Philipp Hofmann im Zweikampf mit Unions Christopher Trimmel.
Philipp Hofmann im Zweikampf mit Unions Christopher Trimmel. Foto: dpa/Deck

Zwölf war ich, als Martin Luther King im August 1963 in Washington D.C. seine zu Herzen gehende Rede hielt und ihm vor dem Lincoln Memorial 250.000 Menschen andächtig lauschten und frenetisch applaudierten. „Ich habe einen Traum …“ ist seitdem mehr als ein geflügeltes Wort, es ist ein Programm, es ist ein Manifest, es ist Zukunft.

Damals habe ich das Ausmaß der Worte nicht verstehen können, wie auch. Es ist zudem, zugegeben, ein ziemlich gewagter Bogen von Kings berühmtester Rede zum Fußball. Doch auch ich hatte einen Traum, vor allem den, ein guter Fußballer zu werden. Der hat sich halbwegs passabel erfüllt. Den Traum vom sauberen, vom anständigen, vom ehrlichen Fußball habe ich noch. Der jedoch löst sich leider in mancher Beziehung arg diffus auf.

Jetzt nämlich hat es auch den 1. FC Union gestreift. Nein, die Niederlage zum Saisonauftakt gegen Augsburg ist es nicht. Die ist zwar nicht nach dem Geschmack der Rot-Weißen und so ein 1:3 ist alles andere als ein Traumstart. Aber noch einmal: Das ist es nicht.

Was war nun in Messi gefahren?

Dass es die Eisernen nun auch erwischt hat, spielt sich auf völlig anderer Ebene ab, auf der moralischen. Wahrscheinlich stehen die Köpenicker nicht einmal in vorderster Linie, ein Schatten aber fällt auch auf sie. Es geht um Philipp Hofmann aus Karlsruhe und das Hin und Her, um nicht zu sagen: Geschachere um einen Wechsel in die Alte Försterei. Mir ist das, ganz ehrlich, reichlich zuwider. Dabei habe ich immer gedacht: Ein Eiserner zu sein sollte noch immer mit dem Herzen zu tun haben und nicht mit krummen Dingen. Fragen wir am besten, schade, Michael Parensen spielt nicht mehr, also Christopher Trimmel und, nach seiner langen Verletzung, Akaki Gogia.

Diese fast schon kriminelle Art von Vereinswechsel scheint mehr und mehr in Mode zu kommen. Das finde ich erbärmlich. Was hat Ousmane Dembélé einst bei Borussia Dortmund für verbrannte Erde hinterlassen, als er sich zum FC Barcelona streikte! Wie hat sich alle Welt empört, als Neymar von Barca zu Paris St.-Germain abgehauen ist! Was nur war in Lionel Messi gefahren, als er sich aus dem Camp Nou zu stehlen versuchte! Welches Theater spielt sich in München um den sonst so lieben David Alaba ab! Auch in der Bundesliga nämlich gibt es diese Beispiele zuhauf. Ist das noch normal? Ist Vertragstreue ein Überbleibsel von gestern, ist Ehre ein Wort, das in der mehr und mehr hippen Welt seinen Glanz verloren hat?

Ach, diese verfluchten Motzkis. In einem Atemzug fordern sie Respekt, im nächsten sind sie nicht bereit, Respekt zu bezeugen. Fix wird da behauptet, man habe für die viele Kohle, die man liebend gern einstreicht, auch was geleistet. Na, so was aber auch! Diese Scheinheiligkeit ist, tut mir leid, widerwärtig. Da wird auf nichts geachtet, auf keine Regeln, auf kein Fairplay und auf eine gute Kinderstube schon gar nicht. Es zählt nur noch eines: das eigene Ego.

All dem zum Trotz und um bei Martin Luther King zu bleiben: Ich habe einen Traum! Wegen der Covid-19-Pandemie und den zahlreichen Schwüren, die von überall zu vernehmen waren. Gerade ein halbes Jahr ist das her. Nur: Was ist davon übrig? Wie hat das, um in der Alten Försterei zu bleiben, Sebastian Andersson für sich interpretiert? Oder waren den Unionern sechs Millionen Euro lieber als weitere Tore des Schweden? Hat auch hier die Moral allen ihren Stinkefinger gezeigt?

Mein Traum geht so: Es wird hoffentlich mal wieder möglich sein, dass zu den neun Spielen einer Bundesligarunde 250.000 Zuschauer kommen, so viele wie einst Zuhörer vor dem Lincoln Memorial, und dass nur Spieler dabei sind, die sich nirgendwo aus einem Vertrag gemotzt haben. Oder ist die Zeit, da ich nicht zwölf, sondern fast sechsmal zwölf Jahre alt bin, dafür nicht mehr gemacht?