Josip Juranovic (27) traf erstmals für den 1. FC Union zum Elfmeter an und verwandelte beim VfL Wolfsburg sicher. 
Josip Juranovic (27) traf erstmals für den 1. FC Union zum Elfmeter an und verwandelte beim VfL Wolfsburg sicher.  Christian Schroedter/imago

Als vor 160 Jahren die Regeln für das Spiel mit dem Fußball erfunden wurden, hat es alles Mögliche gegeben. So wurde das Fangen des Balles mit den Händen nicht bestraft, sondern mit einem Freistoß belohnt. Auch war die Höhenbegrenzung des Tores nicht festgelegt. Erst 1870 wurde jegliches Handspiel untersagt und ein Jahr später der Torwart eingeführt, noch später der Schiedsrichter und wieder einige Jahre danach Tornetze. Nicht einmal an einen Elfmeter, diesen längst legendären Punkt inmitten des Strafraumes, hatten die Urgroßväter des Spiels gedacht.

Erst ein Ire namens William McCrum hatte vor über 130 Jahren die Idee dazu. Kurioserweise stand McCrum zwischen den Pfosten seines Teams Milfort Everton FC. Dieser McCrum war nicht nur ein erfolgreicher Leinenfabrikant, sondern ein durch und durch fairer Sportsmann. Er meinte, dieser Strafstoß, anfangs von einer Linie ausgeführt, die 12 Yards, das entspricht exakt 10,9728 Metern, von der Torlinie entfernt ist, sollte als Ausgleich dafür dienen, falls jemand seinem Gegner absichtlich ein Bein stellt oder ihn tritt. 1891 haben die Angelsachsen den Elfmeter in ihr Regelwerk aufgenommen, seit 1893 spielen auch die Deutschen so.

Der 1. FC Union hat bei Elfmetern die Seuche am Fuß

Eine klarere Chance auf ein Tor als einen Elfmeter gibt es im Fußball nicht. In 75 bis 80 Prozent der Fälle trifft der Schütze, bei Weltmeisterschaften liegt die Quote höher. Hin und wieder jedoch gibt es Teams, die haben dabei trotzdem die Seuche am Fuß. Zumindest in bestimmten Phasen. So der 1. FC Union in der aktuellen Punktspielrunde, als er mit Jordan Siebatcheu, Milos Pantovic und sogar Robin Knoche lange Zeit damit fremdelte. Dafür hat der Abwehrchef in Europa eine Performance vom Feinsten hingelegt. Beim 1:0 gegen Malmö – getroffen. Beim 1:0 gegen Braga – getroffen. Beim 3:1 gegen Ajax Amsterdam – getroffen. Beim 3:3 jüngst gegen Royale Union St.-Gilloise – getroffen, wenn auch erst im Nachschuss.

Abwehrchef Robin Knoche (M.) ist beim 1. FC Union der Mann für die Elfmeter, traf beim Hinspiel gegen Saint-Gilloise allerdings erst per Nachschuss. 
Abwehrchef Robin Knoche (M.) ist beim 1. FC Union der Mann für die Elfmeter, traf beim Hinspiel gegen Saint-Gilloise allerdings erst per Nachschuss.  contrast/imago

Bis dahin, dass die Schüsse vom Punkt auch nach Abpfiff des Spiels über Sieg oder Niederlage entscheiden, den Eintrag ins Goldene Buch eines Vereins oder lediglich eine Fußnote wert sind, war es noch ein weiter Weg. Doch genau mit dieser Übung wurden schon Europa- (1976, Uli Hoeneß wird sich erinnern) und Weltmeister (vor wenigen Monaten erst Lionel Messi mit Argentinien), strahlende Champions-League-Sieger (2001 Bayern München) oder grandiose Verlierer in der Königsklasse (2012 ebenso die Bayern) und Pokalgewinner (erst vorige Saison RB Leipzig) gemacht.

Der 1. FC Union steht bei Saint-Gilloise vor einer Zerreißprobe 

Vor dieser Zerreißprobe, was vor allem die Nerven angeht, könnten auch die Eisernen am Donnerstag gegen Saint-Gilloise stehen. Elfmeterschießen, zumal derart spektakulär angesiedelt wie in einem europäischen Achtelfinale, pflastern nicht gerade den Weg der Männer aus der Alten Försterei. Hin und wieder kommen sie in der Vereinshistorie dennoch vor, und zwar mit unterschiedlichem Ausgang.

Als es im Sommer 2000 in Osnabrück um den erstmaligen Aufstieg in die 2. Bundesliga ging, standen nach einem Mammutprogramm mit jeweils zehn Schützen pure Enttäuschung in den Gesichtern und blanke Tränen in den Augen. Ein halbes Jahr später gab es vom Punkt gegen Mönchengladbach das Erreichen des Endspiels im DFB-Pokal, somit Freudentänze und geköpfte Sektflaschen.

Elfmeter im Fußball sind einfache Physik. Eigentlich ... 

Dabei kann es so einfach sein. Sagen zumindest diejenigen, die den alles entscheidenden Moment auf die Physik reduzieren und es bis auf die x-te Nachkommastelle berechnen. Das geht so: Um die 100 km/h beträgt die Geschwindigkeit des Balles. Bis zum Tor braucht er nicht ganz eine halbe Sekunde. Die Reaktionszeit eines klasse Torhüters beträgt eine Viertelsekunde. In der verbleibenden Viertelsekunde hat selbst der beste Schlussmann nicht den Hauch einer Chance, an einen platziert geschossenen Ball zu kommen. Dann nämlich müsste er so schnell fliegen, wie 100-m-Weltrekordler Usain Bolt die letzten Meter sprintet, mit 35 km/h – aber aus dem Stand. Nicht zu machen, eigentlich. Um wenigstens ein klein wenig konkurrenzfähiger zu sein, verzichten die Torhüter deshalb auf die Reaktionszeit und entscheiden sich – hopp oder top – für eine Ecke.

Im Grunde aber ist es manchmal trotzdem ein Dilemma, einen Elfer zu versenken. Die Psyche – in der zentralen Hirnregion werden Stresshormone ausgeschüttet, der Blutdruck schießt in die Höhe, sämtliche Körperfunktionen schalten auf Alarmbereitschaft – ist der viel ärgere Teufel als derjenige, der auf der Torlinie vielleicht tänzelt. Um sich den eisernen Traum vom perfekten Elfmeter dennoch zu erfüllen und mit manch versemmeltem Versuch Frieden zu schließen, heißt es: Tunnelblick, Automatismen einschalten und vor allem – Hirn auskuppeln! Dann sollte was gehen. 

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