KURIER-Serie: Die Väter des Erfolgs beim 1. FC Union

„Ossis“ bekommen beim 1. FC Union ein Gefühl von Heimat

Der KURIER hat die Rangliste des Erfolgs beim 1. FC Union erstellt. Platz 14: Auf die von hier bauen wir.

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Paul Seguin zeigte auch beim 1. FC Union, dass die Fußstapfen seines Papas nicht zu groß für ihn sind.
Paul Seguin zeigte auch beim 1. FC Union, dass die Fußstapfen seines Papas nicht zu groß für ihn sind.City-Press

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der letzten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den einen oder das eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 14: Auf die von hier bauen wir.

Es war einmal … So fangen üblicherweise Märchen an. Fußball-Märchen sind eher nicht darunter, trotzdem gibt es auch hier eine Zeit, die anfängt mit: Es war einmal. Damals nämlich, als die meisten Spieler eines Vereins aus der Umgebung, zumeist sogar aus der näheren Umgebung kamen. Das Beispiel noch immer vom Allerfeinsten im Osten des Landes ist der 1. FC Magdeburg, der 1974 als einziges Team der DDR einen Europapokal gewann, den der Pokalsieger. Alle damaligen Spieler stammten, das macht den 2:0-Triumph von Rotterdam gegen den AC Mailand noch spezieller, aus dem damaligen Bezirk Magdeburg. Mit dabei und neben einem Eigentor der Italiener der Torschütze: Wolfgang „Paule“ Seguin.

Wie einst der Papa, so heute der Filius. Zumindest in gehobenen Ansätzen. Zu Länderspielen hat es der mit 28 Jahren Jüngste aus der Familie Seguin, sieht man von einem Einsatz in der deutschen Nachwuchsauswahl U21 ab, im Gegensatz zu seinem mittlerweile 77-jährigen Vater (21 A-Spiele, Bronze bei Olympia 1972 in München, WM-Teilnahme 1974) noch nicht gebracht. Auch liest sich Pauls sonstige Vita (73 Bundesligaspiele, zwei Tore) längst nicht so eindrucksvoll wie die von Paule mit 380 Erstligapartien, drei Meistertiteln und sechs Pokalsiegen. Eines aber ist, wie zuvor in Wolfsburg, in Fürth und nun in Köpenick deutlich geworden: Paul passt in die riesigen Fußstapfen, die sein Vater hinterlassen hat, ganz gut hinein.

Der 1. FC Union baut auf Spieler von hier

Andererseits füllen die Eisernen in einer Zeit, in der die einheimischen Spieler hoffnungslos in der Minderheit sind – Energie Cottbus lief vor 23 Jahren unter Trainer Eduard Geyer als erstes Team in der Bundesliga mit elf Ausländern auf –, eine Lücke. Sie bauen auf Spieler von hier. Dabei handeln sie gegen den Trend. Bundesligaspieler aus dem Osten Deutschlands sind länger schon eine aussterbende Spezies, Nationalspieler erst recht. Mit Toni Kroos, der aus Greifswald stammt, ist der letzte seiner Art längst von der Auswahlbühne abgetreten. Seitdem ist Maximilian Arnold vom VfL Wolfsburg einer der bekanntesten im deutschen Fußball-Oberhaus. In der Autostadt hat neben dem aus Riesa stammenden Mittelfeldspieler auch Paul Seguin seine Erstligakarriere begonnen. Wenn man so will, sind die Spiele am Mittellandkanal für ihn halbe Heimspiele gewesen: Egal ob von Magdeburg, seiner Geburtsstadt, oder von Stendal, wohin die Familie später gezogen ist: Nach Wolfsburg ist es eine Autostunde.

In Köpenick erhalten die Spieler von hier fast noch mehr das Gefühl von Heimat. In der Alten Försterei hat schließlich schon Vater Paule etliche Schlachten geschlagen. Die Gegenspieler hießen damals Ulrich Prüfke und Wolfgang Wruck, Jimmy Hoge und Mecky Lauck, Joachim Sigusch und Wolfgang Matthies, Meinhard Uentz und Lutz Hendel. Es sind andere Generationen von rot-weißen Legenden, dafür hat Paul mit Rang vier und dem Erreichen der Champions League ein neues und ganz besonderes Kapitel Union-Geschichte mitgestaltet.

Trotz des großen Aufschwungs beim 1. FC Union könnte Robert das Schicksal von Papa Andrich ereilen

Ähnlich und doch anders ist das zweijährige Verweilen von Robert Andrich in Köpenick zu betrachten. Auch ihn, den rustikalen Kämpfer, Grätscher und knallharten Zweikämpfer, dabei auch eifrigen Sammler von Gelben Karten, verbindet eine familiäre Vergangenheit mit der Alten Försterei. Onkel Frieder, einst ein Talent im Mittelfeld von Stahl Riesa, später über viele Jahre beim FC Vorwärts ein mit 84 Treffern in 231 Oberligaspielen brandgefährlicher Ankurbler, kennt die Spielstätte in Köpenick aus vergangenen Zeiten und sogar aus Derbys.

Robert Andrich, in Potsdam geboren, allerdings bei den Blau-Weißen in Charlottenburg ausgebildet, fand wie Seguin erst über Umwege in die Alte Försterei. Über Dynamo Dresden, Wehen Wiesbaden und Heidenheim landete er unmittelbar nach dem Aufstieg der Eisernen in die Bundesliga bei ihnen. Hier bekam Andrichs Karriere neuen Schwung und er auf der gefühlt letzten Rille die Kurve zum gefragten Mann. Nachdem der Mittelfeld-Kämpfer für eine Ablöse von 6,5 Millionen Euro nach Leverkusen gewechselt war und mit Bayer erstmals nach Köpenick zurückkehrte, bekam er von Urs Fischer so etwas wie den Ritterschlag.

„Einen Weggang wie seinen sieht man mit einem weinenden und einem lachenden Auge“, sagte der Union-Trainer, „einerseits habe ich mich für ihn gefreut, andererseits aber haben wir einen guten Spieler verloren. Er hat eine tolle Entwicklung gemacht, bei der wir ihm geholfen haben, den nächsten Schritt zu machen.“ Fischer traute seinem ehemaligen Schützling sogar den Sprung ins Nationalteam zu und sagte damals: „Wenn er weiter an sich arbeitet, dann hat er auch die Qualität, um Nationalspieler zu werden.“ Pech nur, dass Andrich sich gegen Ende der Saison den Mittelfuß brach. Womöglich ist es sein sportliches Schicksal, dass er einen Einsatz im A-Team wie schon sein Onkel Frieder um Haaresbreite verpasst.

FC Unions Abwehrspieler Paul Jaeckel schwankt noch ein wenig zwischen Himmel und Hölle

Den Traum vom Nationalteam träumt, wer es bis in die Bundesliga geschafft hat, wohl immer. Vielleicht nicht mehr Kevin Möhwald, über Rot-Weiß Erfurt, den 1. FC Nürnberg und Werder Bremen 2021 in der Alten Försterei gelandet, in dieser Saison aber ohne Einsatz geblieben. Dafür aber Paul Jaeckel, zumal auch er seine Visitenkarte in den Nachwuchsvertretungen des DFB von der U18 bis zur U21 abgegeben hat. Der Abwehrspieler, ganz tief im Osten beim Eisenhüttenstädter FC Stahl groß geworden und mit 24 Jahren weiterhin mit Potenzial nach oben, schwankt noch ein wenig zwischen Himmel und Hölle.

24 Einsätzen in seinem ersten Spieljahr in Köpenick folgten allerdings im zweiten nur 16. Dafür erzielte er beim Sieg in Stuttgart sein erstes Tor überhaupt in der Bundesliga, es war beim 1:0 per Kopf zudem das goldene. Danach aber ließ er ein wenig abreißen, kam, auch wegen einer Ampelkarte, nur noch sporadisch zum Einsatz. Vielleicht aber platzt, wie schon bei Andrich, auch bei ihm der Knoten. Dann träfe auf ihn wie schon auf Seguin zu: Wie gestern Paule, so heute Paul.

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