Karriere à la 1. FC Union: Erst Lieblingsfeind, dann Fußball-Gott
Obwohl Rani Khedira einst ein Rasenballer war, ist er in Köpenick gut gelitten. So etwas hat es schon öfter gegeben.

Es bleibt schwierig zwischen dem 1. FC Union und RB Leipzig, dem kommenden Gegner der Eisernen. Allein der Blick auf die beiden Vereinsphilosophien – hier das Familiäre, der Zusammenhalt, da der Kommerz, das Koste-es-was-es-wolle-an-die-Spitze-zu-kommen – verrät, dass die Widersprüche zwischen Alter Försterei und Zentralstadion antagonistisch sind, nicht lösbar also.
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Die verrücktesten Dinge schon hat es gegeben, wenn es zum Kampf der Fußball-Kulturen zwischen denen aus Köpenick und denen aus der Messestadt kam. Einst, als beide in unterschiedlichen Ligen zu Hause waren und jemand ziemlich unbedarft ein Testspiel vereinbarte, wurde dieses nach Protesten aus dem Fanlager abgesagt. Auch gab es mehrmals eine von den Ultras der Eisernen ausgerufene „Schweigeviertelstunde“, in der es keinerlei Support selbst für die eigenen Fußball-Götter gab.
Einmal, ganz zu Beginn der Eisern-Zeit in der Bundesliga, hat sogar Stadionsprecher Christian Arbeit es vermieden, den Namen des „Konstruktes“ zu nennen. Im Rückspiel dann marschierten rund 1000 Union-Fans durch Leipzigs Innenstadt zum Stadion. Schwarz gekleidet waren sie, passend zum Trauerzug, bei dem sie einen selbst gezimmerten Sarg und gebastelte Kreuze aus Pappe trugen. Auf ein Banner hatten sie geschrieben: „In Leipzig stirbt der Fußball.“
Fans des 1. FC Union schrieben auf ein Banner: „In Leipzig stirbt der Fußball“
Nun ja, er stirbt nicht. Etliche Leipziger sind froh, Erstligafußball in ihrer Stadt zu haben. Beim 2:2 jüngst gegen Köln waren 43.579 Zuschauer da. Die Arena war fast ausverkauft. Erfolg haben die Leipziger immerhin auch, ob er nun zum Großteil gekauft ist oder nicht. Zum wiederholten Mal spielen sie in der Champions League und Pokalsieger sind sie außerdem. Nur: Die Bundesliga spielt in einer Welt, in der Geld regiert. Davon haben sie anscheinend genug, selbst wenn es aus einem Getränk erwirtschaftet wird, das angeblich Flügel verleiht.
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Trotzdem darf man seine Prinzipien haben, in der eisernen Fankurve wie in der Führungsetage. Manchmal aber sollte man über seinen Schatten springen können. Das zeugt einerseits von Größe, und Toleranz ist ein hohes Gut. Wenn jemand ein Auge zudrückt (es muss nicht gleich ein Zwinkern sein), sollte er nicht gleich die Faust aufs andere bekommen.
Neue mit Vorgeschichte werden beim 1. FC Union genau gewogen
Würde es nämlich nach den ganz Harten gehen, von denen es in der Union-Historie an anderer Stelle und zu anderer Zeit genug gegeben hat, wäre zumindest eines klar: Rani Khedira wäre kein Eiserner. Der Mann in Unions Schaltzentrale hat nämlich eine RB-Vergangenheit – und ist dennoch ausgesprochen gut gelitten. Im Team sowieso, was in derartigen Fällen aber fast noch mehr zählt, ist die Kurve. Drei Jahre hat Khedira im Sächsischen verbracht, er hat mit Peter Gulacsi und Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann und Willi Orban, Emil Forsberg und Yussuf Poulsen den Aufstieg in die Bundesliga geschafft und hat mit ihnen allen und mit dem dazugekommenen Timo Werner dort ein Jahr gespielt. Danach, damit verwischt sich die Spur ein wenig, hat er vier Jahre für den FC Augsburg Bälle erobert.
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Ein RB-Punkt im Karriereverlauf ist für manchen Eisern-Anhänger ein Makel. Andererseits fällt unter den Fans auch schnell mal das Wort von der zweiten Chance oder der Möglichkeit der Rehabilitierung. Das war übrigens schon bei Henrik Pedersen so, einst bei Union Co-Trainer. Dabei sollten sie mit derlei Dingen gerade in der Alten Försterei gut umgehen können. In alter Vergangenheit, zu Zeiten der DDR-Oberliga, gab es einen ganz anderen Lieblingsfeind. Mit dem BFC Dynamo war das damals nicht so sehr ein wirtschaftlicher, vielmehr ein politischer.
Wechsel vom BFC Dynamo zum 1. FC Union gab es auch
Trotzdem hat es Wechsel gegeben, die sich als legendär erwiesen haben. Mecky Lauck ist von hier nach dort gegangen, ist hier Pokalsieger, dort dann WM-Teilnehmer, Olympiasieger und Meister geworden. Ralf Sträßer ist von dort nach hier gekommen und hat es im Spieljahr 1985/86 in Köpenick zum Torschützenkönig gebracht. Mario Maek hat als Schütze des 3:2-Last-minute-Tores 1988 in Karl-Marx-Stadt in letzter Sekunde für den Klassenerhalt gesorgt und war, wenn auch nur für den Moment, ein Fußball-Gott. Olaf Seier wiederum wurde nach drei Titelgewinnen mit denen aus Hohenschönhausen in Köpenick Kapitän und zweimal Unioner des Jahres.
Kapitän war Khedira nun auch, jüngst beim 0:0 in Mainz hat er als Stellvertreter von Christopher Trimmel sein Team angeführt. Erst war Khedira Lieblingsfeind, jetzt ist er ein Fußball-Gott, vielleicht auch mal eine Legende. Genau das wäre eine Bilderbuchkarriere à la Union.