So jubeln Überflieger: Die Profis des 1. FC Union freuen sich über die Tabellenführung nach dem Sieg in Köln.
So jubeln Überflieger: Die Profis des 1. FC Union freuen sich über die Tabellenführung nach dem Sieg in Köln. City-Press

Wer es als Fan des 1. FC Union noch nicht getan hat, sollte nun nicht länger warten. Für Ältere sieht das so aus: Tabelle ausschneiden und einrahmen. Für Jüngere: Screenshot machen und archivieren. Es ist auch drei Tage danach noch der Hammer, was das bedeutet. Nicht zu glauben und mit normalen Maßstäben auch nicht zu messen. Es ist, als würde ein Brustschwimmer die 100 m Freistil gewinnen, ein Trabi in der Formel 1 die schnellste Runde drehen oder ein 70-Kilo-Boxer einen Schwergewichtler auf die Bretter knallen. Auf Eisern-Art ist das nichts anderes als ein neues und alles übertreffende Kapitel im Köpenicker Märchenbuch.

Der 1. FC Union stellt die Fußballwelt auf den Kopf

Nüchtern betrachtet ist es jedoch das Tollste, was die Bundesliga seit Jahrzehnten erlebt. Der Moment für Erinnerungsdinge aller Art. Zugleich heißt das auf Rot-Weiß-Deutsch: Zeughaus, bitte übernehmen! Eine bessere Steilvorlage kann nicht einmal Christopher Trimmel.

Noch nie war der 1. FC Union in der höchsten Spielklasse Tabellenführer. Am dichtesten dran waren die Eisernen in der DDR-Oberliga nach dem 1. Spieltag der Saison 1970/71. Nach Toren von Günter Klausch (2), Harald Betke und Reinhard Gärtner und einem Gegentor von Gerd Stieler hatten sie Rot-Weiß Erfurt 4:1 besiegt. Das Pech der Männer um Trainer Harald Seeger war, dass Carl Zeiss Jena zeitgleich gegen Sachsenring Zwickau mit 7:3 triumphierte.

Hansa Rostock warnt den 1. FC Union

Der Moment, wenn man weiß, dass man Spitzenreiter der Bundesliga ist: Union-Manager Oliver Ruhnert jubelt auf der Bank nach dem Sieg in Köln. 
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Der Moment, wenn man weiß, dass man Spitzenreiter der Bundesliga ist: Union-Manager Oliver Ruhnert jubelt auf der Bank nach dem Sieg in Köln. 

Mit dem derzeitigen Stand wird die Fußballwelt – Momentaufnahme, völlig klar – auf den Kopf gestellt. Wie nur kann ein Team, das, außer zu alter Zeit mit Jimmy Hoge und Wolfgang Wruck, Reinhard Lauck und Ralf Sträßer, keinen aktuellen deutschen Nationalspieler in ihren Reihen hatte, derart gut drauf sein? Es ist das, was Trainer und Manager immer predigen: das Team, die Gruppe, das Kollektiv, meistens kommt als Adjektiv verschworen hinzu. An keinem anderen Beispiel lässt es sich derzeit besser ablesen als an dieser eisernen Gemeinschaft, dass einer allein im Mannschaftsport ein Nichts ist, ein Haufen von teils verrückten – auf seine Art ist Sheraldo Becker durchaus einer und Sven Michel auch – und begeisterungsfähigen Typen aber Favoriten in Nöte bringen und sogar stürzen kann.

Nur eine andere Mannschaft aus dem Osten hat es vor dem 1. FC Union geschafft, die Bundesliga anzuführen. Hansa Rostock war es. Hertha BSC und selbst RB Leipzig, obwohl ebenso im Nordostdeutschen Fußballverband zu Hause, zählen einfach nicht, weil sie keinerlei Ost-Identität verkörpern und über eine Vergangenheit in der DDR-Oberliga eher ätzen würden. Zugleich wird die Kogge als warnendes Beispiel dafür herangezogen, wie schnell der Absturz folgen kann. Die Rostocker waren in der Saison 1991/92 am 7. Spieltag noch Erster, später als der 1. FC Union jetzt, und sind dennoch abgestiegen. Das schon, nur: Damals gab es, weil das Feld durch Hansa und Dynamo Dresden auf 20 Mannschaften aufgestockt worden war, vier Spiele mehr und mit vier Absteigern so viele wie nie.

1. FC Union: Nottingham Forrest als Vorbild 

Andere Beispiele sollten den Eisernen Mut machen. Die, in denen die krassesten Außenseiter ihr Ding bis zum großen Triumph durchgezogen haben. Immer wieder ist der „Rest von Leipzig“ das Muster für alle Underdogs, als 1963 in der Messestadt die Guten zum SC durften und die Schlechten zur BSG Chemie mussten, die eigentlich Miesen allen anderen den dicken Daumen zeigten und den Titel gewannen. Wer auch hätte für möglich gehalten, dass der 1. FC Kaiserslautern sich 1998 als Aufsteiger die Meisterschale krallt?

Auch anderswo ist so etwas möglich, sogar im Mutterland des Fußballs. Leicester City gilt als Paradebeispiel der Neuzeit, 2014 nach zehn Jahren zurück in die Premier League gekommen und zwei Jahre später spektakulär Meister geworden. Nur heißt der Präsident dort nicht vielleicht John Foster oder William Wright, wie es in England so leicht möglich wäre wie hierzulande jemand auf den Namen Dirk Zingler hört, sondern Aiyawatt Srivaddhanaprabha. Nach Fußball, zumal nach erstklassigem und nach Mutterland, klingt das nicht wirklich.

Auftrag an den 1. FC Union: Genießt den Moment! 

Da schon eher Nottingham Forest, aktueller Verein von Ex-Unioner Taiwo Awoniyi, obwohl dort der Boss Evangelos Marinakis heißt und auch kein Engländer ist, nur liegt dieser Fall, wie es aus dem Nichts ganz nach oben gehen kann, schon ein paar Jährchen zurück. 1977 stieg Forest nach fünf Jahren in der Zweiten Liga als Tabellendritter (Union, war da was?) in die damalige First Division auf, um ein Jahr später Meister zu werden und wiederum ein Jahr darauf den europäischen Meistercup zu gewinnen. Prunkstück des Teams im Meisterjahr war (Achtung, Union) die Defensive mit Nationaltorhüter Peter Shilton an der Spitze, die in 42 Spielen lediglich 24 Gegentore zuließ. Außerdem überstand das Team saisonübergreifend 42 Spiele ohne Niederlage. Was für ein unglaublicher Marathonlauf.

Was das für den 1. FC Union heißt? Gar nichts! Vielleicht nur: Genießt den Moment! Trotzdem nicht vergessen: Tabelle ausschneiden oder, auch das zählt, screenshotten! 

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