Wenn sich der Union-Jahrgang 2022/23 auch am Sonnabend nach dem Spiel gegen Bremen so freut, dann ist alles in bester eiserner Ordnung.
Wenn sich der Union-Jahrgang 2022/23 auch am Sonnabend nach dem Spiel gegen Bremen so freut, dann ist alles in bester eiserner Ordnung. Beautiful Sports/Imago

Es gibt Tage, die vergisst ein Union-Fan nie. Wie einst Märchen und Sagen werden die Ereignisse an Stammtischen weitererzählt, wandern in den Stadien von Mund zu Mund und werden zu wahren Heldengeschichten. Jahre, Jahrzehnte und Spielergenerationen später ist das alles wie in Stein gemeißelt und bildet die goldenen Eckpfeiler der Vereinsgeschichte. Noch schöner ist es, wenn sich die Damals-Jungen mit den Jetzt-Machern zusammentun und den einen oder anderen Höhepunkt gemeinsam ins Heute holen. So wie den 28. Mai 1988.

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Jeder, in dessen Adern rot-weißes Union-Blut fließt, weiß aus dem Effeff: Karl-Marx-Stadt; letzter Spieltag der DDR-Oberliga; allerhöchste Abstiegsgefahr; zweimaliger Rückstand gegen einen Rivalen, der mit den Nationalspielern Rico Steinmann, Hans Richter und Michael Glowatzky, dazu mit Libero-Haudegen Jürgen Bähringer erstklassig besetzt war; 3:2-Siegtor durch Verteidiger Mario Maek mit der letzten Aktion im Spiel; Klassenerhalt für das Team um die Trainer Karsten Heine und Gerd Struppert; friedlicher Platzsturm und pure Glückseligkeit unter den Fans; Rückfahrt im Bus der guten Laune mit unzähligen Pinkelstopps; zwei Tage danach im Deutschen Sportecho, der Sporttageszeitung in der DDR, der mittlerweile legendäre Satz: „Und in der letzten Minute sagte der liebe Gott: ‚Ich bin ein Unioner!‘“

Gott ist ein Unioner hat eine lange Geschichte

Keiner kennt den damals 37-jährigen Berichterstatter besser als ich. Länger als sonst habe ich damals überlegt, welche besonderen Sätze diesem besonderen, nahezu außerordentlichen Spiel am besten gerecht werden könnten. Bis mir sozusagen Gottes Wort einfiel. Vielleicht, bestätigt hat es mir noch niemand, ist das die Geburtsstunde des Begriffs „Fußball-Gott!“, der beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung nach jedem Namen eines Union-Spielers von den Rängen hallt. Manchmal jedenfalls bilde ich mir ein, dass es so gewesen sein könnte und ich ein klein wenig zur Union-Historie beigetragen habe.

Nach der Rettung 1988 in letzter Sekunde ist Union um Kapitän Olaf „Leo“ Seier (l.) im Freudenrausch.
Nach der Rettung 1988 in letzter Sekunde ist Union um Kapitän Olaf „Leo“ Seier (l.) im Freudenrausch. Contrast/Imago

Damals jedoch, die Montagszeitungen waren noch druckfrisch, war mir nicht zum Lachen. Kaum war ich in der Redaktion in der Neustädtischen Kirchstraße, wurde ich mit den Worten begrüßt: „Da kommt ja der liebe Gott.“ Bis zum Pförtner hatte sich herumgesprochen, dass es einen Anruf aus dem hohen DTSB-Haus gegeben hatte. Manfred Ewald, unumschränkter Herrscher im Leistungssport der Republik, hatte persönlich zum Hörer gegriffen, Chefredakteur Dieter Wales angerufen und ihn gefragt, „ob der junge Mann denn nicht wisse, dass wir alle Atheisten sind“. Wales nahm es mit einem Augenzwinkern, und Ewalds Ärger war unbegründet: Der liebe Gott war nur so eine Idee.

Die Helden des 1. FC Union von 1988 sind am Sonnabend im Stadion

An diesen historischen Tag vor 35 Jahren erinnert nun der Ehrenrat und lädt für Sonnabend, zum Ausklang der Bundesligasaison, alle ein, die damals den Triumph erlebt und gnadenlos gefeiert haben, Besuch im Stadion gegen Werder Bremen mit den letzten 90 Saisonminuten inklusive. In der Einladung, welche Ehre, taucht mein Satz vom lieben Gott auf.

Die Idee hinter allem ist klar: Die Stimmung vom damaligen 28. Mai, die Hoffnung, an die sich damals alle klammerten und die punktgenau erfüllt wurde, der Glaube an das Team und an jeden einzelnen Spieler sollen auf den heutigen 27. Mai transportiert werden und mithelfen, eine ähnliche Gemeinsamkeit zu finden. Denn nur die Wagemutigsten hatten auf das Team um Kapitän Olaf Seier und Torhüter Steffen Schlegel, Ralph Probst und Olaf Hirsch, Matthias Morack und Steffen Enge, René Adamczewski und René Unglaube gesetzt.

Platz vier ist für viele Sportler nur Blech, für den 1. FC Union wäre es der Himmel

Allein die Vorzeichen sind gänzlich anders. Nun gibt es Tuchfühlung zu den Branchengrößen. Rang vier, der in anderen Sportarten, insbesondere den olympischen, als der angesehen wird, für den es lediglich Blech gibt, würde die Rot-Weißen in nie dagewesene Dimensionen katapultieren. Nie wäre Blech für die einstigen Schlosserjungs so wertvoll wie heute.

Muss nur noch einer mitspielen, er muss diesmal keinen Blockbuster daraus machen und auch nicht bis zur allerletzten Aktion warten: Lieber Gott, vergib Sheraldo Becker und Co die Torchancen-Sünden der vergangenen Spiele; sei gnädig mit Diogo Leite wegen seiner Patzer zuletzt in Sinsheim; lass Robin Knoche wieder die Abwehr schmieden und jeden zur Beichte drei Vaterunser beten; segne alle verfügbaren Spielbälle und sei noch einmal mit Haut, Haar und vor allem deinem Herzen Unioner. Amen!

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