Auf ein Viertes! Der 1. FC Union lebt weiter seinen Traum
In Chemnitz, wo die Eisernen am Montag in die Saison starten, wurden einst rot-weiße Fußballgötter geboren.

Die einzigartige Reise des 1. FC Union geht weiter. Besser: Sie beginnt, wie jeden Sommer wieder, von vorn. Bei null nämlich. Die drei Spielzeiten zuvor, so erfolgreich sie in der Historie der Eisernen auch sind, sollten ab sofort Erinnerungen sein an wunderbare Momente, geradezu einmalige Siege und viele hübsche Augenblicke. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.
Langsam, nach 148 Punkten aus 102 Spielen in der Bundesliga, sollten sich die Rot-Weißen aus der Wuhlheide damit vertraut machen, dass sie nicht mehr die einsamen und teils belächelten Jäger sind, sondern die Gejagten. Sie sollten wissen, dass so mancher der eigentlichen Branchengrößen eine Rechnung mit ihnen, den Aufmüpfigen aus Köpenick, offen hat und sie nach Möglichkeit umgehend begleichen möchte.
Das macht es noch schwieriger als in den Jahren zuvor, auch wenn der Aufgalopp mit dem Pokalspiel am Montag in Chemnitz es vielleicht noch gut meint. Auf ein Viertes also. Die Eisernen leben weiter ihren Traum.
Der 1. FC Union sollte vor Chemnitz gewarnt sein
Andererseits: Auch ein Spiel bei einem Viertligisten, einem ambitionierten zumal, der nach Tiefschlägen und etlichen Turbulenzen endlich an bessere Zeiten anknüpfen möchte, hat es in sich. Wer sollte das besser verstehen als die manchmal über sich hinausgewachsenen Unioner (zuletzt ja bis ins Halbfinale und dort halb gefühlt schon ins Finale vorgedrungen), die sich einige andere Male beim Start in einen Pokalwettbewerb aber auch Knoten in die Beine gedribbelt haben.
Zum Start geht’s also nach Chemnitz. Für viele aus dem Osten ist das noch immer die Stadt mit den drei o: auf gut Sächsisch Korl-Morx-Stodt. Die Stadt mit dem „Nischel“, dem überlebensgroßen Kopf des im Sozialismus allgegenwärtigen Wirtschaftsweisen aus Trier.
Dort passierte aus Sicht des 1. FC Union am 28. Mai 1988 Einmaliges. Jeder, der sich auch nur ein klein wenig in der Geschichte der Eisernen auskennt, verbindet mit jenem brütend heißen Nachmittag, der in eine abenteuerlich schöne und siegestaumelnde Rückfahrt überging und in Zeuthen in dem heute nicht mehr existierenden Rosengarten in einem feuchtfröhlichen Abend endete, dies: Rettung vor dem eigentlich sicheren Abstieg aus der Oberliga durch ein 3:2 in allerletzter Minute und Geburt einer neuen Generation an Fußballgöttern.
Ausgerechnet Heinz Werner stand beim Union-Wunder in Karl-Marx-Stadt beim Gegner an der Linie
Manch Einheimischer witterte gar Verrat und glaubte, das sei alles andere als mit rechten Dingen zugegangen, weil mit Heinz Werner damals ein Trainer an der Seitenlinie der Karl-Marx-Städter stand, der sich in der Alten Försterei einen richtig guten Namen gemacht hatte. Hirngespinste, was sonst.
Ein wenig gingen die Wege danach auseinander. Die Himmelblauen schafften danach den Sprung nach Europa und zum Ausklang der DDR-Oberliga in die Zweite Bundesliga. Die Rot-Weißen kamen, auch durch Selbstverschulden, ewig nicht aus dem Knick. Als sich beide erneut begegneten, es war Mitte der 1990er-Jahre in der Regionalliga, mauserte sich bei den Sachsen gerade ein enormes Talent: Michael Ballack.
Auch wenn der spätere Capitano des DFB-Teams nicht in diese Reihe passt, so entwickelte sich zwischen den Chemnitzern und den Eisernen später so etwas wie eine Querverbindung.
Daniel Göhlert heuerte nach 19 Jahren in seiner Heimat für sieben Spielzeiten in der Alten Försterei an. Chibuike Okeke, in seinen vier Jahren in Köpenick einer der Fan-Lieblinge, schloss sich danach den Chemnitzern an. Karsten Heine, beim legendären 3:2 der Sieger-Trainer, war später Coach in Chemnitz. David Bergner, für den eine gleich doppelte Union-Vergangenheit spricht, war einer seiner Nachfolger. Thomas Sobotzik, einst in der Zweiten Bundesliga in der Wuhlheide aktiv, war in Chemnitz Geschäftsführer. Björn Jopek hat für beide gespielt, genauso wie Tobias Kurbjuweit, Ervin Skela, Maurice Trapp und Sixten Veit – auch Sreto Ristic hat hier (als Spieler) wie da (als Trainer) seine Visitenkarte hinterlassen.

Man kennt sich und man weiß voneinander. Trotzdem ist das Aufeinandertreffen am Montag im Pokal etwas Außergewöhnliches, auch weil die Wege sich bis auf ein mageres Testspiel seit Jahren nicht mehr kreuzten. Zu weit sind beide voneinander entfernt.
Hatten die Eisernen vor ziemlich langer Zeit reichlich Dusel, dass sie überlebten, dürfen sich nun die Sachsen glücklich schätzen, dass es sie nach 2020, nach ihrem Abstieg aus der Dritten Liga, als es sie am Ende gegenüber ihrem Nachbarn FSV Zwickau um ein mickriges Törchen erwischte, überhaupt noch gibt und sie Viertligist bleiben durften. Vieles war schiefgelaufen beim DDR-Meister von 1967.
Das ist lange her. Fast so lange wie der Pokalsieg des 1. FC Union ein Jahr später. Vielleicht beginnt gerade deswegen dort eine neue Erfolgsgeschichte.
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