Neue KURIER-Serie: Die Väter des Erfolges beim 1. FC Union

Auch Hertha BSC war ein treuer Aufbauhelfer beim Erfolg des 1. FC Union

Der KURIER hat die Rangliste des rot-weißen Erfolgs erstellt. Platz 13: Hertha BSC!

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Sebastian Polter (M.) trifft im Derby gegen Hertha BSC zum entscheidenden 1:0 per Elfmeter für den 1. FC Union.
Sebastian Polter (M.) trifft im Derby gegen Hertha BSC zum entscheidenden 1:0 per Elfmeter für den 1. FC Union.sebastian wells/ostkreuz

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den Einen oder das Eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 13: der Nachbar aus Westend.

Nein, diese Geschichte beginnt nicht Ende Januar 1990, an einem bitterbitterkalten Tag zweieinhalb Monate nach dem Mauerfall. Da ist alles bestens zwischen den Rot-Weißen aus dem Osten und den Blau-Weißen aus dem Westen, als die einen von Dirk Greiser und die anderen von Olaf Seier auf den Rasen im Olympiastadion geführt werden. Trotz des 2:1-Sieges der „Alten Dame“ gibt es in diesem Moment nur zwei Vereine an der Spree, den 1. FC Union und Hertha BSC. Fast noch besser drückt es ein Plakat aus, von je einem Fan aus beiden Lagern gehalten: „Hertha und Union, ganz Deutschland feiert schon“. Sie sind Brüder. Zumindest im Geiste. Eigentlich.

Diese Geschichte beginnt auch nicht im September 2010, an einem lauen Freitagabend vier Wochen nach dem Start der Zweiten Bundesliga und dem 1:1 in der Alten Försterei zwischen den noch sieglosen Köpenickern und den weiterhin ungeschlagenen Charlottenburgern. Dabei ist lange vor diesem ersten Derby um Punkte klar, dass die Einigkeit, das Verbindende und das nahezu Brüderliche trotz manchen Spiels gegeneinander, vor allem auch dem zur Eröffnung des neu erbauten Stadions an der Alten Försterei im Juli 2009 mit Herthas 5:3-Sieg, irgendwo auf der Strecke geblieben sind. Sie sind in der Spree versunken oder in die Havel abgetaucht, jedenfalls sind sie weg, weit weg.

Der 1. FC Union feiert das Wort Stadtmeister

Diese Geschichte beginnt, auch das kommt vor, nie. Wenn doch, dann schleichend, ganz langsam, dann schneller, schneller, schneller – und auf einmal ist es so, als ob sie schon immer da und auch immer so und nicht anders gewesen wäre, unerwartete Turbulenzen inbegriffen und mit völlig anderen Vorzeichen. So mit einem 2:1-Triumph der ehemaligen Schlosserjungs im Februar 2011, als die Gäste-Fans nach Toren von John Jairo Mosquera und Torsten Mattuschka das Olympiastadion rocken. Tusche, Kapitän und Siegtorschütze, sagt, was alle denken und selbst in der Fankurve verinnerlicht haben: „Wer an sich glaubt und mit Einsatz und Willensstärke dagegenhält, der kann auch bei Hertha BSC gewinnen, beim FC Bayern der Zweiten Liga, wie sie auch genannt werden.“

Erstmals taucht auch dieses Wort auf, das die Runde macht, auf Erfolgs-T-Shirts gedruckt wird, fortan vor allem in Köpenick Kultstatus erhält und noch heute manchen Oberkörper dort ziert: Stadtmeister!

Typisch Derby, dass der Außenseiter dem Favoriten ein Bein stellt. Schließlich haben diese speziellen Duelle auch spezielle Gesetze. Da bezwingt der Stärkere nicht unbedingt den Schwächeren, da gewinnt eben der Schlauere, und das nicht selten. Ansonsten behält alles seine gewohnte Ordnung: Die Blau-Weißen machen sich am Ende des Spieljahres wieder nach oben aus dem Staub, die Rot-Weißen bleiben unten. Wie auch zwei Jahre später, auch wenn der Titel des Stadtmeisters, Schwamm drüber, dann wechselt.

Nicht erst seitdem, aber vor allem seitdem gehören Sticheleien nicht nur dazu, seitdem werden sie subtiler, auch gemeiner oder anzüglicher. Die einen beschmieren den Bus der Eisernen vor dem Olympiastadion, die anderen kapern den Dampfer „Hertha“, das einst stolze Gründungsschiff der Blau-Weißen, beflaggen es in Rot und in Weiß und schippern damit über Brandenburger Gewässer. Herthas damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Bernd Schiphorst nimmt all das sportlich und sagt ein wenig süffisant: „Ich nenne das mal Streich. Die möchten mal kosten, wie 1. Liga schmeckt.“

Polter macht sich beim 1. FC Union unsterblich

Spätestens am 2. November 2019, es ist der 10. Spieltag der ersten Saison der Köpenicker in der Bundesliga, haben sie nicht nur gekostet, sie sind auf den Appetit gekommen und haben Hunger auf mehr. Ab sofort machen sie ernst. Wieder ist es Derby-Zeit, das erste Mal in Berlin in dieser Spielklasse nach 43 Jahren. Dabei hätten die Herthaner gern eine Woche später gespielt, am historischen 30. Jahrestag des Mauerfalls. Die Unioner blocken ab, sie wollen das Spiel keinesfalls in diesen historischen Rahmen gepresst sehen, denn: Was haben die aus dem Westend mit dem Zerbröseln des einstigen antifaschistischen Schutzwalls zu tun? Kleiner Punktgewinn für die Rot-Weißen.

Natürlich wurden die Derbys zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC entsprechend ausgeleuchtet ...
Natürlich wurden die Derbys zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC entsprechend ausgeleuchtet ...dpa/Soeren Stache

Auf dem Rasen punkten sie sogar dreifach und zudem dramatisch mit einem Elfmeter kurz vor Schluss und nach Videosichtung der Szene durch Schiedsrichter Deniz Aytekin. Sebastian Polter ist der Held gegen Rune Jarstein und das 1:0 ein hochverdienter Erfolg. „Jedes Tor ist geil“, sagt der Torschütze, „aber so ein Tor in einem Stadt-Derby – im Fußball gibt es auf der Welt nichts Schöneres.“ Felix Kroos holt gar noch weiter aus und versichert: „Für so ein Spiel gibt es auch mal dreieinhalb Punkte.“

Der 1. FC Union bezwingt Hertha BSC reihenweise

Von da an gibt es zwischen beiden, auch wenn die Blau-Weißen zwei der folgenden acht Spiele sogar ziemlich deutlich mit 4:0 und 3:1 gewinnen, nur eine Richtung: Dort geht es steil nach unten, hier steil nach oben. Die Frotzeleien unter den Anhängern reißen allerdings nicht ab. Da gibt Union einem Derby schon mal das Motto „Berlin sieht Rot“, Hertha platziert auf T-Shirts dafür den Text: „Von Spandau bis nach Hellersdorf, vom Wedding bis Neukölln. Von Zehlendorf bis jwd gibt’s nur Hertha BSC.“ Der soll signalisieren: Herthaner kommen aus ganz Berlin, Unioner nur aus Köpenick.

Sportlich jedoch wird es einseitig und Derbys für die Eisernen wahre Festtage. Manchmal, so zwei Spiele später Ante Covic im November 2019 und nur eine Partie danach im November 2021 Pal Dardai, müssen Hertha-Trainer nach Niederlagen gegen den 1. FC Union ihren Hut nehmen.

Die Männer von Urs Fischer eilen von Sieg zu Sieg, gewinnen wie selbstverständlich sogar im Olympiastadion und erzielen dabei auch noch bildschöne Tore, so beim 3:2 im Pokal im Januar 2022 durch Andreas Voglsammer mit dem ARD-„Tor des Monats“. Als die Köpenicker zweieinhalb Monate später vor 74.667 Zuschauern ein 4:1 draufpacken, wird es ganz böse. Hertha-Zuschauer aus der Ostkurve fordern die eigenen Spieler auf, ihre Trikots auszuziehen und sie auf den Boden zu legen. Das ist Derby von seiner hässlichsten Seite.

Für den 1. FC Union heißt es jetzt: Eins rauf mit Mappe!

In der Schule war es früher so, dass die besten Schüler vorn saßen. Bewies der eine oder andere aus einer hinteren Reihe, dass auch er in einem Fach besser gelernt hatte, durfte er für jene, aber auch nur für diese eine Stunde mit seinem Vordermann den Platz tauschen, wenn der Lehrer sagte: Eins rauf! Hielten die stabil besseren Leistungen dauerhaft an und übertrugen sich auf weitere Fächer, dann hieß es: Eins rauf mit Mappe! Das bedeutete, dass der Schüler seine Bücher und Hefte mitnehmen und den Platz weiter vorn in der Reihe permanent einnehmen durfte.

Das heißt nach fünf Siegen in Folge für die Eisernen erst einmal: Stadtmeister sowieso und – eins rauf! In der Zwischenzeit, dem dreimaligen Erreichen von Europa und besonders nach dem zumindest vorläufigen Ende der Derbys aber auch: Stadtmeister und – eins rauf mit Mappe!

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