Der 1. FC Union möchte wieder Feste in Europa feiern in der kommenden Saison.
Der 1. FC Union möchte wieder Feste in Europa feiern in der kommenden Saison. Imago/MIS

Wer – zumindest im fortgeschrittenen Alter – kokettiert nicht gern mit dem einen oder anderen Spruch. Ziemlich gängig und ausgesprochen locker erscheint immer dieser: Ich bereue nicht, was ich getan habe, ich bereue nur, was ich nicht getan habe. Das mag altersweise klingen, hat aber meistens was von Luxusproblemen.

Probleme dieser Art, der 1. FC Union bekommt es gerade aus erster Hand geliefert, können ganz schön nerven. Im Herbst winkte der ganz und gar unglaubliche Coup vom Titelgewinn. Nicht wenige, die ganz genau zu wissen glauben, warum der Ball wie springt und warum er hin und wieder flattert, trauten den Eisernen den Meistertitel zu. In Köpenick winkte man lächelnd ab nach dem Motto: Zu viel der Ehre, Euer Ehren.

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Im Frühjahr und lediglich drei Spieltage vor Saisonende sind die Männer aus der Wuhlheide raus aus dem Kampf um die Schale. Trotzdem ist ihr Problem geblieben und kaum weniger luxuriös. Es geht um die Champions League, um die erstmalige Teilnahme an Europas Königsklasse, böse auch Zasterliga genannt, weil dort die Millionen fließen wie nirgendwo sonst. Spiele auf Augenhöhe mit Real Madrid und Manchester City, SSC Neapel und Paris St. Germain, FC Barcelona und dem FC Arsenal sind ganz nah. Das ist und bleibt der pure Wahnsinn und noch immer eine ganz große Portion Ehre.

Erreicht der 1. FC Union ein Europa der Luxusklasse?

Zugleich droht unmenschliche Spannung, denn es bleibt kitzlig und es bleibt zum Nägel abknabbern. Jeder rund um die Alte Försterei weiß, dass all das, was sich die Mannschaft in 31 Spielen erkämpft und größtenteils erarbeitet hat, bis zuletzt fragil bleibt. Dabei ist nicht die Frage, ob Europa oder nicht Europa. Die ist seit dem zurückliegenden Wochenende beantwortet. Seitdem heißt die Frage: Welches Europa? Könnte es, wenn auch vielleicht auf der allerletzten Rille, doch für die Luxusklasse reichen?

Das Gute ist: Der 1. FC Union hat zumindest Platz vier in eigener Hand. Das weniger Gute ist: Der SC Freiburg, am Sonnabend zum So-gut-wie-Endspiel um die größten Fleischtöpfe, die der europäische Fußballverband seinen Vereinen zu bieten hat, zu Gast in Köpenick, auch. Mehr Volt kann es im direkten Duell zweier Teams, die in diesem Wettbewerb noch nie gespielt haben, kaum geben.

Jedem zwischen Wald- und Wuhleseite sollte klar sein: Die Gelegenheit ist nahezu einmalig, sie schreit geradezu danach, gepackt zu werden. Womöglich kommt sie nie wieder mit derart offenen Armen in den Südosten der Stadt. Leverkusen und Wolfsburg, Frankfurt und Mönchengladbach, in den Jahren zuvor weit größere Aspiranten auf den Wettbewerb der Champions als Freiburg und vor allem Union, werden kaum noch einmal in trauter Einheit so schwächeln wie diesmal. In diese unverhoffte Lücke gilt es zu springen – und zwar jetzt!

Beim 1. FC Union will keiner wie Ballack als Unvollendeter enden

Was gibt es nicht für traurige Helden, die einen Augenblick zu lange gezögert haben, einen Moment nicht entschlossen genug waren, einen Wimpernschlag zu spät gekommen sind, sich einfach nicht getraut oder es sich nicht zugetraut haben. Michael Ballack kann davon gleich mehrere Lieder singen.

Mit dem FC Bayern hat er in Deutschland und mit dem FC Chelsea in England alles abgeräumt, was es hier und dort abzuräumen gibt. Ging es für ihn aber darum, den Punkt aufs i zu setzen und das zu gewinnen, an dem ein Spieler seiner Kategorie tatsächlich gemessen wird, steht da eine Null: kein Weltmeister, sondern Zweiter; kein Europameister, sondern Vize; kein Champions-League-Sieger, sondern Finalist.

So bleibt Ballack, wenn auch auf höchstem Niveau, ein Unvollendeter. Vom legendären Scheitern mit Leverkusen, als Bayer der erstmalige Meistertitel kaum noch zu nehmen war, die Werkself nach der Niederlage im letzten Spiel in Unterhaching dann aber doch zu Vizekusen wurde, ganz zu schweigen.

Michael Ballack sinkt zu Boden, nachdem sein Chelsea-Kollege John Terry einen Elfmeter an den Pfosten gesetzt hatte im Finale der Champions League 2008.
Michael Ballack sinkt zu Boden, nachdem sein Chelsea-Kollege John Terry einen Elfmeter an den Pfosten gesetzt hatte im Finale der Champions League 2008. Ulmer/Imago

Wie es anders gehen kann, wie ein Team seine einmalige historische Chance nutzt, auch dafür ist der ehemalige DFB-Capitano ein Beispiel. Kaiserslautern, Spieljahr 1997/98, die Roten Teufel sind gerade wieder in die Bundesliga aufgestiegen – und werden Meister! Nie zuvor und nie danach hat es das gegeben. Passender als für Ballack kann damit der Spruch mit bereuen oder nicht bereuen nicht sein.

Vor genau dieser Krux stehen derzeit sinnbildlich die Eisernen. Sie haben, ähnlich den Erfolgen Ballacks, ziemlich viel abgeräumt. Zumindest für ihre Verhältnisse: Bundesliga-Aufstieg, dort Platz 11, Platz 7, Platz 5, Platz ???; erneute Qualifikation für Europa. Der nächste Schritt, greifbar zumal, wäre die neuerliche Krönung einer rasanten Entwicklung, die manchem den Atem raubt, trotzdem stabil unterfüttert scheint. Vielleicht, das weiß man manchmal erst Generationen später, ist es auch eine einmalige Chance, eine Jahrhundertgelegenheit. Eine, die zu verpassen jammerschade wäre.

Deshalb, Leute, packt es! Es nicht getan zu haben, könntet ihr im Alter bereuen.       

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