwar weh, ist wahrscheinlich aber dann doch nicht wirklich schlimm. Der Kopf hat sich darauf eingerichtet, nun müssen nur noch die Beine folgen. Mit anderen Worten: Der 1. FC Union wird Taiwo Awoniyi vermissen, eventuell sogar schmerzlich. Andererseits sind die Eisernen stolz darauf, einen wie den Nigerianer, ihren aktuell mit neun Punktspieltreffern besten Torschützen, zu haben und ihm beim Afrika-Cup in Kamerun die Daumen zu drücken.
Unions Taiwo Awoniyi gilt mit Nigeria als Favorit
Mindestens bis zum 20. Januar – vorausgesetzt, in diesen außergewöhnlichen Zeiten wird durch Außergewöhnliches nichts über den Haufen geworfen – werden die Rot-Weißen auf ihre Nummer 14 verzichten müssen, eher aber noch länger, womöglich bis zum Finale, das am 6. Februar im neuen und 60.000 Zuschauer fassenden Stade Paul Biya in Kameruns Hauptstadt Yaounde ausgetragen wird. Für Awoniyi ist ein durchaus langes Turnier möglich, weil die Super Eagles bei der Auslosung als Gruppenkopf gesetzt waren und gegen Ägypten, den Sudan und Guinea-Bissau als Favorit gelten. Deshalb ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass die Super-Adler nicht mindestens einer der vier besten Gruppendritten werden, damit ins Achtelfinale kommen und womöglich bis zum glücklichen Ende dabei sein werden.
Das erste Tor in der Rückrunde, die für die Männer um Kapitän Christopher Trimmel am Sonnabend mit dem Spiel bei Bayer Leverkusen beginnt, wird Awoniyi für die Eisernen also aller Voraussicht nach nicht schießen und damit nicht an Unions erstes Saisontor, seinen 16-Meter-Hammer unter die Latte beim 1:1-Start gegen Bayer im August, anknüpfen. Deshalb müssen andere in die Bresche springen. Die Beispiele, da es zu schmerzhaften personellen Ausfällen kam, die Sache für die Mannschaft trotzdem gut ausging, pflastern sich durch die Historie. So werden Lückenbüßer – dabei, schon klar, gibt’s die nicht, denn alle sind wichtig – die neuen Helden.
Union muss Awoniyi-Abwesenheit kompensieren

1962 war’s, der damals 21-jährige Pelé war längst ein Großer, fiel aber für die wichtigen Spiele der Brasilianer bei der WM in Chile verletzt aus. Amarildo, auch erst 22, musste ran, erzielte gegen Spanien beide Tore zum 2:1-Sieg und markierte beim 3:1 im Endspiel gegen die CSSR nach Rückstand den Ausgleich und trug so zur erfolgreichen Titelverteidigung der Selecao bei. 2014, diesmal betrifft es das deutsche Team, musste Sami Khedira kurz vor dem Finale passen. Für den Ersatz (Christoph Kramer) kam wegen dessen Gehirnerschütterung ein neuer Ersatz (André Schürrle), der einem anderen Ersatz (Mario Götze) das 1:0-Siegtor auflegte. Was auch muss den Portugiesen 2016 im EM-Finale durch Mark und Bein gefahren sein, als sie gegen die Franzosen gleich in der Anfangsphase Cristiano Ronaldo verletzt verloren. Sie holten trotzdem den Titel, weil Eder, ihr dritter Joker, in der Verlängerung traf.
Das klingt ziemlich märchenhaft, ist aber ebenso auf den Klubfußball übertragbar. Jimmy Hartwig, der klasse Abräumer und Alles-Weggrätscher beim Hamburger SV, sah im Halbfinal-Rückspiel des europäischen Meistercups 1983 Gelb und war für das Finale gegen Juventus Turin gesperrt. Ausgerechnet er, der Juve-Spielmacher Michel Platini ausschalten sollte. Dann aber übernahm Wolfgang Rolff diese schier unlösbare Aufgabe und ließ den Franzosen ziemlich alt aussehen. Ähnlich verrückt hat es Helmut Gaube getrieben, in der größten Zeit des 1. FC Magdeburg eher ein Mitläufer in der Elf um Manfred Zapf und Wolfgang Seguin, Jürgen Pommerenke und Axel Tyll, Jürgen Sparwasser und Martin Hoffmann. Nur in einem von acht möglichen Spielen war Gaube 1973/74 im europäischen Pokalsiegerwettbewerb zum Einsatz gekommen. Im Endspiel aber musste er den gesperrten Klaus Decker ersetzen. Seine Aufgabe war noch um einiges kniffliger als die neun Jahre später von Rolff, denn Gaube bekam es mit Gianni Rivera zu tun, dem Alleskönner im Spiel des AC Mailand. Alle aber wissen: Gaube nahm eines der begnadetsten Mittelfeld-Asse der damaligen Zeit komplett aus dem Spiel und war eigentlich der Schlüssel zum Magdeburger 2:0-Triumph.
Union hat mehrere Kandidaten
Was könnte das für den 1. FC Union heißen, von Max Kruse, dem es sowieso alle zutrauen, mal abgesehen? Sheraldo Becker, bitte übernehmen! Kevin Behrens, ein zweites oder drittes Bundesligator würde dem eigenen Selbstwertgefühl einen weiteren Schubser geben! Andreas Voglsammer, vielleicht würde mit einem weiteren Treffer der Knoten noch mehr platzen! Kandidaten gibt es einige, oder hat vor der Saison jemand auch nur ernsthaft damit gerechnet, dass Niko Gießelmann im Herbst schon drei Buden machen würde und Julian Ryerson zwei?
Das zeigt, Leute: Es kann funktionieren. Eines sollte dabei klar sein: Taiwo Awoniyi hätte nichts dagegen und würde sich eher mitfreuen.
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