Unterschiedliche Welten: Der Bayern-Bus parkt vor dem Stadion an der Alter Försterei.
Unterschiedliche Welten: Der Bayern-Bus parkt vor dem Stadion an der Alter Försterei. Imago/Matthias Koch

Träumen darf erlaubt sein. Gerade beim 1. FC Union und dazu in einem Moment, in dem alles Gute zusammenkommt und am Sonnabend die Bayern zum Spiel der Spiele in Köpenick sind. Es könnte kaum anders sein, würden Weihnachten, Ostern und der eigene Geburtstag auf ein und dasselbe Datum fallen. Nicht möglich? Von wegen! Bei den Rot-Weißen des Bundesliga-Jahrganges vier scheint derzeit alles mach- und noch mehr denkbar. Es ballt sich wirklich alles auf einmal: Traum, Märchen und Magie. Das grenzt endgültig an ein Wunder.

Wer es nicht glaubt, sollte von der Tabelle einen Screenshot erstellen und archivieren. Oder zur Schere greifen. Das Tableau ausschneiden, gut wegpacken und wenn nötig für die Nachwelt aufbewahren. So wie mein alter Herr es mir mal vorgemacht hat mit einer Aufstellung samt Torfolge eines Länderspiels der Juniorenauswahl der DDR. Das Stück Papier hat mein Vater als noch ziemlich junger Bursche, 41 Jahre alt war er damals, in sein Portemonnaie gesteckt und für den Rest seines Lebens, 84 ist er geworden, nicht wieder herausgenommen.

1. FC Union gegen den FC Bayern: Stoff für die Geschichtsbücher 

Die Geschichte hinter diesem am Ende doch ein wenig zerknitterten Schnipsel: Am 8. März 1959, als Achtjähriger war ich an seiner Hand im Stadion, spielten die Talente in Zwickau gegen England. 0:3 lagen sie nach 17 Minuten zurück. Normalerweise gibt es in solch einem Spiel, außer nicht ganz und gar das Gesicht zu verlieren, nicht mehr viel zu löten. Gab es diesmal aber doch. Zur Pause stand es 3:3 und bei Abpfiff staunten die 20.000 Zuschauer über einen 4:3-Sieg von Horst Weigang und Wolfgang Barthels, Rainer Nachtigall und Jürgen Nöldner.

An emotionalem Wert hatte das Stück Zeitungspapier Jahre später sogar deutlich zugenommen, denn bei den Gästen stürmte ein Junge von West Ham United, den damals noch niemand auf dem Schirm hatte, mein Vater aber (liest sich das nicht gut?) auf seinem Zettel: Geoffrey Hurst. Ein Tor hat der Angreifer aus London im Gegensatz zu Rainer Nachtigall, neben Jürgen Nöldner einer meiner späteren Kollegen beim „Deutschen Sportecho“, nicht erzielt, sein legendärer Dreierpack samt Wembley-Tor im WM-Finale aber hat sieben Jahre später Fußball-Weltgeschichte geschrieben.

Immer FC Bayern: Der 1. FC Union kennt keinen anderen Meister

Vom Gefühl her ist die Partie am Sonnabend in der Konstellation ähnlich. Dort das große Team, das den Fußball neu erfunden hat. Irgendwie haben das die Bayern für die Bundesliga ja auch, in manchen Jahrgängen sogar auch für die Champions League. Hier jener Verein, der sozusagen aus der Tiefe kam und eben nur mal ein Jahr Urlaub in der Eliteliga zu machen gedachte, sich aber immer wieder für mindestens 34 weitere Partien auf seinem nicht enden wollenden Urlaubstrip qualifiziert hat.

Und nun das! Der Zweite fordert den Ersten heraus. So weit oben standen die Köpenicker noch nie. Von Platz 18 sind sie gekommen. Dort fanden sie sich nach dem ersten Spiel in ihrer Premierensaison wieder. Es war in 106 Partien in der Bundesliga aber auch das einzige Mal, dass sie auf einem direkten Abstiegsrang ausharren mussten und einmal auch nur auf dem Relegationsplatz. Das schon ist absolute Spitze, mit dem Anspruch der Bayern aber in keinster Weise zu vergleichen. Die lagen in dieser Zeit 106-mal an der Tabellenspitze. Ganz stimmt das zwar nicht, vom Gefühl her aber doch. Zumindest kennen die Köpenicker aus ihrem Mittun in ihrer jetzigen Liga keinen anderen Meister als den aus München.

1. FC Union verdient sich mehr und mehr Respekt 

Deshalb ist am Sonnabend allein die Ausgangssituation unfassbar. Eigentlich. Das bedeutet zugleich, dass dem 1. FC Union Anerkennung zuteil wird. Er wird wahrgenommen, mit ganz viel Staunen, Respekt sogar und mancherorts bestimmt auch Neid. Als Vorbild dient er allemal. Trotzdem steht fest: Die Bayern sind besser, keine Frage. Derzeit jedoch nur einen Hauch, einen Wimpernschlag, selbst wenn das die berühmte Momentaufnahme ist.

Besser geht es für die Eisernen nicht. Höchstens in der Konstellation, dass sie als Erster den Zweiten empfangen würden. Das wäre, zugegeben, noch einen Tick verrückter. Dass es nach dem Spiel vielleicht nicht trotzdem so sein könnte, ach komm, aufwachen … Träumen, Märchen, Magie und den Hasen aus dem Zylinder gezaubert inbegriffen, darf dennoch erlaubt sein. Selbst wenn es für nur 90 Minuten ist. Die bleiben, wie auch immer es ausgeht, unvergesslich. Und, die DDR-Junioren haben es bewiesen, selbst ein 0:3 nach 17 Minuten ist zu reparieren. Den Schnipsel mit Aufstellungen, Torfolge und diesmal sogar Tabelle, da bin ich alte Schule und folge streng meinem Vater, würde selbst ich mir aufheben. Darauf das eiserne Ehrenwort! 

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