Werner Otto/Jürgen Geschke: Tandemkönige auf der Piste
Es tut heute noch weh: Dem Berliner Duo fehlte eine Tausendstelsekunde zu Gold.

Vor 50 Jahren zogen Sportlerinnen und Sportler aus 121 Ländern zur Eröffnung der Olympischen Spiele in das Münchner Olympiastadion. Mit sieben Goldmedaillen schwamm sich dann der US-Amerikaner Mark Spitz in die Geschichtsbücher des Sports. Mit 99 Medaillen sammelten die Athleten der einstigen Sowjetunion das meiste Edelmetall vor den USA (94), der damaligen DDR (66) und der gastgebenden Bundesrepublik (40). Erfolgreichste deutsche Sportlerinnen waren Turnerin Prof. Dr. Karin Büttner-Janz mit fünf Medaillen (2x Gold, 2x Silber, 1x Bronze), Renate Stecher, Heide Rosendahl (beide 2x Gold, 1x Silber) und Monika Zehrt (2x Gold). Nach 50 Jahren schaut der KURIER zurück.
Es stand 1:1 im Tandemsprint zwischen den Russen Wladimir Semenez/Igor Zelowalnikow und den Berlinern Werner Otto/Jürgen Geschke. Im dritten ging es um alles, Gold oder Silber. „Uns blieb Silber. Gerade in letzter Zeit habe ich mir unser Rennen oft im Video angesehen. Ehrlich, ich ärgere mich immer noch, wenn ich die alten Bilder mit der Zeitmessung sehe. Wir schossen die Winzigkeit von einer TausendstelsSekunde am Gold vorbei“, gesteht gebürtige Dresdner Werner Otto (74). Eigentlich glänzt ja auch olympisches Silber ziemlich hell. „Aber nicht bei unserer damaligen Sportführung. Zwischen Gold und Silber bestand schon ein ziemliches Gefälle“, erinnert sich Otto.
Ein bisschen machte sich unter den DDR-Funktionären wohl auch deshalb die Enttäuschung breit, weil das wilde Berliner Tandem mit Steuermann Otto und „Rucksack“ Geschke als amtierende Weltmeister am Start waren. Die Silbermedaillen bewahren beide dennoch an ehrenvollen Plätzen auf. Die damals langen Funktionärs-Gesichter störten sie nicht.
Werner Otto/Jürgen Geschke: Aus Sicherheitsgründe aus dem Olympiaprogramm gestrichen
Neben dem sportlichen Wert überzieht auch die Patina der olympischen Geschichte die Medaillen. Nach 1972 wurden die Tandemjagden aus Sicherheitsgründen gestrichen. Als letzte deutsche Weltmeister trugen sich 1991 die Berliner Emanuel Raasch/Eik Pokorny in die Siegerliste ein. Zum letzten Mal hechelten die Tandems 1994 in Palermo über die Piste. Aktuell werden nur bei Para-Olympics Tandemrennen für sehbehinderte Sportler ausgetragen.
Werner Otto war im vergangenen Juli der Einladung zum Treffen der Olympia-Teilnehmer nach München gefolgt. „Ich bin noch mal dorthin gefahren, wo wir vor 50 Jahren im olympischen Dorf gewohnt haben. Unser Haus lag neben dem Haus der Israelis, das von Terroristen überfallen wurde. Ich war richtig erschrocken, als ich jetzt sah, wie dicht die Häuser aneinander standen“, erzählt Otto sichtlich aufgewühlt.
Werner Otto/Jürgen Geschke: Erinnerungen an das Attentat
Dann kramt der Radstar in seinen Erinnerungen und gibt ehrlich zu: „Damals ging das ganze Drama an mir irgendwie vorbei. Ich war nach dem Rennen noch so voller Adrenalin. Ich sah von Weitem einen maskierten Mann, aber bewusst wahrgenommen habe ich ihn nicht. Ich reagierte auch gelassen, als mich Trainer und Funktionäre daran hinderten, unser Zimmer zu betreten. Es lag genau gegenüber dem Balkon, auf dem die bewaffneten palästinensischen Terroristen standen. Wir wurden in hintere Zimmer geschoben. Heute weiß ich, welch ein Drama sich da mit elf toten israelischen Sportlern abspielte.“ Natürlich interessiert sich Werner Otto weiter für den Radsport. Den Radladen in Pankow gab er aber an seine Söhne Mike und Patrick weiter.
Viel Beschäftigung gab es in letzter Zeit für seinen Partner. Jürgen Geschke (79) legte fünf Jahre nach dem Olympiasilber noch WM-Gold im Bahnsprint dazu. Wie Otto arbeitete auch Geschke lange als Trainer. 1991 war Schluss. „Tutti“ mietete in Wandlitz einen verlassenen Gemüseladen, richtete dort ein bis vor Kurzem florierendes Radgeschäft ein: „Inzwischen habe ich mich zur Ruhe gesetzt.“ Am Radsport bleibt er trotzdem ganz dicht dran. „Wir waren gerade bei der Deutschland-Tour bei unserem Sohn Simon. Wir wollten ihn unbedingt mal wieder drücken. Seine neun Etappen im Bergtrikot bei der Tour de France – das war für uns jeden Tag Spannung vorm Fernseher. Das macht auch uns Eltern stolz.“ Ein bisschen Glanz fällt auch auf den Vater. Er riet seinem Filius einst, neben dem Straßentraining auch auf dem Mountainbike in die Pedale zu treten. „Wenn wir dich noch mal auf dem Mountainbike sehen, fängst du dir ein halbes Jahr Sperre ein“, wiederholt Vater Geschke die Worte der damaligen Trainer und grinst: „Wir haben trotzdem heimlich weitergemacht. Es hat sich gelohnt.“
Werner Otto/Jürgen Geschke: Ausflug zur Deutschland-Tour endet mit Corona
Der Ausflug zur Deutschland-Tour blieb allerdings nicht ohne Folgen: „Meine Frau und ich haben uns Corona eingefangen und in unserem Haus in Wandlitz war nach einem wahnsinnigen Wolkenbruch am Wochenende meterhoch der Keller vollgelaufen. Zu allem Übel stürzte ich beim Wasserschöpfen auf der Kellertreppe und kann kaum laufen. Aber das wird wieder“, tröstete sich der einstige Pisten-Held. Schließlich wird er auch in Wandlitz gebraucht. Jürgen Geschke repariert nämlich gespendete Fahrräder für Ukraine-Flüchtlinge.
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