Eiserne ziehen alle Trümpfe: Rot-weiße Joker stechen wieder
Nach Joel Pohjanpalo (2) und Cedric Teuchert (3) ist Ingvartsen der dritte Spieler, der in dieser Saison für den 1. FC Union als Einwechsler getroffen hat.

Endlich mal wieder ist ein Jokertor für den 1. FC Union gefallen. Dieser Treffer von Marcus Ingvartsen zum 1:1 bei den Bayern könnte es mal zu so etwas wie einem Kultstatus bringen. Weil die ohnehin schon grandiose Saison für die Eisernen mit der nunmehr in Stein gemeißelten Tatsache, dem deutschen Rekordmeister in beiden Punktspielen die Stirn geboten zu haben, einen weiteren Höhepunkt erreicht hat, tritt die Partie am Sonnabend gegen den VfB Stuttgart fast ein wenig in den Hintergrund. Dabei wäre auch sie allein von der Emotion und noch mehr von der Historie dazu wie geschaffen, das i-Pünktchen auf den Klassenerhalt zu setzen. Sie wissen, warum: 27. Mai 2019, das 0:0 und die anschließende mehrtägige Sause bis zum Abwinken …
Mario Götze erzielte das berühmteste Jokertor für den deutschen Fußball
Aber zurück zum Jokertor. Über das berühmteste Jokertor für den deutschen Fußball, das von Mario Götze zum 1:0 im WM-Finale 2014 gegen Argentinien, habe ich an dieser Stelle einst bereits einige Worte verloren. Von der Wucht und von der Bedeutung, so wichtig es vor allem für den Kopf und für die Seele eines Eisern-Fans auch ist, kann das von Ingvartsen mit diesem wahrlich goldenen Treffer natürlich in keiner Weise mithalten. Wäre dieses Tor gegen Manuel Neuer nicht gefallen, würden die Eisernen die Klasse trotzdem halten und die Bayern würden erst recht Meister werden, eventuell einen Spieltag früher.
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Gerade die Münchner werden angesichts ihrer Geschichte über ein für sie derart unwichtiges, eigentlich fast läppisches Joker-Gegentor mit ein wenig Abstand nicht mehr als müde lächeln, sind sie doch viel größeren Kummer gewöhnt. Damals, vor 22 Jahren, hat es sie kalt und ganz böse erwischt, als sie sich auf dem Olymp des europäischen Klubfußballs wähnten. Im Finale der Champions League haben sie nach langer Führung gegen Manchester United verloren. Durch zwei Gegentore in der Nachspielzeit erlitten sie beim 1:2 ihre Mutter aller Niederlagen durch zwei Joker. Beide Man-U-Torschützen, der eine war Teddy Sheringham und der andere Ole Gunnar Solskjaer, kamen erst kurz zuvor ins Spiel. Selbst Lennart Johansson, der damalige schwedische Präsident des europäischen Fußballverbandes, fiel aus allen Wolken. Um ein Haar hätte er den Pokal der falschen Mannschaft überreicht. Als er seinen Platz auf der Ehrentribüne verlassen hatte, um durch die Katakomben in den Innenraum zu kommen, hatten nämlich noch die Bayern geführt.
Für die Eisernen ist der Treffer von Ingvartsen umso wichtiger. Erstens weil sie sich mit ihm für ihr mutiges Spiel belohnten, zweitens weil sie selbst in München mit den Bayern auf Augenhöhe spielten, drittens weil sie nach einem Rückstand zurückkamen und viertens überhaupt. Auch wenn sich Unions Torschütze mit seiner Jokerrolle nicht ganz anfreunden mag, irgendwie ist er darin in jüngster Zeit ziemlich erfolgreich. Sein erstes Länderspieltor, der letzte Treffer der Dänen beim 8:0 zuletzt in der WM-Qualifikation gegen Moldawien bei seinem Debüt für „Danish Dynamite“ ist noch in bester Erinnerung. Nun wieder ein Jokertor von ihm – kann sein, dass Trainer Urs Fischer darin auch für das Spiel gegen Stuttgart etwas herauslesen wird …
Ein Einwurf der besonderen Art
Dabei ist Ingvartsen bisher nicht als jemand aufgefallen, der sozusagen seine Tore von der Bank (oder seit einiger Zeit von der Tribüne) aus zu erzielen vermag. Dafür waren in dieser Saison bislang Joel Pohjanpalo und noch mehr Cedric Teuchert zuständig. Zweimal hatte der Finne getroffen, dreimal gar der Ex-Schalker, der damit der bisherige eiserne Joker-König ist. Beim 3:1 im Herbst bei der TSG Hoffenheim waren sie sogar beide erfolgreich. Einige Male haben die eisernen Jokertore gut für Punkte gesorgt, so eben in Sinsheim und mit Teucherts goldener Bude mit dem letzten Angriff beim 1:0 gegen Leverkusen erst recht. In die Reihe der punktebringenden Jokertore gehört damit auch der jüngste Treffer.

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Für Edition Nr. 3 konnten wir Christoph Biermann als Autor gewinnen. Der renommierte Journalist gibt Antwort auf die Frage: Wer sind die eigentlich, diese Unioner? Wir haben mit Kapitän Christopher Trimmel gesprochen, der Einblicke in sein Privatleben gibt. Und wir statteten Professor Bernd Wolfarth und seinem Kollegen Clemens Gwinner in der Charité einen Besuch ab. Die beiden beraten Union bei der medizinischen Versorgung der Profis, koordinieren zudem die Corona-Testungen im Verein.
Womöglich ist mit diesem Tor der Bann gebrochen und der Knoten geplatzt. Hatte es in der Hinrunde mit Jokertoren der Eisernen nur so gescheppert, war damit in der Rückrunde bis zum Treffer gegen den Rekordmeister Flaute. Ermöglicht wurde der, weil neben Robert Andrich auch Teuchert mit seinem schnellen Einwurf für einige Verwirrung in den Reihen der Münchner sorgte, selbst wenn die einen meinen, der Ball sei, als Teuchert ihn in die Hände nahm, noch gar nicht im Seitenaus gewesen, und die anderen schwören, sein Einwurf sei sowieso falsch gewesen (ein Bein fast wie bei einer Standwaage in der Höhe) und er hätte zurückgepfiffen gehört.
Wie dem auch sei, genau aus diesem Grund ist das Tor für mich doppelt bemerkenswert. Weil es dem 1. FC Union den ersten Punkt bei den Bayern beschert und weil es – Stichwort Video-Assistent – eines von der alten Sorte ist: Es ist auf „menschlich-fehlbare“ Weise entstanden. Genießen wir es, denn so etwas werden wir nicht mehr gar so häufig zu sehen bekommen.