Streit um die Beute: Warum im Sudan Militärs gegeneinander kämpfen
Im Sudan kämpfen Armee und Paramilitärs darum, wer das Land ausplündern darf

Im Sudan gehen sich die Truppen zweier Militärs an die Gurgel, Hunderttausende sind auf der Flucht. Seit dem 15. April gab es nach sudanesischen Angaben an die 600 Tote, vermutlich viel mehr, Hunderttausende sind auf der Flucht. Was spielt sich dort ab, und vor allem, warum? Und was macht die Kämpfe für Afrika, den Nahen Osten und Europa eigentlich bedeutsam? Der KURIER sprach mit darüber mit Dr. Gerrit Kurtz, Spezialist für die Region bei der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik.
Es geht es nicht um Konflikte zwischen Volksgruppen, nur zu einem geringeren Teil um Religion, vor allem aber um politischen, gesellschaftlichen und in erster Linie wirtschaftlichen Einfluss. Gerrit Kurtz hat einen Wert parat, der das plausibel macht: „Es gibt Schätzungen, dass drei Viertel der Wirtschaftsleistung des Sudan von Unternehmen der Armee und der Paramilitärs der sogenannten Rapid Support Forces erwirtschaftet werden.“
Jede Seite kann schätzungsweise 100.000 Kämpfer aufbieten
Abdel Fattah al-Burhan, Armee- und faktisch Staatschef, kommandiert etwa 100.000 Bewaffnete. Sein Widerpart, Mohammad Hamdan Daglo, Anführer der RSF und al-Burhans Vize im Staat, verfügt vermutlich über eine ähnlich große Streitmacht.

In der sudanesischen Bevölkerung aber hätten beide kaum Rückhalt, bestenfalls bei den zivilen Beschäftigten der von ihnen kontrollierten Unternehmen. „Weder die Armee noch die RSF repräsentieren signifikante Teile der Bevölkerung“, erklärt der Wissenschaftler.
Allenfalls gebe es Unterstützer aus Eigennutz durch die in den militärisch kontrollierten Unternehmen beschäftigten Zivilisten. Insgesamt sei das Militär noch eher in der Bevölkerung verwurzelt, weil es breit rekrutiere.
Vertrauen gebe es aber auch hier nicht, weil die Militärs seit Jahrzehnten das Land beherrschten, herunterwirtschafteten und die Menschen unterdrückten.
Arm und dünn besiedelt
Der Sudan hat etwa 46 Millionen Einwohner, etwas mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Das drittgrößte Land Afrikas ist mit fast 1,9 Millionen Quadratkilometern mehr als fünf Mal so groß wie Deutschland.
Nach Daten von 2018 sind fast 40 Prozent der Sudanesen Analphabeten.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2021 laut Statistischem Bundesamt bei 773 Dollar (Deutschland: 50.795)
Seit dem 15. April kämpfen die Armee und die paramilitärischen Verbände der Rapid Support Forces gegeneinander. Mehrere Waffenstillstandsvereinbarungen hielten nicht.
Mehrere hunderttausend Menschen sind im Land oder ins angrenzende Ausland geflüchtet, wo sich wegen langjähriger Bürgerkriege bereit Millionen in Sicherheit gebracht hatten. Einer dieser Kriege führte 2011 zur Abspaltung des Südsudan.
Der 2003 ausgebrochen Bürgerkrieg in der westlichen Region Darfur soll 300.000 Zivilisten das Leben gekostet haben.
Paramilititärische Truppe ging aus mörderischer Miliz hervor
Die jüngere sudanesische Geschichte ist einigermaßen unübersichtlich und spülte mit Daglo einen Mann an die Spitze, der früher der Legende nach Kamelhändler war. Er stammt aus einem arabischen Familienverband im westlichen Landesteil Darfur.
Anfang des Jahrhunderts rebellierten nicht-arabische, eher sesshafte Bevölkerungsgruppen wie die Zagawa und Fur in Darfur gegen die Regierung in Khartum.

Einer der Gründe war die bis heute andauernde Ausbeutung der Peripherie des Landes durch die Eliten im Niltal, die zu der verbreiteten Armut und Hunger beitragen.
Um den Aufstand niederzuschlagen, wurden die sogenannten Dschandschawid-Milizen eingesetzt, denen sich Daglo anschloss. Gerrit Kurtz schildert ihn als Opportunisten, der seine Chance als Milizenführer sah.
2003 und 2004 richteten diese Milizen Massaker an, es kam zu massenhafter Vertreibung, Flucht und Hunger.
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2013, Khartum wollte die Milizen in den Griff bekommen, wurden sie offiziell zur RSF, Daglo als Generalleutnant führt sie. Bis 2016 gelang es seiner Truppe, in der bis heute Kämpfer aus dem benachbarten Tschad Geld verdienen, die meisten Aufständischen endgültig zu besiegen oder aus dem Land zu treiben.

Geheimdienst-Boss als Strippenzieher hinter den Kulissen
Al-Burhan und Daglo waren ursprünglich Partner und Unterstützer des Langzeit-Diktators Omar al-Baschir. Das änderte sich, als sich 2018/19 eine breite Protest- und Demokratiebewegung der Zivilbevölkerung formierte.
In dieser Lage soll Geheimdienstchef Salah Gosh das Militär und Daglo zu einem Putsch gegen al-Baschir bewegt haben, der drei Jahrzehnte zuvor selbst mit einem Staatsstreich an die Macht gekommen war.
Eine nach dem Sturz Bashirs installierte zivil-militärische Übergangsregierung scheiterte jedoch 2021, das Militär mit den beiden Schlüsselfiguren ergriff im Herbst erneut die Macht. Doch nun kam die Rivalität der beiden Anführer zum Tragen.
Daglo entwickelte politische Ambitionen, gab sich als Unterstützer der Demokratiebewegung, die er laut Kurtz aber vergeblich für sich zu gewinnen suchte.
Gleichzeitig holte der Armee-Chef al-Burhan viele islamistische Angestellte in den öffentlichen Dienst zurück, die auf Daglo nicht gut zu sprechen waren – wegen des Verrats an al-Baschir. Seine Versuche, Daglos RSF in die Armee einzugliedern, schlugen fehl. Im Streit darüber brachen schließlich die Kämpfe aus.

Ausländische Interessen am Sudan
Ihr Verlauf wird nicht nur von den Sudanesen mit Anspannung beobachtet.
Das Land, historisch ein Bindeglied zwischen der arabischen und afrikanischen Welt sei in verschiedener Hinsicht für seine Nachbarschaft bedeutend, erläutert Gerrit Kurtz.
Ägypten im Norden ist auf das Wasser des Nil angewiesen und fürchtet, dass sich Sudan im Konflikt um einen großen Staudamm auf die Seite Äthiopiens schlagen könnte, das seit einigen Jahren am Blauen Nil daran baut.
Unter anderem Saudi-Arabien ist an Investitionen in verschiedene Sektoren wie Energie und Transport interessiert, wenn denn die Wirtschaft nicht darnieder läge. Die Emirate wollen in Häfen investieren.
Für Europa allerdings ist ein stabiler Sudan von entscheidendem Interesse: Ein Großteil des Handels mit Asien und die Öllieferungen vom Golf werden per Schiff über das Rote Meer abgewickelt. Wie empfindlich diese Route ist, zeigte sich bei den Piratenangriffen vor der Küste des als Staat kollabierten Somalia seit dem Jahr 2000. Erst vor zwölf Jahren konnte unter anderem durch militärische Mittel einigermaßen Sicherheit geschaffen werden.
Gold, russische Söldner und ein Stützpunkt-Plan
Schließlich ist auch Russland im strategischen Spiel. Es soll Einheiten der russischen Wagner-Söldnertruppen im Land geben, vor allem sind die Russen im Goldgeschäft tätig. Al-Bashir hatte die Russen 2017 ins Land geholt.
Daglo und seine Familie verdienen mit der Förderung, dem Handel und dem Schmuggel von Gold gut – Sudan zählt mit zu den weltweit größeren Produzenten. 2021 sollen es 85 Tonnen gewesen sein.
Nach verschiedenen Medienberichten wird ein Teil dieses Goldes über Syrien nach Russland geschmuggelt. Das Land braucht Geld vor allem wegen seines Kriegs gegen die Ukraine und konnte so seine Goldreserven aufstocken, sagt Kurtz.
Und Russland hat einen Fuß in der sudanesischen Tür: Moskau hat Interesse, am Roten Meer einen Marine-Stützpunkt einzurichten.