Genki Haraguchis hüpft nach dem Derbysieg gegen Hertha BSC. Ganz klar: Der 1. FC Union reitet auf der Euphoriewelle.
Genki Haraguchis hüpft nach dem Derbysieg gegen Hertha BSC. Ganz klar: Der 1. FC Union reitet auf der Euphoriewelle. Foto: Omago

Es sind die besonderen Momente, die einmaligen Augenblicke, die im Gedächtnis bleiben. Das sind unverhoffte Meisterschaften, einzigartige Titel, spektakuläre und schöne Tore, großartige Paraden und lupenreine Siege in hochsensiblen Spielen. Dazu gehört, zumindest für das Geschichtsbuch des 1. FC Union, das 4:1 im Hauptstadt-Derby gegen Hertha. Denn es ist ein Ereignis, das die Fans der Rot-Weißen so erhofft und das sie sich erträumt haben, das sie durch die Realität aber überholt hat. Es ist ein Triumph des Herzens.

War die Saison für die Eisernen schon vor dem 29. Spieltag eine wunderbare, dann ist sie seitdem eine grandiose. Fast stellt sich jetzt die Frage: Wohin kann es die Männer aus der Wuhlheide, bei drei Heim- und nur noch zwei Auswärtsspielen und der Zusatzchance im DFB-Pokal, noch treiben?

Union reitet auf der Euphoriewelle

Manchmal kann so etwas lähmen, doch in der Regel verleiht so etwas Flügel. Vor allem dann, wenn man nicht größenwahnsinnig wird, sondern Bodenhaftung behält. Dann schwimmt man ganz gut auf der Euphoriewelle. Wobei: Bisher ist die komplette Bundesliga-Historie der Köpenicker eine einzige Euphoriewelle.

Dass ein ganz und gar krasser Außenseiter die Schwergewichte aushebelt, kommt immer mal wieder vor. Der WM-Sieg 1954 gilt noch immer als Mutter der Sensationen, auch Dänemark mit dem EM-Triumph 1992, die Griechen mit ihrem Sieg bei der Europameisterschaft 2004 oder erst vor vier Jahren die Kroaten als Vizeweltmeister wissen, wie so etwas geht.

Das deutsche WM-Team 2002 hatte viel mehr das Zeug zum grandiosen Scheitern als das 16 Jahre später in Russland, bekam im Finale aber sogar fast die Brasilianer zu packen. Hätte, ehrlich, jemand auch nur einen Pfifferling darauf gesetzt, dass der 1. FC Kaiserslautern 1998 als Aufsteiger Meister wird? Oder jemand darauf, um tief in den Osten zu schauen, dass mit der BSG Chemie der „Rest von Leipzig“ in der DDR den Titel holt?

1. FC Union hat sich Respekt erarbeitet

Das ist durchaus eine noch etwas andere Kategorie als die, mit der der 1. FC Union auf sich aufmerksam macht. Beides indes hat eines gemeinsam: Diese Achtung, diesen Respekt, diese Anerkennung muss man sich erarbeiten. Dazu gehören, das nicht zu knapp, Fleiß, Ausdauer, Ehrgeiz und Talent wie Klasse ohnehin, genauso aber die Fähigkeit, den inneren Schweinehund an die Kette zu legen.

Dazu zählt die Chance, sich die Meinung zu sagen, ohne dass es ins Persönliche geht, sondern es um der Sache willen passiert. Nicht zu vergessen die Gewissheit, dass die Kabine ein abhörsicherer Raum ist, in dem die Meinungen, Gespräche, Informationen in den Mauern versickern und dort eins werden mit den Steinen, dass alles Gesagte sozusagen tonlos wird.

Es gibt praktisch nichts, das zum Erfolg nicht dazugehört.

Trikot-Aktion der Hertha-Ultras ist anmaßend

Eine besondere Rolle spielen dabei die Anhänger, dieser ominöse wie mysteriöse 12. Mann. Man kann singen und tanzen, hüpfen und klatschen selbst bei einer Niederlage oder einem nicht ganz so tollen Spiel. Man kann wie eine Wand hinter den Spielern stehen, die sowieso und nicht nur im Augenblick des Triumphes über den Stadtrivalen Fußball-Götter sind, auch wenn selbst sie sich manchmal total irdisch anstellen, manche Chance und auch manche Partie als völlige Anti-Helden vergeigen.

Gerade deshalb sollte man ihnen das Grundgefühl einpflanzen, dass es ausgeschlossen ist und einem Tabubruch gleicht, das Ausziehen von Trikots zu fordern, um dieses emotionale Stück Stoff auf einen Haufen zu werfen. Bleibt die Frage, ob es dort abgelegt werden soll, um wie auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, in eine Altkleidertonne zu wandern oder um sich damit eventuell die Schuhe zu putzen. In jedem Fall ist es irritierend, anmaßend und regelrecht unappetitlich.

Union zeigt Hertha wie es geht

Vielleicht ist es genau die Summe all dessen, diese rot-weiße Gemengelage, was passiert und noch viel wichtiger: was nicht passiert, die für den Erfolg sorgt. Dieses Einer für alle und Alle für einen.

Dazu braucht es keinen Charles de Batz-Castelmore d’Artagnan und seine Freunde Athos, Porthos und Aramis. Dazu braucht es eines funktionierenden Ganzen um Urs Fischer und Dirk Zingler, um Christopher Trimmel und Taiwo Awoniyi, um Robin Knoche und Sheraldo Becker, um schlichtweg jeden und jede. Nur so kommen Triumphe des Herzens zustande.

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