Klartext vom Verteidiger des 1. FC Union

Timo Baumgartl: Es gibt viel Leid in den Fußball-Kabinen

Sein Umgang mit der Krebserkrankung sorgte für viel Aufsehen, jetzt spricht Timo Baumgartl über ganz andere Erfahrungen im Profigeschäft.

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Timo Baumgartl verlässt den 1. FC Union mit Abschiedsgeschenk und blauem Plastik-Beutel.
Timo Baumgartl verlässt den 1. FC Union mit Abschiedsgeschenk und blauem Plastik-Beutel.Matthias Koch/Imago

Das Kapitel Timo Baumgartl schließt sich beim 1. FC Union. Der Verteidiger verlässt die Eisernen und mit ihm verlieren die Köpenicker einen Spieler, der abseits des Platzes viel mehr als nur den Ball im Kopf hat. Für alle sichtbar wurde das durch den Umgang Baumgartls mit seiner Krebserkrankung. Auch im Interview mit dem „Stern“ rückt Baumgartl den Fokus vom Fußball weg.

Obwohl das Thema psychischer Krankheiten im Profi-Sport immer mehr in den Fokus rückt, sieht Timo Baumgartl im Fußball eine Kultur des Verschweigens und Verdrängens. „Es gibt viel stilles Leid in deutschen Fußballkabinen“, sagte der 27 Jahre alte Innenverteidiger dem „Stern“ (Mittwoch). „Profifußballer sind am Ende Ich-AGs, selbst in einer funktionierenden Mannschaft. Deine Probleme interessieren die meisten Teamkollegen nur, solange sie selbst gut spielen. Läuft es bei ihnen schlechter, haben sie oft keinen Kopf mehr für deine Sorgen.“

Professionelle Hilfe bei mentalen Belastungen in Anspruch zu nehmen, sei noch immer ein Tabuthema.

„Das ist absurd, weil im Fußball versucht wird, jedes Prozent Leistung aus einem Sportler rauszuholen. Warum schaut man dabei nur auf den Körper und nicht auf die Seele?“, sagte Baumgartl. Bei einem Bänderriss sei klar, dass ein Arzt helfen müsse. „Warum gilt das nicht ebenso selbstverständlich bei mentalen Problemen? Für mich ist es ein Zeichen von Stärke, zur Therapie zu gehen“, sagte Baumgartl. Dabei kenne er Spieler, „die haben vor jeder Partie Durchfall. Das sind keine Einzelfälle“. Er selbst habe einen Tick entwickelt und eine halbe Stunde zum Anziehen seiner Fußballschuhe gebraucht. Erst durch eine Therapie habe er diesen Tick abstellen können.

Als Spieler lerne man schnell, dass es „in dieser Branche darum geht, auf dem Rasen zu funktionieren. Also nimmst du dich zurück“, sagte Baumgartl, der nach seiner überstandenen Hodenkrebserkrankung immer noch regelmäßig zur Psychotherapie geht. „Viele Spieler würden über ihre Ängste gern sprechen, wenn sie könnten. Da bin ich mir sicher“, sagte er. Die Therapie habe einen großen Anteil an seiner schnellen Rückkehr in den Leistungssport gehabt. Im Frühjahr 2022 war bei Baumgartl ein Hodentumor entfernt worden. Am 18. September 2022 feierte er nach überstandener Operation und Chemotherapie sein Startelf-Comeback.

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