Erster Europa-League-Gegner des 1. FC Union: Bei St. Gilloise steht Union drauf, aber RB steckt drin
Bei der Europapokal-Premiere an der Alten Försterei treffen zwei Klubs aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Von Wolke sieben mag beim 1. FC Union fast niemand mehr sprechen. Wer wie die Eisernen von ziemlich weit unten kommt (vor 17 Jahren spielten sie in der viertklassigen Oberliga) und die Niederungen des Sports nicht vergessen hat – Falkensee-Finkenkrug ist eben nicht Bayern München, die TSG Neustrelitz nicht Borussia Dortmund, Motor Eberswalde nicht Borussia Mönchengladbach und Greif Torgelow nicht der 1. FC Köln, zu dem die Rot-Weißen am Sonntag zum nächsten Auswärtsspiel in der Bundesliga reisen –, der muss sich vorkommen wie auf Wolke hundert-und-sieben. Mindestens.
Außerdem ist da die saisonübergreifend aktuell längste Serie an Spielen (nämlich zwölf) ohne Niederlage, das jüngste Auf-Augenhöhe-1:1 gegen Bayern München und vor allem der neuerliche Auftritt auf Europas Bühne.
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1. FC Union: Europa-Premiere in Köpenick
Es ist und bleibt ein Abenteuer, auf das sich die Männer aus Köpenick seit 2019 Spieltag für Spieltag einlassen und entgegen nahezu massenhaften anfänglichen Unkenrufen meisterhaft bestehen. Jetzt also schon wieder Europa. Zum vierten Mal in ihrer Vereinsgeschichte haben sich die Rot-Weißen für diese große Bühne qualifiziert, nur haben sie noch nie in der Alten Försterei gespielt. Beim ersten Mal, 1968, durften sie nicht, beim zweiten Mal, 2001, auch nicht, und beim dritten, in der vorigen Saison, wieder nicht.
Morgen steigt also die Premiere. Kurios, dass ausgerechnet zu diesem historischen Spiel ein Gegner auftaucht mit einem Hauch im Vereinsnamen, der ganz nach Köpenick klingt: Union, dazu Royale, also königlich. Was eher Real Madrid zusteht, kommt diesmal aus Belgien, aus dem Großraum Brüssel. Beim näheren Blick aber fällt auf: Sie haben es bei Royale Union Saint-Gilloise nicht mit dem steinigen Weg, sie helfen gern mal mit mehreren Batzen Kohle nach. Vielleicht wähnen sie sich Himmelsstürmer, für manchen Geschmack sind sie Zocker.
SG Royale Union St. Gilloise erinnert an RB Leipzig

Mit 125 Jahren sind die Belgier etwas älter als die Köpenicker. Sie haben auch stattlichere Meriten. Elfmal waren sie Meister (die Eisernen schafften es 1923 zumindest ins Endspiel gegen den Hamburger SV), wenn auch zuletzt 1935. Aus jener Zeit stammt ein noch heute gültiger belgischer Erstligarekord von 60 Spielen in Folge ohne Niederlage. Auch die Blau-Gelben waren mal in Liga 4 abgeschmiert, sind aber, wie die Rot-Weißen aus Berlin, von dort märchenhaft emporgestiegen. 2021 zwar erst, zwei Jahre nach dem 1. FC Union, sind sie wieder erstklassig geworden, leben aber seitdem ihren Traum. Um ein Haar wären sie als Wiederaufsteiger Meister geworden, wie es in Deutschland nur einmal geglückt ist, 1998 dem 1. FC Kaiserslautern. Passierte das in der Pfalz eher aus Zufall und mit jeder Menge Glück, entsprang das in Belgien knallhartem Kalkül. Nach 34 Spielen lagen sie vorn, fünf Punkte vor Titelverteidiger FC Brügge und 13, das ist ein Klassenunterschied, vor Altmeister RSC Anderlecht. Wären da nicht die Play-offs der vier bestplatzierten Teams gewesen, in denen sich Brügge im allerletzten Moment vorbeimogelte ...
Damit sind die Parallelen zwischen der Alten Försterei und dem Stade Joseph Marien, in dem die belgischen Unioner seit 1919 (!) spielen und das den Charme von vor hundert Jahren auch versprüht, allerdings aufgebraucht. Denn seit ein paar Spielzeiten sitzen die Romantiker zwar weiterhin auf der Uralt-Tribüne, jedoch nicht mehr in der Chefetage. Seit 2015 ähnelt Royale Union, der puren Eisern-Union-Fan-Sicht folgend, eher jener Leipziger Sportgruppe, die sich dem Rasenball verschrieben hat.
1. FC Union: Eisern schlägt Royale
Was hier ein Brause-Multi aus Österreich, haben sie dort mit Jürgen Baatzsch und Tony Bloom im Doppelpack. Baatzsch ist ein Multimillionär aus Deutschland und Bloom Geschäftsmann und erfolgreicher Pokerspieler aus England, der es seit Kindertagen mit Brighton & Hove Albion hält und auch dort Anteilseigner und Vorstand ist. Ihr Geschäftsmodell klingt nach Big Data und ein wenig nach Künstlicher Intelligenz, ist dem studierten Mathematiker Bloom jedoch auf den Leib geschneidert. Sie werten jede Menge Daten aus und rekrutieren veranlagte Spieler, die anderswo durchs Raster gefallen sind, trotzdem aber für Höheres taugen, für einen kleinen Taler.
Verboten ist das nicht, und es ist aktuell sogar ziemlich schnell ziemlich erfolgreich. Es mag ausgeklügelt sein bis ins Klitzekleinste, ist zugleich aber unterkühlt bis ins Drei-Sterne-Gefrierfach. Es hat was von Science-Fiction, was vom Kohlenmunk-Peter, der sein Herz dem Holländermichel verschachert, und was von Faust, der dem Teufel seine Seele vermacht.
Nicht überall, wo Union draufsteht, steckt also auch Union drin. Jedenfalls nicht für einen Fan aus der Alten Försterei. Für den wäre das eine glatte Mogelpackung. Zudem gibt es etwas, das scheint auf Dauer stabiler zu sein als alles Royale: Eisern!
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