Neue KURIER-Serie: Die Väter des Erfolges beim 1. FC Union

Nach einer Odyssee fand Taiwo Awoniyi beim 1. FC Union sein Zuhause

Der KURIER hat die Rangliste des rot-weißen Erfolgs beim 1. FC Union erstellt. Platz 12: Taiwo Awoniyi.

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Taiwo Awoniyi fand beim 1. FC Union endlich sein Zuhause.
Taiwo Awoniyi fand beim 1. FC Union endlich sein Zuhause.imago/Jan Huebner

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den Einen oder das Eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 12 – Taiwo Awoniyi auf der Suche nach einem Zuhause.

Von Ilorin bis Abuja sind es etwas mehr als 300 Kilometer, nach Lagos, in die Megametropole am Golf von Guinea und bis 1991 als Hauptstadt Nigerias Vorgänger von Abuja, gut 50 Kilometer weniger. Das sind bekannte Orte für ihn, der mit vollem Namen Taiwo Michael Awoniyi heißt und eine Zwillingsschwester namens Kehinde hat. Dort, im Bundesstaat Kwara, in dessen Hauptstadt Ilorin, ist er aufgewachsen. Als Zehnjähriger schleicht er durch die Straßen, um durch irgendeine Ritze in einen Pub zu schauen, in dem im Fernsehen ein Fußballspiel übertragen wird. Die Stars aus der Premier League sind seine ersten Helden und er bewundert diejenigen, die beim Afrika-Cup mitspielen.

Bis Fußball seine Leidenschaft wird, jedoch nicht er selbst in der Schule sein Talent erkennt, sondern die anderen. Weil er gut ist, schnell, Torinstinkt besitzt und eine passable Schusstechnik entwickelt. Nur beißt sich der Wunsch, Fußball zu spielen, mit der Pflicht, als gläubiger Christ mehrmals in der Woche in die Kirche zu gehen, vor allem aber natürlich an Sonntagen. Fußball stört, auch weil Taiwo, ähnlich wie zwei ältere Schwestern, von denen eine Hebamme wurde und die andere Apothekerin, einen medizinischen Beruf ergreifen soll. Einen Arzt hat jeder gern in der Familie.

Awoniyis Traum heißt FC Liverpool

Doch der Fußball siegt. Awoniyi dribbelt und schießt sich in Nigerias Nachwuchsteams, gehört jener Generation an, die 2013 den Weltmeistertitel der 17-Jährigen gewinnt, zwei Jahre später ist er Teil der U20- und U23-Teams seines Landes, mit denen er Afrikameister wird. Der Angreifer hat es fast geschafft. Nur der nächste Schritt fehlt noch, der letzte, von dem alle träumen, den aber sehr viele verpassen: Es fehlt der Sprung nach Europa und auf dem alten Kontinent möglichst zu einem renommierten Verein.

Awoniyi kann sein Glück kaum fassen, als dieser Kindheitstraum Wirklichkeit wird. Liverpool; das Stadion an der Anfield Road; die „Reds“, die er so oft in den Pubs gesehen hat; die Tradition auf der Insel; das Mutterland des Fußballs – mehr geht für einen gerade 18-Jährigen nicht.

Das Glück aber ist nicht von Dauer. Er ist in keinem Spiel gegen Manchester United dabei und auch nicht gegen den FC Arsenal, es kommt zu keiner Partie gegen den FC Chelsea oder gegen Tottenham und erst recht nicht zum Merseyside-Derby gegen Everton. Die Gegner heißen Sandhausen und Karlsruhe, Kaiserslautern und 1860 München, Paderborn und Heidenheim – Awoniyi ist ausgeliehen nach Frankfurt. Jedoch nicht zu Eintracht, sondern zum FSV. Deutsche Zweite Bundesliga statt Premier League.

Als der FSV im März 2016 beim 1. FC Union antritt, wird Awoniyi für die letzte halbe Stunde eingewechselt. Ein Tor erzielt er nicht, dafür treffen Bobby Wood (2), Damir Kreilach und in letzter Minute Christopher Trimmel. Der FSV, wo sein Trainer zuletzt Falko Götz heißt, steigt, auch wegen des 0:4 in der Alten Försterei, in die Dritte Liga ab und Awoniyi muss gehen. Mal wieder hat er ausgedient. Das Vagabundenleben geht weiter. Awoniyi wird Jahr für Jahr verliehen: in die Niederlande zum NEC Nijmegen, nach Belgien zu Royal Excel Mouscron und zu AA Gent, nach Deutschland zu Mainz 05 und, nach ein paar Trainingstagen beim FC Liverpool, zum 1. FC Union.

Awoniyi kommt als Andersson-Ersatz zum 1. FC Union

Es ist der Sommer des Jahres 2020. Die Eisernen haben als Bundesliganeuling souverän die Klasse gehalten und sind auf der Suche nach einem Ersatz für Sebastian Andersson, ihrem Zwölf-Tore-Stürmer, der zum 1. FC Köln gewechselt ist. In Mainz hat Awoniyi angedeutet, dass er in der Bundesliga mithalten kann. Außerdem ist er gerade erst 23 geworden, hat Potenzial, einen Torriecher, und zu allem Überfluss haben die Eisernen den Start in ihre zweite Bundesligasaison mit einem 1:3 gegen Augsburg vermasselt.

„Bei Union möchte ich die nächsten Schritte gehen, mich weiterentwickeln und der Mannschaft helfen, den Klassenerhalt zu erreichen“, sagt Awoniyi bei seiner Ankunft. Für Manager Oliver Ruhnert ist der Angreifer „ein hoch veranlagter Spieler, der die Bundesliga bereits kennt und der sich auch bei uns schnell zurechtfinden wird. Mit seiner körperlichen Robustheit, seinem Teamgeist und seinem Zug zum Tor soll er unser Angriffsspiel variabler machen und das Offensivspiel weiter beleben.“

Frankfurts Taiwo Awoniyi im Zweikampf mit Christopher Trimmel. Die erste Begegnung des Nigerianers mit dem 1. FC Union.
Frankfurts Taiwo Awoniyi im Zweikampf mit Christopher Trimmel. Die erste Begegnung des Nigerianers mit dem 1. FC Union.imago/Matthias Koch

Nur ein Zuhause findet er auch hier nicht, vorerst zumindest. Nach einem Jahr, er hat in 21 Spielen fünf Tore erzielt, muss er wieder gehen. Nach Liverpool, zum dortigen Trainer Jürgen Klopp, der ihn wegen seiner eigenen Vergangenheit dort schon nach Mainz vermittelt hatte. Auf einmal hat er sogar für Großbritannien, anders als in den Jahren zuvor, eine Arbeitserlaubnis. Plötzlich aber geschieht ein Wunder, das eigentlich keines ist, weil Trainer Urs Fischer und Oliver Ruhnert schon beim Abschied zumindest ahnten, dass der nur vorläufig werden könnte: Awoniyi ist zurück und wird mit offenen Armen empfangen.

Awoniyi findet beim 1. FC Union ein Zuhause

Was aber viel wichtiger ist: Eine Erfolgsstory beginnt. Awoniyi ist nicht mehr ausgeliehen. Das erste Mal, seit er vor sechs Jahren nach Europa kam, spielt er bei dem Verein, der ihn tatsächlich unter Vertrag genommen hat. Nach langer Suche hat der Heimatlose in Köpenick ein Zuhause gefunden und – für den Umhergetriebenen und hin und her Geschubsten – mit Urs Fischer einen Trainer, der ihm vertraut und große Dinge zutraut. Der Schweizer findet den richtigen Ton und es ist für ihn, den alten Fahrensmann, ein gefühlter Ritterschlag, wenn ein Spieler wie Awoniyi ihn eine „Vaterfigur“ nennt.

Das „You’ll Never Walk Alone“, die Hymne, die an der Anfield Road mit wahrer Inbrunst geschmettert wird und Kultstatus genießt, ist für Awoniyi nie erklungen. Dafür geht der Nina-Hagen-Song, das „Eisern Union“ mit dem „Wir aus dem Osten geh’n immer nach vorn“, umso mehr zu Herzen. So flutscht es. Awoniyi ballert, was das Zeug hält, in Europa, wo sich die Rot-Weißen für die Conference League qualifiziert haben, noch mehr in der Bundesliga. Am Saisonende sind es 15 Tore, so viele hat für den 1. FC Union in dieser Liga noch niemand in einem Spieljahr erzielt.

Im Sommer vorigen Jahres ist dann aber doch Schluss in Köpenick. Einmal noch kommt Awoniyi in die Alte Försterei. Mit Nottingham Forest, seinem neuen Verein, der ihm eine Ablöse von 20,5 Millionen Euro wert ist, verliert er sein Abschiedsspiel mit 0:1. Nun hat er eine weitere Heimat gefunden, dort, wo er immer hinwollte, schon als Zehnjähriger, ins Mutterland des Fußballs, in die Premier League. Zugleich hat er sich einen Traum erfüllt, und der 1. FC Union hat ihm geholfen, endlich den Weg dorthin zu finden.

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