Fehlenden Einsatz kann man Joel Pohjanpalo bei der Jagd nach Toren nicht vorwerfen.
Fehlenden Einsatz kann man Joel Pohjanpalo bei der Jagd nach Toren nicht vorwerfen. Foto: Imago Images/Contrast

Geht es darum, die Faszination des Fußballs zu erklären, sind die glühenden Anhänger mit Argumenten schnell bei der Hand: einfache Struktur; übersichtliches und gut aufgeteiltes Spielfeld; enormer Spannungsgehalt, weil selbst der größte Favorit von einem krassen Außenseiter besiegt werden kann; leicht verständliche (bis auf das Abseits und neuerdings das mit dem Handspiel vielleicht) Regeln. Vor allem aber auch: Wer mindestens ein Tor mehr erzielt als der Gegner, hat gewonnen. Egal ob dieser Treffer einer aus dem Bilderbuch ist oder ein – zumeist vom Unterlegenen so genanntes – Dreckstor.

Das alles hat sich, so zumindest mein Gefühl, stark verändert. Immer öfter kommen vor allem in der Bundesliga die Trainer zu der Feststellung, dass über Sieg oder Niederlage häufig Einzelheiten entschieden, es an Details liege und manche Stellschraube nur ein klein wenig gedreht werden müsse, um (noch) erfolgreicher zu werden oder das Tal zu verlassen.

Manchmal denke ich: Ach, ist das langweilig. Bei längerem Nachdenken aber stelle ich fest: Fußball spielen können sie alle in dieser Eliteliga, also muss es tatsächlich die eine oder andere Nuance geben, die über Wohl und Wehe entscheidet. Dabei meine ich nicht einmal, ob ein Ball ins Tor geht, weil er, wie der Treffer von Robert Andrich beim 1:1 des 1. FC Union gegen den SC Freiburg, abgefälscht wird.

WM-Finale 2014 war das Joker-Märchen

Vielleicht ist es ja das Detail, das über den Kopf geht und sich – ohne esoterisch oder mystisch zu werden – auf einer wie auch immer gearteten „zweiten Ebene“ abspielt. So wie vielleicht bei Joel Pohjanpalo und seinen acht Bundesligatoren, die er, ob die sieben für Bayer Leverkusen oder sein erstes für die Eisernen beim 4:0 gegen Mainz, ausnahmslos als Joker erzielt hat.

Auch das hat Qualität, keine Frage, und jeder Trainer ist heilfroh, einen Burschen auf der Bank sitzen zu wissen, mit dem sich leicht die Geschichte vom goldenen Händchen erzählen lässt. Das berühmteste Kapitel davon ist am 13. Juli 2014 in Rio geschrieben worden, als mit André Schürrle (Zuspiel) und Mario Götze (Tor) gleich zwei Spieler für ein regelrechtes Joker-Märchen gesorgt haben. An dieses Wunder von Maracana kommt wahrscheinlich nichts heran, auch nicht, ohne jemanden zu unterschätzen, Joel Pohjanpalo.

Allerdings zeichnet gerade den Finnen etwas aus, das man sich erst hart erarbeiten muss oder das man auch dickes Fell nennen kann. Meist ist es doch so, dass ein Spieler nicht gerade vor Freude strahlt, wenn er nur für die Bank vorgesehen ist. Spielen will jeder, so viel Ehrgeiz steckt in jedem, außerdem stärkt jeder Einsatz in der Startelf die Position in der Hierarchie. Da mögen Trainer und Manager noch so viel vom Kollektiv sprechen und davon, dass man nicht nur elf Spieler brauche, um seine Ziele zu erreichen, sondern 20 oder gar 25 und im Zweifelsfall sogar die gute Seele – im Fall der Eisernen wäre stellvertretend für alle Mannschaftsleiterin Susanne Kopplin weit vorn –, um am Ende dort zu stehen, wo man sich selbst gern sieht.

Was soll Urs Fischer, der Union-Trainer, am besten mit Joel Pohjanpalo machen? Ihn wieder als Joker bringen wie gegen Mainz? Ihn weiterhin das Vertrauen spüren lassen, das er ihm sowohl auf Schalke als auch gegen Freiburg entgegenbrachte, auch wenn dem Angreifer weder beim einen noch beim anderen 1:1 ein Tor gelang? Es ist wieder so eine Geschichte, bei der ein wenig Intuition, viel Fingerspitzengefühl und noch mehr Bauchgefühl erforderlich sind. Es sind diese langsam sprichwörtlichen Details, die immer öfter den Ausschlag geben.

Mag sich Joel Pohjanpalo mächtig ärgern, dass er gegen Freiburg nicht getroffen hat, weil ihn bei einer eigentlich glasklaren Kopfballchance die Sonne zu sehr blendete, das beste Beispiel, wie ein Super-Einwechsler sich zu einem noch besseren Vom-Start-weg-Mitspieler entwickelt hat, sah er in den Reihen der Breisgauer. Nils Petersen ist mit 22 Toren bei 74 Einwechslungen der Superjoker der Bundesliga vor Claudio Pizarro (21), Alexander Zickler (18) und Robert Lewandowski (16). Allerdings stand Petersen in der Alten Försterei auch in der Startelf – und ging wie Unions Finne leer aus. Nur hat Petersen bereits 55 Tore in jenen Spielen erzielt, in denen er schon beim Anpfiff auf dem Rasen stand.

Das soll keine Zahl sein, an der sich Joel Pohjanpalo messen sollte. Zu Ende ist das Dilemma (naja, es ist eher ein Luxusproblem) trotzdem erst, wenn er auch dann trifft, wenn er in der Startelf aufläuft. Vielleicht am Montag im Spiel bei der TSG Hoffenheim, eventuell danach im Heimspiel gegen Arminia Bielefeld. Die beste Gelegenheit, diesen komischen Tor-Fluch zu beenden, wäre womöglich nach der Länderspielpause in Köln, um es, das könnte tatsächlich am besten passen, seinem Vorgänger Sebastian Andersson zu zeigen …