Unions Verteidiger Paul Jaeckel (24) kommt aus Eisenhüttenstadt und stützte mit seinem Tor in Stuttgart die Ost-Worte von Präsident Dirk Zingler.
Unions Verteidiger Paul Jaeckel (24) kommt aus Eisenhüttenstadt und stützte mit seinem Tor in Stuttgart die Ost-Worte von Präsident Dirk Zingler. IMAGO / ActionPictures

Wenn Dirk Zingler etwas zu sagen hat, dann hören inzwischen viele ganz genau hin. Wie jüngst, als der Präsident des 1. FC Union verkündete, dass seine Eisernen als einziger Bundesligaverein den Osten vertreten würden, denn RB sei ja keiner von hier.

Mag sein, dass der Polarisierer aus Köpenick den Zeitpunkt für seine Meinung gerade deshalb als günstig ansah, weil die Rot-Weißen in der Europa League aktiv sind, wo sie am Donnerstag in der Alten Försterei im Rückspiel auf den schwedischen Rekordmeister Malmö FF treffen. Auf jeden Fall verschaffte Zingler sich Gehör, auch weil er für den derzeitigen Tabellenführer spricht, der, da er das den vierten Spieltag in Folge ist, nicht mehr als Eintagsfliege abgetan werden kann. Wie singt Nina Hagen doch gleich: Wir aus dem Osten gehen immer nach vorn.

Prompt nahm eine Wochenzeitung aus Hamburg den Steilpass auf und fragte, wie die Leser ihres Newsletters Zinglers Meinung sehen. Die Frage war – Zufall hin, Absicht her – ziemlich gemein gestellt, nämlich: „Was denken Sie: Ist RB Leipzig wegen RB kein ostdeutscher Verein?“

1. FC Union: Präsident Zingler stichelt gegen RB Leipzig

Da lauert schon in der Fragestellung die im Deutschen nicht gebräuchliche doppelte Verneinung, die oft zu Irritationen führt. Verständlicher wäre gewesen: Ist RB Leipzig ein ostdeutscher Verein? Bei dieser Fragestellung ist ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein.

Damit hatte schon, als das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen noch einen Monopolstatus besaß und Deutschland tatsächlich in Ost und West geteilt war, der Altmeister des Berufe-Ratens Robert Lembke in der Sendung „Was bin ich?“ argen Verdruss. Fortan umschiffte das Rate-Team die sprachlichen Pirouetten, indem es seine Fragen begann mit: „Gehe ich recht in der Annahme, dass …?“ Es geht eben auch verschwurbelt.

Um es kurz zu machen: 69,1 Prozent widersprechen Zingler. Mehr als zwei Drittel, das ist deutlich. Diese knapp sieben von zehn Leuten haben, so die Auswertung, mit „Nein“ geantwortet. RB ist kein ostdeutscher Verein? Nein! Übersetzt heißt das: Er ist einer. Schwierig? Durchaus, die deutsche Sprache ist nun einmal so. Andererseits dürften damit erhebliche Zweifel an der Aussagekraft des Ergebnisses angemeldet werden.

Wie viel Osten steckt noch in der Bundesliga? 

Paul Jaeckel (r.) und Paul Seguin halten beim 1. FC Union die Ost-Fahne hoch.
IMAGO / Christian Schroedter
Paul Jaeckel (r.) und Paul Seguin halten beim 1. FC Union die Ost-Fahne hoch.

Der Zufall – fragt man jedoch Paul Jaeckel nach seinem Tor zum 1:0-Sieg jüngst in Stuttgart, dann war es blanke Absicht – befeuert die Diskussion um das Ostdeutsch-Sein Tage später noch. Mit der Frage etwa, wie viel Osten überhaupt in der Bundesliga und im deutschen Fußball steckt.

Längst sind die Jahre dahin, als Matthias Sammer und Ulf Kirsten, Thomas Doll und Dariusz Wosz, Marko Rehmer und Michael Ballack, Andreas Thom und Bernd Schneider das Trikot mit dem Bundesadler überstreiften. Mit Toni Kroos ist der letzte große Stratege aus dem Gebiet zwischen Erzgebirge und Ostsee, Börde und Lausitz aus der Liga und aus dem DFB-Team verschwunden.

Bundestrainer Hansi Flick setzt auf zwei Ossis 

Allerdings hat Hansi Flick zwei Ossis in seinen Stab geholt, was unterm Radar geblieben ist: Danny Röhl (33) stammt aus Zwickau und ist einer seiner Assistenten, Dr. Stephan Nopp (43) kommt aus Frankfurt (Oder) und ist Spielanalyst.

Gar nicht so schlecht vertreten sind zudem die Bundesligatrainer. Die Vergangenheit von Steffen Baumgart, in Rostock geboren, kennt nahezu jeder Union-Fan, Marco Rose hat in Leipzig sozusagen immer ein Heimspiel, dazu kommt neuerdings mit Enrico Maaßen ein 38-Jähriger aus Wismar, der den FC Augsburg bisher auf Rang 10 geführt hat. Um jedoch in der Bundesliga anzukommen, mussten alle einen Umweg machen, Baumgart über Paderborn, Rose über Mainz und Salzburg, Maaßen über den Nachwuchs in Dortmund.

Zurück zu Jaeckel, bei dem als Junge aus Eisenhüttenstadt rein geografisch mehr Osten nicht geht. Nach Robert Andrich ist er erst der zweite Spieler von hier, der für die Eisernen ein Bundesligator erzielt hat. Dabei ist er gerade beim 1. FC Union nicht allein. Paul Seguin ist Magdeburger, sein Vater Wolfgang war Teil des großen 1. FC Magdeburg, der 1974 als einziges DDR-Team einen Europapokal gewann und bei dem alle (!) Spieler aus dem damaligen Bezirk kamen. Kevin Möhwald begann bei Rot-Weiß Erfurt mit dem Fußball.

Beim SC Freiburg tummeln sich viele Ossis  

Aber sonst? Sonderlich viele Spieler, die in ihren Teams Anspruch auf einen Stammplatz anmelden und aus der Gegend stammen, die Dirk Zingler meint, gibt es, nachdem Tony Jantschke (aus Hoyerswerda) in Mönchengladbach und Felix Uduokhai (aus Annaberg-Buchholz) in Augsburg nicht mehr die allererste Geige spielen und Marcel Schmelzer (aus Magdeburg) im Sommer seine Karriere in Dortmund beendet hat, nicht.

Höchstens der SC Freiburg kann mithalten. Nils Petersen stammt aus Wernigerode, Kevin Schade, der über Babelsberg und Cottbus im Breisgau landete, ist in Potsdam geboren, und Noah Weißhaupt gehört zur Thüringer Weißhaupt-Dynastie. Sein Vater Marco ist Erfurter, wo wiederum sein Vater Jörg und dessen Zwillingsbruder Horst bei Rot-Weiß in der DDR-Oberliga spielten.

Insofern, da ist Dirk Zingler ganz in seinem Element, hat sich höchstens einer noch mehr über den ersten Bundesligatreffer von Jaeckel gefreut als er, nur Paul selbst.

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