Neue KURIER-Serie: Die Väter des Erfolges beim 1. FC Union

Fischers goldenes Händchen: Beim 1. FC Union wurden Joker zu Juwelen

Der KURIER hat die Rangliste des rot-weißen Erfolgs beim 1. FC Union erstellt. Auf Platz 6: Die eisernen Einwechselspieler.

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Sebastian Andersson eilt zu Vorlagengeber Sebastian Polter: Der erste Bundesligatreffer des 1. FC Union und das erste Jokertor der Eisernen im Fußball-Oberhaus.
Sebastian Andersson eilt zu Vorlagengeber Sebastian Polter: Der erste Bundesligatreffer des 1. FC Union und das erste Jokertor der Eisernen im Fußball-Oberhaus.imago/osnapix

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den Einen oder das Eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 6: Fischers goldenes Händchen.

Mario Götze ist nicht zu toppen. Was dem damaligen Spieler von Bayern München 2014 gelungen ist, ist das Höchste der Gefühle: Goldenes Tor in einem WM-Finale; ein Schuss ins Tor und zugleich ein Pfeil ins Herz der Argentinier; die Eintrittskarte in die Ruhmeshalle des deutschen Fußballs. Eine Stufe mit Helmut Rahn, Gerd Müller und Andreas Brehme hat Götze damit erreicht, denn auch diese Legenden haben mit ihren Toren, der eine 1954, der andere 1974 und der Dritte 1990, Deutschland auf den WM-Thron geschossen. Trotzdem besitzt Götze als solcher ein Alleinstellungsmerkmal: Er hat sein Tor als Joker erzielt.

Spätestens der 13. Juli 2014 im Maracana von Rio hat gezeigt, wie Joker zu Juwelen werden.

Auch der 1. FC Union profitiert von der neuen Einwechselregelung

Jokertore haben noch immer etwas Besonderes. Dabei werden es immer mehr. Natürlich auch, weil immer mehr Joker im Spiel sind. Waren beim Spiel, in dem das DFB-Team seinen vierten Stern gewann, drei Auswechslungen – vor Götze, der für Miroslav Klose kam, war schon André Schürrle eingewechselt worden, nach Götze kam noch Per Mertesacker für Mesut Özil – möglich, sind es seit Zeiten von Covid-19 fünf. In einer Partie, die in die Verlängerung geht, sogar sechs. Immer häufiger machen die Trainer davon Gebrauch, immer öfter, das ist alles andere als Zauberei oder Hexenwerk, sondern allein eine Sache der Wahrscheinlichkeit, fallen deshalb auch Treffer durch Joker.

Dennoch muss diese Tugend ein wenig auch erlernt werden. Genau dieses taktische Mittel, durch einen frischen Spieler für noch mehr und sogar entscheidende Torgefahr zu sorgen, beherrscht der 1. FC Union ziemlich gut. Zumindest belegt das die Vergangenheit. Durch manche Phasen zieht es sich sogar wie ein roter Faden, dass Urs Fischer, der Trainer, ein überaus glückliches Händchen besitzt.

Für manche Anhänger der Eisernen beginnt sowieso erst mit dem Erlebnis eines Jokertores die Bundesliga-Historie ihrer Fußballgötter. Augsburg ist es, erstes Auswärtsspiel – das null zu wissen wie nicht zuvor gegen Leipzig, ist bei manchen aus der Wahrnehmung getilgt oder gilt bestenfalls als Warmlaufen – und da die 80. Minute. Fischer geht, da die Rot-Weißen 0:1 zurückliegen, aufs Ganze. Drei frische Stürmer bringt er und sieht sich in seinem Risiko alsbald bestätigt. Nach einem Ballgewinn von Robert Andrich (Startelf) kommt der Pass auf Sebastian Polter (Joker) und von ihm auf Sebastian Andersson (auch Joker) – drin! Mit diesem 1:1, womit das erste Tor erzielt und der erste Punkt eingesackt sind, geht es nach Hause. Zugleich heißt es: Willkommen in der Bundesliga!

Polter schrieb als Joker Derby-Geschichte beim 1. FC Union

Was auswärts so gut geklappt hat, geht auch zu Hause gut. Nicht gleich, aber bald. Derby, die Blau-Weißen gastieren in der Alten Försterei. Alle wissen, was nun kommt: Elfmeter, Schiri Deniz Aytekin hin zum Videobeweis, Sebastian Polter steht mit dem Ball ewig lange am Punkt und haut die Pille schließlich rein. Es ist das zweite Jokertor der Eisernen, das zudem Geschichte schreibt, denn es ist Derby-Geschichte und macht den Anhängern Appetit auf mehr. Dieses Mehr heißt in dem Fall Stadtmeister. Polter, auch wenn er längst nicht mehr in Köpenick zu Hause ist, wird, obwohl er für die Eisernen andere schöne und wichtige Tore erzielt hat, wegen dieses Treffers als Derby-Held verehrt. Torsten Mattuschka lässt grüßen.

Inzwischen perfektionieren die Eisernen ihre spezielle sportliche Waffe immer mehr, sie verteilen sie auf immer mehr Schultern. So erzielt Cedric Teuchert alle seine drei Tore für die Männer aus Köpenick als Joker – bei einem 3:1 in Hoffenheim, bei einem 5:0 gegen Bielefeld und vor allem bei einem 1:0 gegen Leverkusen. Dabei kommt Teuchert beim ersten Sieg überhaupt über die Bayer-Elf wegen einer Verletzung von Sheraldo Becker ziemlich früh in die Partie. Für seinen Treffer, den goldenen zumal, lässt er sich ganz viel Zeit. In Minute 88 erst stapft er los, hat ein wenig Glück, dass er sich im Zweikampf mit Gäste-Schlussmann Lukas Hradecky behauptet, in dem ihm der Ball an den Oberschenkel springt und von dort den Weg ins Tor findet.

Kevin Behrens (M.) erzielt auf Vorlage von Sven Michel das Tor zum 1:2 gegen RB Leipzig.
Kevin Behrens (M.) erzielt auf Vorlage von Sven Michel das Tor zum 1:2 gegen RB Leipzig.imago/Matthias Koch

Marcus Ingvartsen wiederum schafft das Kunststück Jokertor sogar bei den Bayern und sorgt ebenso für einen historischen Moment. Das 1:1 des Dänen am 10. April 2021 fünf Minuten vor dem Abpfiff bedeutet den ersten Punkt beim Rekordmeister. Kevin Behrens feiert sein erstes Tor in der Bundesliga, es ist ein ganz spätes 1:0 gegen Bielefeld, als Joker und ist am 23. April 2022 gemeinsam mit Sven Michel sensationeller Hauptdarsteller, als die Eisernen in Leipzig mit gleich zwei blitzsauberen Toren ihrer Männer, die von der Bank gekommen sind, im allerletzten Moment aus einem 0:1-Rückstand einen grandiosen Sieg machen.

Der geht so: Michel und Behrens greifen ein, als die Sachsen ihren knappen Vorsprung, für den Yussuf Poulsen sofort nach Wiederbeginn sorgt, über die letzten Minuten bringen wollen. Fünf Minuten sind noch auf der Uhr und die Zeit arg knapp. Dann aber geht die Post dermaßen mit Karacho ab, dass selbst den eigenen Fans der Atem stockt: Eine Eingabe von Becker erwischt Michel, erst 21 Sekunden dabei, mit dem Kopf und platziert die Kugel aufs Allerfeinste zum 1:1 ins Netz. Gut drei Minuten später folgt das Meisterstück, von dem die Anhänger noch heute nicht genug bekommen können: Erneute Eingabe von Becker, diesmal flach; Michel könnte in der Nähe des Torraums abschließen, hat aber die Größe und vor allem das Können, den Ball mit der Hacke auf Behrens abzulegen – es ist das 2:1 zum Mit-der-Zunge-Schnalzen und der triumphale Sieg beim erklärten Lieblingsfeind.

Die Freude ist riesig, der Stolz mächtig und die Anerkennung gewaltig. „So erhofft man sich das“, sagt Michel, „dass man als Einwechselspieler ein Tor macht oder einen Assist. Mir ist beides gelungen.“

Dieser Treffer besitzt derart viel Charme, dass mit Michel/Behrens zum siebten Mal ein Duo bei der Ehrung zum ARD-„Tor des Monats“ ausgezeichnet wird. Mit satten 33 Prozent der insgesamt 170.000 abgegebenen Stimmen setzen sich die eisernen Joker durch und sorgen so nach Silvio (Seitfallzieher im September 2011 gegen Ingolstadt), Polter (Fallrückzieher im September 2018 gegen Kiel beim Comeback nach siebenmonatiger Verletzungspause und auch ein grandioses Jokertor), Marcel Hartel (Fallrückzieher nach 25 Sekunden gegen Köln im Januar 2019) und Andreas Voglsammer (Traumtor im Pokal gegen Hertha BSC im Januar 2022) für das fünfte Tor des Monats eines Union-Spielers.

Einmal auf den Geschmack gekommen, ziehen die Eisernen im vergangenen Jahr alle Register. Elf Tore durch Joker gelingen ihnen in der Saison 2022/23. Nur Fast-Meister Dortmund ist mit 14 besser. Michel liegt in der eisernen Jokertore-Liste des Jahres mit drei Treffern vorn, Behrens und Aissa Laidouni folgen mit zwei Erfolgen, Milos Pantovic, Paul Seguin, Jamie Leweling und Jordan Siebatcheu komplettieren sie. Keinem aber ist ein derart wichtiges, spektakuläres und dazu schönes Tor geglückt wie dem Duo Michel und Behrens damals in Leipzig.

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