Trimmel und Co: Eiserne „alte Säcke“ mit dem Capitano als Anführer
So alt wie der 1. FC Union ist kein anderes Bundesliga-Team, aber nur wenige sind besser.

Die Zahl der 100-Jährigen in Deutschland steigt und steigt. Laut Statistik von 2020 ist die Zahl der Hochbetagten trotz Corona um über 3000 im Jahr zuvor auf 20.465 gewachsen. Damit gibt es von den Super-Senioren so viele wie noch nie zwischen Ostsee und Alpen sowie zwischen Oderbruch und Saarland. Deutschland wird immer älter, das ist nicht neu. Immer deutlicher aber wird, dass die Alten immer fitter bleiben.
Um damit zum Fußball zu kommen: Allein in Berlin spielen 59 Mannschaften der über 60-Jährigen in drei Spielklassen um Punkte. Und in der ziemlich neuen Oldie-Liga der über 70-Jährigen steigt heute im letzten Match der Meisterschaftsrunde zwischen den punktgleichen Teams von Hertha BSC und vom SV Buchholz (dort ist mit Eckhard Düwiger übrigens ein Alt-Unioner am Ball, der in der Alten Försterei als blutjunger Trainer den gleichaltrigen Mecky Lauck in WM-Form trimmte) ein echtes Endspiel. Egal wie es ausgeht, gewonnen haben, weil sie sich mit ganz viel Frische engagieren, schon alle.
Älter als Union ist kein Bundesligist
Dass Alter vor Torheit nicht schützt, ist schon lange klar. Es ist aber noch längst nicht in allen Köpfen drin, dass die Oldies trotzdem immer besser werden. Im speziellen Fall mischen sie die Bundesliga auf, fühlen sich wie in einem Jungbrunnen und werden von manchem Greenhorn bestaunt: Es sind die alten Säcke (das ist wie immer nett gemeint) des 1. FC Union, die sich mit Rang fünf so gut schlagen wie noch nie und auch trotz Dreifachbelastung (am Donnerstag geht’s in Europa schon wieder bei Maccabi Haifa weiter) kein bisschen schlappgemacht haben in den bisherigen 20 (!) Pflichtspielen dieser Saison.

Wer diese Jungs sieht, mag es kaum glauben: Beim jüngsten 2:0-Derbysieg ließ Trainer Urs Fischer eine Startelf ran mit einem Durchschnittsalter von 28,82 Jahren. Älter ist aktuell kein anderer Bundesligist. Der Clou dabei ist, dass der Älteste, Christopher Trimmel, sogar der Beste war – sein erstes Saisontor inbegriffen. Der Capitano, 34 Jahre reif, erlebt seinen x-ten Frühling und fühlt sich wie ein Fisch im klaren Gebirgsbach.
Luthe schlägt Neuer und Gulasci
Überhaupt machen es bei den Eisernen vielfach die Oldies, na gut, sie haben wohl auch die meisten und die meisten guten sowieso. Andreas Luthe, der um Punkte in dieser Saison zum vierten Mal die Null hielt und damit einmal öfter als zum Beispiel Bayerns Manuel Neuer und Leipzigs Peter Gulacsi, ist nur 14 Tage jünger als Trimmel. Dass die 3 auch bei Max Kruse, Niko Gießelmann und Genki Haraguchi vorn steht, rundet die Sache nur ab.
Jeder, der sich ernsthaft mit Fußball beschäftigt, weiß natürlich, dass man auf Dauer mit einer Ü30 nicht viel reißen kann. Mit einer U23 ist aber auch noch niemand Meister geworden und wird es auch nie. Es ist wie immer im Leben, es kommt auf die Mischung an. Die Dosis – hier sorgt sie für Depression, da für Glückseligkeit – macht das Gift.
Ein Blick in die Vergangenheit hilft. Deutschlands Weltmeister-Teams waren nie jung, sie waren aber auch nie alt, sie waren immer eher durchwachsen. Sepp Herberger ließ 1954 vor dem 35-jährigen Schlussmann Toni Turek und um den 33-jährigen Kapitän Fritz Walter eine Elf auflaufen, die es im Schnitt auf 27,91 Jahre brachte. Die WM-Final-Elf von 1974 mit den 30-jährigen Sepp Maier, Wolfgang Overath und Jürgen Grabowski, aber auch mit den 22-jährigen Paul Breitner, Rainer Bonhof und Uli Hoeneß hatte einen Altersdurchschnitt von 26,64, die von 1990 (Klaus Augenthaler war mit 32 der Oldie, Bodo Illgner mit 23 das Küken) einen von 27,27 und die von 2014 (Miroslav Klose ist mit 36 der älteste deutsche Weltmeister überhaupt) einen von 26,82 Jahren.
Trimmel und die Altersweisheit
Einerseits ist das mit der Mischung klar. Andererseits ist es eine Kunst und erfordert viel Erfahrung und noch mehr Fingerspitzengefühl, diese Alters-Balance dahin zu bringen, dass sie so performt wie bei den Eisernen. Dazu gehört dosiertes Training für die Älteren, dazu gehören auch Pausen. So wie die, die sich Christopher Trimmel morgen in Israel, wenn auch gezwungenermaßen, nimmt. Sie wissen: Gelb-Rot gegen Feyenoord Rotterdam. Vielleicht ist das sogar – mit Augenzwinkern, völlig klar – ein Schuss Altersweisheit gewesen …
Zur Altersweisheit gehört nämlich auch, dass die 100-Jährigen nicht mehr alles brauchen und auch nicht alles wollen. Die meisten, sagt eine Untersuchung, antworten auf die Frage nach ihrem Befinden trotz mancher Zipperlein: „Mir geht es gut.“ Nach einem Seufzer erst folgt, was auf den 1. FC Union ganz und gar nicht zutrifft, was an Lockerheit, auch für manchen sportlichen Erfolg wichtig, jedoch nicht zu übertreffen ist: „Die anderen sind nämlich schon tot.“
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