Neue KURIER-Serie: Die Väter des Erfolges beim 1. FC Union

Anderswo nur zweite Wahl, beim 1. FC Union oben im Regal

Der KURIER hat die Rangliste des rot-weißen Erfolgs beim 1. FC Union erstellt. Auf Platz 7: Nutzer der zweiten Chance!

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Robin Knoche blühte beim 1. FC Union wieder richtig auf.
Robin Knoche blühte beim 1. FC Union wieder richtig auf.dpa/Andreas Gora

Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League, Königsklasse – das ist der 1. FC Union der jüngsten fünf Jahre im Schnelldurchlauf. Dahinter verbergen sich Namen, Ereignisse, Entscheidungen, manchmal auch nur Puzzleteile. Ein Top-20-Ranking ist ein wenig ungerecht, denn ohne den Einen oder das Eine würde es das Ganze, diese Erfolgsgeschichte, nicht geben. Entscheiden bei einem olympischen 100-Meter-Lauf, in dem sich die Weltbesten treffen, Millimeter und Hundertstelsekunden, dann gilt für die Eisernen: Gewonnen haben alle, nur eben mit Nuancen. Auf Platz 7: Nutzer der zweiten Chance.

Alle Wege führen nach Rom, sagt man. Das mag durchaus stimmen, manchmal aber auch nicht. Hannibal Barkas, um ganz weit auszuholen, hat es, einst aus Karthago kommend, mit 37 Elefanten, 8000 Pferden und 38.000 Fußsoldaten über die Alpen versucht. Dass er trotz der logistischen Meisterleistung am Ende gescheitert ist, liege wohl nur daran, glauben zumindest die Geschichtsschreiber, dass er das Zentrum des damaligen Reiches gar nicht wirklich erreichen und zerstören wollte.

Am Beispiel des Zweiten von letztlich drei Punischen Kriegen wird in der Moderne oft auch nur dargestellt, dass es, um zum Ziel zu gelangen, hin und wieder sinnvoll ist, einen Umweg zu nehmen. Auf einen Gipfel führen zumeist Serpentinen, im wahren Leben ist der eine oder andere Schwenk weg von der Magistrale von Vorteil, selbst wenn er auf den ersten Eindruck ätzend und nicht zielführend erscheint.

Der 1. FC Union nutzt die Gunst der Stunde bei Knoche

Manchen mag das als Dilemma vorkommen, als Ende eines auf Dauer angelegten Traums. Womöglich hat sich auch Robin Knoche in einer solchen Lage wiedergefunden, als er im Frühjahr 2020 in Wolfsburg nach 15 Jahren (davon sechs im Nachwuchs) beim VfL aussortiert wird. Satte 183 Spiele in der Bundesliga hat er für die Wölfe bestritten; in zwei Partien der Champions League ist er dabei; Pokalsieger ist er geworden, auch wenn er im Finale, einem 3:1 gegen Dortmund, nur auf der Bank bleiben muss; außerdem ist er mit 28 Jahren gerade im für einen Fußballer besten Alter …

Des einen Pech ist des anderen Glück. Der 1. FC Union hat die Gunst der Stunde genutzt und sich einen erfahrenen Routinier und überaus reifen Abwehrspieler geangelt, der, wie sich inzwischen herausgestellt hat, perfekt zu den Eisernen passt. Mehr noch, Knoche ist dank seiner geradezu stoischen Ruhe, Übersicht und Ausgeglichenheit ein nahezu unverzichtbarer Bestandteil des in sich gewachsenen Teams geworden.

Was er macht, erweckt in den meisten Fällen den Anschein, ganz und gar unscheinbar zu sein. In der Summe aber hat es durchaus was von Spektakel: 128 Pflichtspiele in drei Jahren, davon nur zwei nicht über die volle Spielzeit. Fehlt er doch mal, so wie in der jüngsten Saison wegen eines Infekts, dazu sitzt er aus heute unerfindlichen Gründen einmal auf der Bank, im Spieljahr davor bremst eine Gelbsperre ihn aus, geht die Sache insgesamt nicht gut aus für die Eisernen. Alle diese Spiele ohne ihren Abwehrchef verlieren sie, 0:1 in Bielefeld, 0:2 bei Eintracht Frankfurt und 2:4 bei der TSG Hoffenheim.

Fragen nach Knoches Wichtigkeit erübrigen sich damit von allein. Wer diese eindeutige Bilanz kennt, stellt sie lieber erst gar nicht. Als die Unioner im Frühjahr 2022 drei Monate vor Ablauf des zunächst vereinbarten Weges über zwei Spielzeiten eine Verlängerung ausgerechnet an dem Tag, an dem man eher jemanden in den April schickt, kommunizieren, ist die Erleichterung spürbar. „Die Gespräche mit Robin waren von Anfang an zielführend“, betont Manager Oliver Ruhnert, „da beide Seiten gemeinsam einen weiteren Weg gehen wollten. Seine Erfahrung, sein Leistungswille und seine konstanten Leistungen haben ihn zu einem Leistungsträger unseres Teams werden lassen.“

Einen Andrich hatte keiner auf dem Zettel, wohl aber der 1. FC Union

Knoche, von der langen Zeit in Wolfsburg geprägt, äußert sich so: „Wenn du nach 15 Jahren zu einem neuen Verein wechselst, dann musst du dich erst einmal an viele neue Dinge gewöhnen. Union hat es mir von Beginn an sehr leicht gemacht und ich habe mich von Anfang an wohlgefühlt. Nun ist uns der erneute Klassenerhalt gelungen, wir haben die Qualifikation für Europa geschafft und uns im europäischen Wettbewerb behauptet. Diese Momente und die sehr guten Gespräche mit den Verantwortlichen im Verein haben mir die Entscheidung leicht gemacht.“

Robert Andrich (l.) und Marvin Friedrich starteten beim 1. FC Union durch.
Robert Andrich (l.) und Marvin Friedrich starteten beim 1. FC Union durch.City-Press/Mathias Renner

Diese Entscheidung ist sowohl eine des Herzens als auch eine des Kopfes. Einer, der es gefühlt ewig bei einem Verein ausgehalten hat, ist an Kontinuität gewöhnt. Flutscht es, nachdem er aus der Not doch mal gewechselt hat, am neuen Ort ähnlich oder noch besser, geht es auch hier stetig und ausgeglichen zu, gibt es keinerlei Grund zur neuerlichen Veränderung, mag jemand in seinen Kontrakt auch eine Ausstiegsklausel einbauen. So etwas gehört in heutigen Zeiten fast schon dazu und damit sollte man auch umgehen können.

Friedrich war in Augsburg zweite Wahl, beim 1. FC Union erstklassig

Das Konstrukt Knoche, Spieler zu engagieren, die anderswo nicht mehr allererste Wahl oder einfach nicht mehr gelitten sind, ist bei den Eisernen so etwas wie Programm. Auf diese Art möbeln die Köpenicker ihr Personal regelmäßig auf und polieren es auf Hochglanz. Grischa Prömel, der zwar zum silbernen Olympiateam von Rio 2016 gehörte, als Schwabe jedoch weder in Stuttgart noch in Hoffenheim, wo er lediglich bei den Junioren und in der zweiten Mannschaft zum Einsatz kommt, den Durchbruch schafft, erfüllt sich als Aufstiegsheld erst in Köpenick den Traum von der Bundesliga, um als Erstligaspieler mit Profil zu seinen Wurzeln zurückzukehren.

Robert Andrich, dessen Karriere irgendwann alles andere als nach oben zeigt, bekommt in der Alten Försterei die Kurve. Marvin Friedrich, der sich in Augsburg als fünftes Rad am Wagen fühlt, grätscht, köpft und kämpft sich vom Berliner Osten aus ins gesamtdeutsche Rampenlicht. Andreas Luthe, der mit 33 Jahren an die Wuhle kommt und aus seiner Zeit in Bochum und Augsburg die Erfahrung von gerade einmal 32 Einsätzen in der Bundesliga mitbringt, packt auf seine alten Tage in zwei Spielzeiten 58 Partien drauf. Mit Luthes Torhüter-Kollegen Frederik Rönnow, obwohl seit Jahr und Tag die Nummer 2 im dänischen Nationalteam, verhält es sich ähnlich. Mit ihm gelingt geradezu ein Glücksgriff.

Ein anderer Manager als Oliver Ruhnert wäre womöglich niemals auf die Idee gekommen, einen Spieler wie Marius Bülter zu verpflichten, der als Empfehlung Spiele aus der Oberliga Westfalen, der dortigen Regionalliga, aus dem Westfalenpokal und zuletzt gerade einmal 32 Einsätze für Zweitliga-Absteiger Magdeburg mitbringt. Und doch geht die Rechnung auch bei ihm auf. Das zu erkennen, gleicht einer Kunst, hat ab und an auch ein wenig mit Glück zu tun, ist aber sonst hohe Schule.

All das zu perfektionieren, das ist tatsächlich so etwas wie ein Erfolgsgeheimnis. Es will gekonnt sein, Spielern, die anderswo nicht mehr angesagt oder anderweitig ins zweite Glied zurückgetreten sind, Vertrauen entgegenzubringen, ihnen die Freude wiederzugeben, damit sie Bock haben, Leidenschaft entwickeln und für die neue Sache brennen. Fast könnte es zu einem Kalauer führen: anderswo nur zweite Wahl, in Köpenick oben im Regal.

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