1. FC Union paradox: Die Eisernen zwischen Gegentorflut und Fort Knox
Die Köpenicker zeigen immer wieder mal, dass sie beides können: Berliner Mauer und Tag der offenen Tür.

Wenn es kommt, dann kommt es ziemlich dicke für den 1. FC Union. Das ist auffällig. Dann prasseln die Gegentore auf die Eisernen wie Hagelkörner und sorgen für kalte Schauer wie zuletzt beim 0:3 im Schneegestöber von München auf dem Rasen und erst recht auf der Trainerbank. Da fallen die Gegentore nicht gerade im Minutentakt, gefühlt aber schon, weil es ungewohnt und deshalb so ungewöhnlich ist.
Sich bei einem Bundesliga-Dritten, einem Achtelfinalisten der Europa League und einem Viertelfinalisten im DFB-Pokal, zumal der eine solche Entwicklung genommen hat wie die Eisernen, an Gegentoren abzuarbeiten, ist ungerecht. Eigentlich. Vielleicht ist es gerade deshalb eigenartig, was hin und wieder passiert. Da prallen nämlich zwei Gegensätze aufeinander. In sieben der bisher 22 Punktspiele der Eisernen in dieser Saison stand hinten die Null, in neun weiteren Partien kassierten sie lediglich ein Gegentor. Das ist exzellent und einer Spitzenmannschaft würdig. Es hat was von Berliner Mauer und von Fort Knox.
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Der 1. FC Union hat weniger Gegentore als Arsenal und United
Auch in Europa haben sie gezeigt, wie es geht. Drei Gegentore erst haben sie in acht Spielen zugelassen, zwischen Gegentor 2 (dem Mitte September beim 0:1 bei Sporting Braga) und Gegentor 3 (dem in der vorigen Woche beim 3:1 gegen Ajax Amsterdam) lagen fünf Zu-Null-Spiele oder achteinhalb Stunden mit blitzsauberer Gegentor-Weste. In der Gruppenphase hatte keines der anderen 31 Teams eine bessere Defensive. Nur die Spanier von Real Sociedad San Sebastian hielten mit. Der FC Arsenal und Manchester United, die beiden Top-Engländer, und der SC Freiburg standen bei jeweils drei Gegentoren.

Aber dann! Bei drei ihrer fünf Niederlagen in der Liga öffneten sich alle Schleusen und die Bälle flutschten nur so in die Kiste: 0:5 in Leverkusen, 1:4 in Freiburg und nun 0:3 bei Bayern München, was noch halbwegs normal ist und nur durch die tabellarische Augenhöhe – der Erste traf auf den punktgleichen Dritten – für gesteigerte Aufmerksamkeit sorgte. Macht am Ende trotzdem: null Punkte, klar, sind ja alles Niederlagen, aber 1:12 Tore. Himmel hilf! Das wiederum hat ganz viel von Tag der offenen Tür.
Wenn es beim 1. FC Union hinten klingelt, dann extrem schnell und häufig
Noch auffälliger ist, dass bei den deutlichen Niederlagen die Gegentore in extrem kleinen Zeitfenstern fielen. Bayer Leverkusen brauchte für seine fünf Treffer eine halbe Stunde, Freiburg für seine vier 42 Minuten und die Bayern für ihre drei eine Viertelstunde. Die Tore fielen jeweils in einer Halbzeit, und zusammen kommt eine Zeit von nicht ganz einem Spiel heraus. Ein Team, das mit großem Abstand als Überraschung der Saison gilt, an dem sich die gegnerischen Angreifer reihenweise die Zähne ausbeißen und vor dem der Respekt inzwischen riesengroß ist, kann also auch implodieren.
Das passiert auch anderen Mannschaften, die oft größere Meriten besitzen als ein Emporkletterer wie der 1. FC Union. Erst am vergangenen Wochenende hat in Frankreichs Ligue 1 Olympique Marseille, der Tabellenzweite, gegen Paris St.-Germain, den Spitzenreiter, sein Heimspiel mit 0:3 verloren und die Tore, wenn auch nicht in einer Halbzeit, aber doch innerhalb von 30 Minuten kassiert. Monaco, der Tabellendritte, ging zu Hause gegen Nizza 0:3 baden und hier fielen alle Treffer innerhalb von 35 Minuten. In den Niederlanden führte im Spiel der Tabellennachbarn Heerenveen und Waalwijk der Gastgeber bis eine halbe Stunde vor Schluss mit 1:0, verlor aber 1:4.
Trainer Urs Fischer fordert beim 1. FC Union totale Bereitschaft
Noch ärger erwischte es Nottingham Forest, das Team von Ex-Unioner Taiwo Awoniyi, der wegen einer Leistenverletzung in den vergangenen sechs Spielen nicht zum Einsatz kam. Bis zu Minute 70 hatte der Premier-League-Aufsteiger bei Gastgeber West Ham United nichts zugelassen, eine Viertelstunde später hatten die Hammers ein 4:0 im Kasten. Keine Bange, selbst Branchengrößen geschieht so etwas. Wer erinnert sich nicht an Bochums 4:2 aus der vorigen Saison gegen die Bayern? Innerhalb einer halben Stunde hatte der Serienmeister gegen den Aufsteiger krasse vier Dinger geschluckt.
Für den 1. FC Union heißt das nichts anderes, als die (ganz seltene) Flut an Gegentoren schnell aus den Stutzen zu schütteln und noch viel mehr aus den Köpfen zu bekommen. In der Trainersprache von Urs Fischer lautet das so: „Wir müssen totale Bereitschaft zeigen nicht nur im Spiel gegen den Ball, sondern auch im Spiel mit dem Ball, um Entlastung zu bekommen.“
Gerade jetzt braucht es das. Schließlich soll der 1. FC Köln (Sonnabend, 15.30 Uhr, Sky und im KURIER-Liveticker), gegen den es in den bisherigen sieben Erstligapartien sechs (!) Siege und ein Unentschieden gab, der eiserne Lieblingsgegner bleiben.
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