Jordan Siebatcheu dreht nach seinem 1:0 gegen Hertha BSC jubelnd ab.
Jordan Siebatcheu dreht nach seinem 1:0 gegen Hertha BSC jubelnd ab. Imago/Sebastian Räppold

Es gleicht immer wieder einem Wunder. Jahr für Jahr, nun schon seit 2019, schickt der 1. FC Union eine Mannschaft ins Bundesligarennen, die mit der von vor drei Monaten nicht einmal im Ansatz (na gut, das ist wiederum leicht übertrieben) zu vergleichen ist, um dann doch wieder auf die Pauke zu hauen. Diesmal hat es im Gegensatz zu den Vorjahren, als jeweils am dritten Spieltag der erste Dreier – 2019 mit 3:1 gegen Dortmund, 2020 mit 4:0 gegen Mainz und 2021 mit 2:1 gegen Mönchengladbach – gelang, sogar schon zur Saisonpremiere mit einem Punkte-Vollprogramm geklappt. Vielleicht kommt jetzt ein Schwarzmaler um die Ecke mit dem Spruch, dass die ersten Pflaumen immer madig seien. Ach, komm, dann sollten sich die Bayern ihren erneuten Titelgewinn schon mal komplett abschminken.

Die Eisernen und die Neuen, das ist ein Thema, bei dem sich längst auch die Konkurrenz wundert und langsam wohl auch den Hut zieht. Während andernorts bei der Integration immer wieder Zeit und Geduld angemahnt werden, was Wochen und Monate dauern kann und manchmal gar nicht gelingen will, sind in Köpenick die Frischlinge meist gleich auf Betriebstemperatur.

Neue Spieler sind beim 1. FC Union oft gleich voll da

Irgendwie bleibt der 1. FC Union sich damit treu. Vor drei Jahren waren zur Premiere Keven Schlotterbeck, Robert Andrich, Christian Gentner und Marius Bülter als Zugänge in der Startformation, in der Saison danach Andreas Luthe und Robin Knoche, im Vorjahr Timo Baumgartl, Rani Khedira und Genki Haraguchi, nun Diogo Leite, Janik Haberer und Jordan Siebatcheu. Zieht man zurückgekehrte Leihspieler wie Dodi Lukebakio bei Hertha BSC ab, hat mit Ausnahme von Wiederaufsteiger Schalke zum ersten Anpfiff kein anderes Team mehr Neue auf dem Rasen gehabt als die Rot-Weißen. Außerdem wurden mit Jamie Leweling und Milos Pantovic zwei weitere Zugänge eingewechselt.

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So etwas ist bereits Programm in der Alten Försterei, fast schon gute Tradition, überrascht jedoch immer wieder aufs Neue. Und zwar positiv. Wenn andernorts stets versichert wird, dass die Neuen wunderbar aufgenommen worden seien, wird in Köpenick fast schon nicht mehr darüber gesprochen. Das Mit- und Füreinander wird vom ersten Tag an gelebt. Ansonsten bekommt kein Trainer dieser Welt, mag er noch so viel Einfühlungsvermögen und Erfahrung haben wie Urs Fischer, so schnell eine Einheit geformt. Es gehört einfach zur Hygiene des Teams und zur Stimmung in der Kabine, dass die Balance stimmt und die Augenhöhe zueinander erst recht.

Führungstor für den 1. FC Union ist Siebatcheus Punkt auf dem i

Union-Stürmer Jordan Siebatcheu (Mitte) erzielt das 1:0, Herthas Verteidiger Marc Kempf kommt zu spät.
Union-Stürmer Jordan Siebatcheu (Mitte) erzielt das 1:0, Herthas Verteidiger Marc Kempf kommt zu spät. AFP/Odd Andersen

Der Punkt auf dem i ist es zudem, wenn ein neuer Spieler zum Debüt sogar trifft. So wie es neben Jordan Siebatcheu nur noch Sadio Mané für die Bayern, Kevin Stöger für Bochum, Randal Kolo Muani für Frankfurt sowie mit Michael Gregoritsch, Matthias Ginter und Ritsu Doan gleich drei Freiburgern gelungen ist, wobei keiner aus diesem Breisgau-Trio neu in der Bundesliga ist. Noch besser ist nur, wenn der Neue sogar für das 1:0 sorgt. Viel besser als für Siebatcheu kann es somit eigentlich nicht beginnen. Inzwischen bekommen alle, die ihn noch nicht kannten, eine Ahnung davon, was der US-amerikanische Franzose oder französische US-Amerikaner, der aus der Schweiz nach Berlin kam, in Sachen Torerzielung auf der Pfanne hat: Fallrückzieher mit rechts im Pokal in Chemnitz, Kopfball gegen die Blau-Weißen aus Charlottenburg. So viel neue Wucht ist selten! Die brachte nicht einmal Sheraldo Becker gleich mit, obwohl er mit seiner Maßflanke seinem neuen Sturmpartner dessen Tor erst ermöglichte und mit seinem Treffer zum 2:0 gegen Hertha sogar noch ein Ass mehr im Ärmel hatte.

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Außerdem, das sollte jeden Neuen beflügeln, ist das erste Saisontor immer auch etwas Besonderes. Vor zwölf Monaten ist es Taiwo Awoniyi gelungen, nachdem er fest verpflichtet war. 33 Spieltage später hatte der Nigerianer 15 Tore auf seinem Konto. Das ist top und das ist eiserner Bundesligarekord. Aber wiederum keiner, der in Stein gemeißelt ist. Bis dahin ist es, zugegeben, noch lange hin, und es muss nicht unbedingt auch klappen, ein gutes Gefühl vermittelt der 1,90-Meter-Angreifer, der in der Vorsaison für Young Boys Bern 22-mal getroffen hatte, aber durchaus.

Bescheidenheit bleibt die Philosophie des 1. FC Union

Eines, Wunder hin und Magie her, sollte bei aller Euphorie trotzdem rot-weiße Philosophie bleiben: Bescheidenheit. Es ist, auch wenn manche aus der Kurve von sonst was träumen, ein elend langer Weg zum Ziel. Insofern ist der eindrucksvolle Beginn zwar eine neue Erfahrung für den gesamten Verein, gespielt aber sind erst einmal ganze 90 Minuten. Das ist für die Saison quasi ein Wimpernschlag. In den „restlichen“ 2970 Minuten plus Nachspielzeit kann noch jede Menge passieren. Aber stabil und belastbar, so scheint es, ist dieses ziemlich neue Union-Gebilde durch und durch.

Bleibt lediglich der Wunsch bei den Anhängern: Lasst den Zauber nicht verfliegen. So könnte es erneut mit einem Wunder klappen.

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