Große KURIER-Serie: Die Väter des Erfolgs, Platz 2
Der 1. FC Union macht es wie die Musketiere: Einer für alle, alle für einen
Als Schweizer kennt Urs Fischer diesen Spruch von Kindesbeinen an und befolgt ihn auch als Trainer. Das geht aber nur im Vierklang mit Manager, Präsident und Kapitän.

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den Einen oder das Eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-m-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 2: Die vier Musketiere.
Heinz Werner hat sich eine nette Geste einfallen lassen. Obwohl sie den einstigen Trainer des 1. FC Union mit den Jahren eine ziemliche Stange Geld gekostet hat, hält der 87-Jährige, als Ehrenmitglied bei jedem Heimspiel im Stadion, eisern daran fest: „Für jeden Sieg bekommt Urs Fischer eine Flasche Sekt von mir.“ Die Marke verrät Werner nicht, dafür den Stückpreis: elf Euro.
Meistgelesen
Rezept des Tages
Cremige Kürbissuppe: Dieses Herbst-Rezept ist ein Muss
Blick in die Sterne
Laut Horoskop: Diese Sternzeichen sind im Oktober vom Pech verfolgt
Blick in die Sterne
Horoskop für heute: Dienstag, 3. Oktober 2023 – für alle Sternzeichen
Das geht aber schnell
Schnellstart bei „Hochzeit auf den ersten Blick“: Hier geht es schon ums Baby
Blick in die Sterne
Horoskop für heute: Mittwoch, der 4. Oktober 2023 – für alle Sternzeichen
Blick in die Sterne
Laut Horoskop: 3 Sternzeichen, die im Oktober besonders viel Power haben
Irgendwann sind Werner und Fischer, als der Ältere schon Kult-Trainer war und der Jüngere erst auf dem Weg dahin, aufeinander zugegangen und haben sozusagen eine Hospitation vereinbart. „Dabei“, sagt Werner, „hat sich Urs Fischer absolut offen, interessiert und fast neugierig gezeigt für all das, was ich ihm erzählen konnte. Was ich dabei auch festgestellt habe, ist, dass er seine Assistenten machen lässt, sie als gleichwertig ansieht und ihnen absolutes Vertrauen entgegenbringt.“
Viel und lange schon wird über das Erfolgsgeheimnis der Eisernen gerätselt. Gerade erst ist Fischer von den Bundesligaprofis zum Trainer der Saison gekürt worden – in seiner Heimat ist er bereits 2022 Trainer des Jahres geworden – so wie die 252 Spieler, die sich an der anonymen Wahl beteiligten, den 1. FC Union mit 53,2 Prozent, mit absoluter Mehrheit also, als Überraschung des Spieljahres ansehen. Aber: Gibt es überhaupt ein Erfolgsrezept?
Fischer vertraut seine Assistenten beim 1. FC Union
Vielleicht ist es das, das Heinz Werner ausgemacht hat: das Vertrauen in die Arbeit anderer. Mehr noch, es ist ein geradezu bedingungsloses Vertrauen. Es funktioniert nach dem Motto: Einer für alle, alle für einen. Danach handelten d’Artagnan und seine Freunde Athos, Porthos und Aramis, die Musketiere. Nur: Als der Bestseller nach Alexandre Dumas 1844 erschien, hatten die Schweizer exakt diese Philosophie längst für sich entdeckt. Ihr traditionelles Motto „Einer für alle, alle für einen“ ist seit den 1830-Jahren eine Kurzformel für den Zweck der eidgenössischen Bündnispolitik, die in der Gründung des Bundesstaates gipfelte. Von der Historie der Eidgenossenschaft bis zu Urs Fischer ist es mithin nicht weit …
Als Schweizer kennt Urs Fischer diese Historie wohl, viel wahrscheinlicher beruht sein Wirken jedoch darauf, was Heinz Werner als Trainer-Kenner und Trainer-Auskenner als wesentlich ansieht: „Warum haben Trainer aus der Schweiz einen solchen Erfolg?“, fragt der Grandseigneur der Union-Übungsleiter ein wenig hintergründig und liefert die Antwort gleich mit, „weil sie besser ausgebildet sind.“ Gerade in der neueren Zeit haben sich Coaches aus der Eidgenossenschaft in der deutschen Bundesliga fast die Klinken in die Hand gegeben: Lucien Favre, Marcel Koller, Martin Schmidt, Christian Gross, Gerardo Seoane – und seit 2018 mit dem Zwölf-Monate-Anlauf in der 2. Bundesliga auch Urs Fischer. Das größte Lob kommt indes von einem, der zwei Jahre unter Fischer die Nummer 1 war, mit dem Trainer nicht immer auf einer Welle lag, dennoch eine Lanze für ihn bricht: Rafal Gikiewicz. Der Pole sagte voller Hochachtung: „Er ist der Architekt. Im Spiel ohne Ball ist er wie Guardiola oder Mourinho. Jeder weiß, was er auf dem Platz machen muss, und wir werden nie überrascht.“
1. FC Union hat das Zeug zum Blockbuster

Womöglich aber liegt das Erfolgsgeheimnis auch woanders, nicht nur in der Geschlossenheit von Cheftrainer und seinen Assistenten Sebastian Bönig und Markus Hoffmann sowie mit Michael Gspurning (Torhüter), Martin Krüger (Athletik) und Johannes Thienel (Reha) als weiteren Puzzleteilen. Es ist vor allem die Einheit der „Musketiere“, es ist der Vierklang des Trainers mit Manager, Präsident und Kapitän, fast mit allen, die es gut mit dem Verein meinen. Was in der Gesellschaft nicht gar so häufig funktioniert, klappt in Köpenick umso besser. Da liefern ein Schweizer (Fischer), ein Deutscher-Ost (Dirk Zingler), ein Deutscher-West (Oliver Ruhnert) und ein Österreicher (Christopher Trimmel) Jahr für Jahr eine Performance ab, die Ähnlichkeit mit einem Blockbuster hat und deshalb großes Kino ist.
Wie Fischer andere machen lässt und ihnen bedingungsloses Vertrauen entgegenbringt, so lässt Zingler den Schweizer auch machen. Nachdem Unions Präsident auf der Suche nach einem neuen Trainer einst die Akte Fischer in die Hände bekam, konnte er einiges nicht glauben: „Es müssen Wahnsinnige gewesen sein, die ihn in Basel entlassen haben.“ Bereits nach dem ersten Gespräch, bei dem es kaum um Fußball ging, sondern um gemeinsame Werte und menschliche Themen wie Familie und auch darum, wie der jeweils andere die Welt sieht, war Zingler sicher: „Wir haben unseren Trainer gefunden.“ Selbst nach Jahren betrachtet Zingler die Personalie so: „Wir sind glücklich, dass wir ihn haben.“
Das Beste an allem ist, dass sich keiner aus dieser Gemeinschaft zu wichtig nimmt, sondern den anderen akzeptiert, weil auch er den Verein nach vorn bringen will. Vor zwei Jahren schon, als die Eisernen die Conference League erreichten und trotz aller Sachlichkeit die Aufgeregtheit größer wurde, brachte Oliver Ruhnert das Ganze auf diesen Nenner: „Wir sind alle auf unsere Weise gleich aufgeregt. Alle haben eine andere Verantwortlichkeit, deswegen ist die Aufregung von Herrn Zingler eine, die eben viel mehr den Gesamtverein umfasst und die Aufregung von Urs Fischer eine, die die direkte Mannschaft umfasst. Die Aufregung von mir ist, beide ein bisschen zu kanalisieren und es hinzubekommen, dass wir es im Sport ganz gut regeln.“
Kleiner Zoff mit Kapitän Trimmel beim 1.FC Union

Genau das haben sie danach mit Europa- und nun Champions League noch viel besser hinbekommen. Und sie kriegen noch ganz was anderes hin, bei dem anderswo die Fetzen fliegen. Obwohl am Spieltag von 25 Startelfkandidaten mindestens 14 sauer sein müssten, weil sie auf die Bank müssen oder gar nicht dabei sind, ist Stunk zumeist aus- oder unter der Decke geblieben. Nur zuletzt ist es Christopher Trimmel, als Spielführer ein Vorbild wie es im Buche steht, ein wenig sauer aufgestoßen. Doch selbst den Disput mit ihm, seit zehn Jahren ein Eiserner und dienstältester Unioner, moderierte Fischer souverän weg. Beim Kapitän ist er, der Menschenversteher, anders vorgegangen als sonst. Da sagt er schon mal, wenn Grummelei im Anzug ist: „Jetzt habt ihr die Gelegenheit, euch bei mir auszukotzen. Aber ich will kein Gequatsche.“
Diejenigen, die nicht dabei sind, lieben ihn dafür noch immer nicht, ordnen sich dennoch ein wenig besser unter, weil sie wissen, dass es in den meisten Fällen nur so geht: Einer für alle und alle für einen.
Lesen Sie hier mehr über den 1. FC Union >>