So schön feierte  Union im Herbst nach dem Sieg im Hinspiel vor seinen Fans. Drei Punkte sind auch am Freitag drin, solche tollen Jubel-Bilder  nicht.
So schön feierte Union im Herbst nach dem Sieg im Hinspiel vor seinen Fans. Drei Punkte sind auch am Freitag drin, solche tollen Jubel-Bilder nicht. Foto: Imago Imgages/ Winfried Mausolf

Das ist vielleicht noch einmal eine etwas andere Hausnummer als das Match am Sonntag gegen die Bayern. Das ist eine Partie, zu der selbst die gegnerischen Anhänger mit der S-Bahn anreisen können. Das ist ein Spiel, in dem die Emotionen kochen. Auf den Rängen meist mehr als auf dem Rasen. Das ist ein Ereignis, bei dem Helden geboren und später, an den Stammtischen, zu Legenden gemacht werden. Normalerweise.

Was aber ist schon normal in diesen Zeiten? Was, wenn die Eisernen die Ost-Kurve der Herthaner nicht fürchten müssen? Wobei: Nicht einmal das hat sie bei beiden Spielen einst in der Zweiten Bundesliga, bei einem 2:1 mit Toren von John Jairo Mosquera und Torsten Mattuschka und bei einem 2:2 mit Treffern von Simon Terodde und Adam Nemec, gestört. Mit anderen Worten: In Pflichtspielen sind die Rot-Weißen im Olympiastadion unbesiegt. Das ist, ich weiß, Schnee von gestern und teils von vorgestern. Niemand ist mehr dabei von damals bis auf Michael Parensen. Deshalb werden die Karten neu gemischt, ganz neu, zumal die Männer aus der Wuhlheide zuvor zu Hause gegen den Stadtrivalen auch nicht gewonnen hatten und im Hinspiel mit dem Hammer-Elfmeter von Sebastian Polter zum späten 1:0 doch den Dreier holten.

Nur: Was wird das für ein Derby ohne Zuschauer, ohne Atmosphäre, ohne Pfiffe, Beifall, frenetischer Anfeuerung da und sichtbarer Enttäuschung dort? Sollte man dazu überhaupt Derby sagen? Entwickelt sich vielleicht eine Partie, die, bei allem Eifer, nicht das Zeug dafür hat, in die Annalen einzugehen als Hingucker, sondern allein als Geisterspiel?

Starke Laufleistung gegen Bayern

Es hat einen schönen Spruch gegeben nach dem Wiederbeginn des Titelkampfes und nachdem die Fußball-Nationen Europas nach Deutschland geschaut haben, wie wir Organisations-Fetischisten selbst das hinkriegen, wovor sie alle Bammel haben und selbst wir ein wenig hatten: Wenn der Schiedsrichter anpfeift, ist Bundesliga. Richtig! Wenn der Ball rollt, dann ist nicht nur das Spiel eröffnet, dann sind die Spieler auch im Zweikampf- und im Laufmodus. Nichts sollte sie davon abhalten, sich die Lunge aus dem Leib zu rennen.

Genau das haben die Rot-Weißen gegen die Bayern getan. Und zwar mehr als die Münchner, auch mehr als die Dortmunder bei ihrem Sieg gegen Schalke (na gut, im Revier nennen sie es sogar Derby, wenn es in eine andere Stadt geht), ach, mehr als alle anderen bei ihrer Rückkehr auf die große Bühne. 123,52 Kilometer haben sie als Mannschaft abgespult, zusammen ergibt das einen dreifachen Marathon.

Auch wenn es nicht geholfen hat gegen den deutschen Rekordmeister, so ist genau das das Spiel, das die Männer aus der Wuhlheide beherrschen. Es ist das, was sie am besten können, womit sie noch jeden Gegner beeindrucken und das sich als so etwas entwickelt hat wie „Made in Alte Försterei“. Es ist diese Art und Weise des Fußballs, die ihnen auf den Leib geschneidert ist. Geradlinig, schnörkellos, für manchen Schöngeist der Balltreterei etwas einfach in der Struktur, aber liegt im Purismus nicht auch ein wenig der Glanz von Reinheit, von Schönheit, von, ja, auch Klassik?

Auf Tradition geboren 

Das ist es, was die Fans begeistert. Ganz hohe Kunst ist es, wenn sie wie das österreichische Wunderteam um den grazilen Matthias Sindelar, diese „goldene Elf“ der Ungarn um Ferenc Puskas, die größte Selecao aller Zeiten um den göttlichen Pelé, auch die einmalige deutsche Mannschaft um den „Kaiser“, um Franz Beckenbauer, und auch die Holländer um den großen Johan Cruyff und die Spanier um ihren Tiki-taka-Xavi nahezu alles in Grund und Boden spielen. Da vereinen sich Klasse und Kunst, da schnalzen die Fans mit der Zunge und können sich nicht sattsehen an der Einmaligkeit des Spiels.

Das aber ist nicht der 1.FC Union. Das, ehrlich, war er noch nie. Die Seele dieses Teams ist eine andere, eine aus der Tradition geborene. Um es ganz schmalzig zu sagen: Es sind und bleiben die Schlosserjungs. Das wiederum ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Der Glanz dieser Mannschaft ist ein völlig verschiedener von dem, der so gern um das Premiumprodukt der Deutschen Fußball-Liga gemacht wird.

Das, was die Rot-Weißen können, können sie (selbst wenn sie von allen am meisten auf ihren 12. Mann angewiesen sind und deshalb nur höchst widerwillig auf ihn verzichten) auch ohne Zuschauer. Vielleicht besser als manch anderer. Und vielleicht sogar im Derby, dieser noch etwas anderen Hausnummer. Denn Helden und Legenden lassen sich nicht einmal von Geisterspielen stoppen.